Sri Lankas Teepflückerinnen klagen an
Gegen Barone und Blutegel

Auf Sri Lankas Teeplantagen ­herrschen Hunger und Zustände w­ie zur Kolonialzeit. Jetzt wehrt sich eine Gewerkschaft mit einem Arbeiterinnen-Tribunal.

SCHWARZTEE-BOOM: Pflückerinnen bei der Tee-Ernte in Sri Lanka, ehemals Ceylon.
Sie ­chrampfen zu veritablen Hungerlöhnen. (Foto: Solifonds)

Mögen auch Sie Schwarztee? Mit Milch und Zucker? Laut Coop ist der koffeinhaltige Muntermacher der beliebteste aller Aufgüsse. Der Detailhändler muss es wissen. Denn Teetrinken trendet. Die Durchschnittsschweizerin genoss schon 2015 ­beachtliche 3,7 Deziliter Tee am Tag. So meldet es das Bundesamt für Lebensmittelversorgung. Seither ist der Konsum – auch bei Männern – massiv gestiegen. Stichwort «gesunder Lebensstil». Und mit dem Homeoffice-Hype nach Corona schoss die Nachfrage abermals in die Höhe.

Am «Reclaim Democracy»-Kongress machte nun die Schweizer NGO Solifonds auf die Kehrseite dieses Trends aufmerksam. Ein Grossteil des Schwarztees kommt nämlich aus Sri Lanka, der früheren britischen Kolonie Ceylon. Geblieben ist nicht nur der Name für den berühmten Tee. Auch die Arbeitsverhältnisse auf den Plantagen muten noch immer an wie vor 200 Jahren. Nicola Caduff vom Solifonds sagte:

Wir reden von ‹Reclaim Democracy›, also der ‹Zurückforderung der Demokratie›. Doch für die Teepflückerinnen passt der Slogan nicht. Denn wahre demokratische Rechte haben sie noch gar nie gehabt.

TEE-BARONE HABEN GAV GEKÜNDIGT

Tatsächlich gehören die meisten der rund eine Million Beschäftigten in Sri Lankas Tee­industrie zur diskriminierten Minderheit der Tamilen. Und geerntet werden die Teeblätter in Handarbeit fast ausschliesslich von Frauen, deren Vorfahrinnen von den Kolonialherren aus Indien deportiert und auf der Insel als De-facto-Sklavinnen ausgebeutet worden waren. Heute pflücken die Frauen für lokale Unternehmer. Doch noch immer sind viele von ihnen Staatenlose, wohnen auf abgelegenen Plantagen in Elendsbaracken, oft mit mehreren Familien zusammengepfercht in einem Zimmer. Trinkwasser und sanitäre Anlagen sind eine Seltenheit, Schulen und Gesundheitseinrichtungen gibt es nicht. Auch in der eigentlich obligatorischen Altersvorsorge sind die Pflückerinnen nicht versichert.

Und ihr Lohn reicht immer weniger fürs Überleben. Denn die vereinigten Teebarone haben 2019 den Gesamtarbeitsvertrag gekündigt. Die Regierung sah sich in der Folge zwar gezwungen, den gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 2 Franken pro Tag um 90 Rappen zu erhöhen. Doch die Chefs reagierten mit einer drastischen Erhöhung der Erntevorgaben, womit die Löhne real sogar gesunken sind. Zudem wurde Sri Lanka ab 2019 von einer nie dagewesenen Wirtschaftskrise getroffen. Die Lebensmittelpreise stiegen bisweilen um 85 Prozent! Für die Pflückerinnen begann ein regelrechter Überlebenskampf.

BÜEZERINNEN-TRIBUNAL IN COLOMBO

Traditionell sind die Teearbeiterinnen in verschiedenen Gewerkschaften organisiert. Doch Solifonds-Experte Caduff sagt: «Viele dieser Verbände werden von Männern geführt und stehen den Unternehmern näher als den Arbeiterinnen.» Mit einer Ausnahme – der Ceylon Workers Red Flag Union (CWRFU). Diese Gewerkschaft war es denn auch, die mitten in der Krise zu einem neuen Kampfmittel griff: In der Hauptstadt Colombo organisierte sie ein grossangelegtes Arbeiterinnen-Tribunal. Dieses ist rechtlich zwar nicht bindend, hat aber eine grosse symbolische Strahlkraft. Denn CWRFU-Frontfrau Menaha Kandasamy war es gelungen, drei renommierte Richter aus Indien, Nepal und Sri Lanka zu engagieren.

RICHTER SIND «SCHOCKIERT»

Das Richtergremium hörte sich am 7. und 8. Juni die Klagen der Arbeiterinnen an – und zeigte sich danach «schockiert» dar­über, dass die geschilderten Ausbeutungspraktiken «in der modernen zivilisierten Welt andauern können». Das Tribunal hätte gerne auch die Arbeitgeber angehört, doch diese boykottierten den Prozess und schickten stattdessen Agenten des Geheimdiensts vor. Trotzdem adressierten die Richter die Teebarone direkt:

Das Recht auf Leben bedeutet mehr als nur physisches Überleben oder eine tierische Existenz!

Und der Landesregierung präsentierte das Tribunal einen 22-Punkte-Massnahmen-Plan. Gefordert wird etwa die sofortige Durchsetzung des bereits dekretierten Pflückerinnen-Mindestlohns von 4.90 Franken pro Tag. Oder aber reelle Schutzmassnahmen gegen die häufigen Schlangenbisse und Blutegelbefälle. Und nicht zuletzt empfehlen die Richter auch wirksame Strafen gegen renitente Arbeitgeber. Ob die eben erst neu gewählte Regierung all dem nachkommt? Das hängt nicht zuletzt von der Weltöffentlichkeit ab. Der Solifonds will den Druck mit einer Petition (teaworkers.ch) erhöhen.

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