Nur 9 Monate Knast für 11 Monate Käfig
«Dieses Urteil ist an Zynismus nicht zu übertreffen»

Ein Ehepaar aus der Region Zürich lockte junge Migrantinnen mit Ausbildungsversprechen in die Schweiz. Vor Ort wurden sie auf brutale Art und Weise ausgebeutet und misshandelt. Fast noch skandalöser ist das milde Urteil gegen das Ehepaar. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Einzelfall.

DAS ZÜRCHER EHEPAAR VOR GERICHT: Verteidiger Valentin Landmann in blauem Anzug und grüner Krawatte neben den beiden Angeklagten, links die Ehefrau, rechts der Ehemann (in Umrissen). (Gerichtszeichnung: Keystone/Linda Graedel

Ein Ehepaar im Zürcher Weinland lockte 2019 eine junge Frau aus Asien nach Andelfingen ZH. Das Versprechen: ein Job als Haushälterin, eine Ausbildung und wohnen in einem schönen Haus mit Pool. Die Realität war barbarisch. Sie wird während Monaten, nur mit Unterwäsche bekleidet, gefesselt in einem Käfig im Keller eingesperrt. Bis zu 15 Stunden täglich muss sie unter menschenunwürdigen Verhältnissen im Käfig ausharren. Nach zehn Monaten gelingt ihr die Flucht, und sie erstattet Anzeige. Als die Behörden wenige Zeit später das Haus des Ehepaars durchsuchen, finden sie eine weitere Frau, die seit einem Monat genau im selben Stil ausgebeutet und misshandelt wird. 

Der Fall landet vor dem Bezirksgericht Andelfingen. Die Opfer haben in der Hoffnung auf Gerechtigkeit jahrelang eng mit der Polizei zusammengearbeitet und mehrere Gespräche geführt, die sie wieder an die traumatischen Erlebnisse zurückerinnerten. Das Urteil:

Der Haupttäter muss lediglich eine neunmonatige Freiheitsstrafe absitzen.

Fanie Wirth, Bereichsleiterin Fachwissen & Advocacy bei der FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, schätzt das Urteil für work ein. Sie sagt:

Dieses Urteil ist an Zynismus nicht zu übertreffen. So eine milde Strafe suggeriert dem Täter, dass sich Menschenhandel lohnt.

FIZ-Fachfrau Fanie Wirth. (Foto: zvg)

Denn finanziell habe sich die Straftat gelohnt. Wären die Frauen für die Hausarbeit korrekt angestellt und entlöhnt worden, hätte der Täter mehr blechen müssen als für die Strafe, die er jetzt für das Delikt erhalten hat.

Die Folgen bleiben ein Leben lang

Wirth weiss: «Die Schweiz kümmert sich unzureichend um den Menschenhandel hierzulande. Egal, wo man hinschaut, findet man Opfer – in jeder Branche.» Ob im Sexgewerbe, bei Hausangestellten, im Bau- oder Gastgewerbe und in der Landwirtschaft. 2023 wurden bei spezialisierten Fachstellen insgesamt 197 Opfer von Menschenhandel gemeldet. Es kam aber nur zu 8 strafrechtlichen Verurteilungen wegen Menschenhandels. Fanie Wirth sagt:

Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nicht abschätzen. Wir rechnen aber fest damit, dass ein Grossteil der Fälle gar nie ans Licht kommen, weil sich die Opfer in prekären Lagen befinden und ihre Rechte nicht kennen.

Opfer von Menschenhandel kommen oft aus Drittstaaten und haben keine Chance auf eine legale Migration. Sie sind aus finanziellen Nöten eher bereit, ein unseriöses Jobangebot anzunehmen. Ihre prekäre Lage nutzen die Täter für die Arbeitsausbeutung aus. 
 
Ähnlich erlebten es Hausangestellte des milliardenschweren Hinduja-Clans aus Indien. Der Clan lebt in einem noblen Vorort von Genf und liess seine Hausangestellten unter sklavenähnlichen Bedingungen bei sich arbeiten und leben – und das während zwanzig Jahren! Monatslohn: 300 Franken. Die Löhne wurden auf Konti ausgezahlt, auf die die Arbeitenden gar keinen Zugriff hatten. Das Urteil des Genfer Strafgerichts: Kein Menschenhandel, lediglich schwerer Wucher. Die Geldstrafen sind für die Milliardärsfamilie nur Kleingeld. Die Opfer dagegen haben schwere Schäden erlitten, die sie für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen müssen.
 
«Personen, die es schaffen, aus einer solchen prekären Lage auszubrechen, befinden sich oft am Tiefpunkt und brauchen Unterstützung. Beispielsweise werden sie wegen sehr schwerer Arbeit physisch schwer krank, in den meisten Fällen tragen sie ein Trauma aus der Ausbeutung davon und leiden unter psychischen Störungen.» Weiter verfallen die Opfer auch oft in eine Suchtkrankheit, so Wirth. 

Europäischer Tag gegen Menschenhandel

Zum Europäischen Tag gegen Menschenhandel stellt die Plateforme Traite, ein schweizweites Netzwerk gegen Menschenhandel, klare Forderungen auf: Solche Delikte müssen strenger bestraft werden. Die Fälle aus Andelfingen und Genf zeigen exemplarisch auf, dass die Strafen zu mild und die Genugtuungszahlungen zu tief sind. Das Netzwerk kritisiert zudem, dass Strafprozesse im Bereich Menschenhandel grosse Widersprüche in sich bergen. Die Opfer erleiden massive Ausbeutung, müssen sich bei der Teilnahme an einem Strafprozess enormen Risiken aussetzen und erhalten dafür dann fehlende Gerechtigkeit sowie geringe Entschädigungen.

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