Karin Keller-Sutter spielt hart gegen den sozialen Staat
Klassenkampf von oben via Bundesbudget

Die harte rechte Mehrheit im Bundesrat spielt ihre ungerechtfertigte Macht ungeniert aus. Die ­rechte Parlamentsmehrheit macht trotz ­regelmässigen Volks-Ohrfeigen freudig mit. Die fortschrittlichen Kräfte stehen vor einer weiteren Legislatur mit vielen Referenden.

NIMMT’S DEN ARMEN, GIBT’S DEN REICHEN: Finanzministerin Karin Keller-Sutter kürzt die Bundesfinanzen auf Kosten derer, die sonst schon nicht viel haben. (Foto: Keystone)

Die Neoliberalen haben eine Mission. Und die heisst: Nachtwächterstaat. Der Staat soll mit militärischen und polizeilichen Mitteln das Privateigentum schützen. Und ansonsten «die unsichtbare Hand des Marktes» wirken lassen. Sozialer Ausgleich ist ihnen ein Graus. Sozialversicherungen gelten ihnen als Übel. Die bürgerlichen Politikerinnen und Politiker im nationalen Parlament würden das öffentlich so nie sagen. Aber sie handeln danach. Ihre mächtigste Waffe sind die Finanzen. Wer dem Staat Geld wegnimmt, hindert ihn daran, sich sozial zu verhalten.

STEUERGESCHENKE AN SUPERREICHE

Die Herrin der Schweizer Bundesfinanzen ist FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Und sie betreibt das Geschäft der Staatsabbauer gut. In der Rolle der besorgten Kassenwartin tingelt sie durch die Zürcher Zentralredaktionen und jammert über leere Kassen und anspruchsvolle Bürgerinnen und Bürger. Gefüttert und flankiert wird diese Tournee durch Zahlenmaterial aus marktradikalen Denkfabriken und von Milliardären betriebenen Uni-Instituten. Zentrale Botschaften: «Der Staat gibt zu viel aus. Er muss sparen.» Und: «Der Bund hat kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem.» Und: «Das Problem sind die Sozialausgaben.»

Doch das stimmt alles so nicht. Tatsache ist, dass der Bund in den vergangenen Jahren die im internationalen Vergleich bereits extrem tiefe Schuldenquote weiter massiv gesenkt hat. Tatsache ist, dass die Sozialausgaben mit 12,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts im Jahr 2022 (aktuellste verfügbare Zahlen) sogar tiefer waren als 20 Jahre davor. Tatsache ist auch, dass der Bund in den vergangenen Jahren Steuergeschenke in der Höhe von Hunderten Millionen an Superreiche und Konzerne verteilt hat. Und Tatsache ist, dass der Bund die Schuldenbremse nicht verfassungskonform anwendet.

TRICK SCHULDENBREMSE

Die Schuldenbremse ist ein Lieblingskind der Marktradikalen. Sie funktioniert vereinfacht so: Macht der Bund finanziell ­vorwärts – entsprechend pessimistisch budgetieren hilft! –, müssen Überschüsse zwingend für den Schuldenabbau verwendet werden. Sie dürfen nicht in den Folgejahren investiert werden. Defizite hingegen müssen in den folgenden Jahren ausgeglichen werden. Weil das alles nicht auf den definitiven Rechnungsabschlüssen passiert – was der verfassungsmässige Sinn wäre –, sondern auf den Budgets, kann die bürgerliche Parlamentsmehrheit fortschrittliche Anliegen einfach bodigen. Folge: Die Schweiz hat zwar eine welt­rekordtiefe Schuldenquote. Dafür zum ­Beispiel weder genügend bezahlbare Kita-Plätze noch ausreichend Prämienverbilligungen, noch investiert sie genügend in den ökosozialen Umbau. Für Banken, Bauern und Panzer ist dagegen immer genug Geld da. (Weiteres zu den Bundesfinanzen, zur Schuldenbremse und den Folgen der neoliberalen Finanzpolitik in Bund, Kantonen und Gemeinden im 1×1 der Wirtschaft und im work-Dossier vom vergangenen ­April und hier.)

TRICK EXPERTENKOMMISSION

In den vergangenen Monaten hat Keller-Sutter diesen Klassenkampf von oben via Bundesbudget verschärft. Und sie will weiter kürzen bei den Witwen und Waisen, bei der Arbeitslosenversicherung und bei der AHV.Weil das alles langsam, aber sicher ein bisschen arg durchschaubar wurde, hat sie sich eine Expertengruppe angeschnallt. Diese stand unter der Leitung des ehemaligen SGB-Chefökonomen und Ex-Direktors der Bundesfinanzverwaltung Serge Gaillard und wurde mit einem Auftrag versehen, der so formuliert war, dass als Ergebnis gar nichts anderes als ein Abbaupaket herauskommen konnte.

Die wenigen darin formulierten Vorschläge für Mehreinnahmen ignorierte der Bundesrat in der Folge geflissentlich, ebenso die Vorschläge, die die Bauern und die Armee betrafen. Und stellte ein Kahlschlagprogramm vor: Ausgaben für die AHV, für die Kinderbetreuung, die Entwicklungszusammenarbeit und den Klimaschutz werden zusammengestrichen. Zum Teil auch im Widerspruch zu klaren Volksentscheiden. Gelder für ökonomisch Schwache werden gestrichen, Investitionen in den Klimaschutz eingestellt. Reiche und Konzerne hingegen geschont. Ab Januar geht der bundesrätliche Sozialstaat-Schrottungsplan in die Vernehmlassung.

REFERENDUMS-LEGISLATUR

Wie locker das Geld den Rechten im Parlament sitzt, wenn es um die Interessen ihrer Sponsoren geht oder um die Armee, zeigt sich gerade in dieser Session wieder: Völlig ausser Kontrolle beschloss das Parlament vier Milliarden mehr für die Armee. So konzept- und planlos, dass selbst die bellizistisch ausgerichtete NZZ-Inlandredaktion von einem «Trauerspiel» schrieb. Doch das war nur ein Vorgeschmack darauf, was die rechte Mehrheit absehbar in den kommenden Monaten noch anrichten wird: sei es bei der AHV-Finanzierung, bei neuen Steuerschlupflöchern für Superreiche und Konzerne, bei der Profitsicherung der Immobilienhaie usw. Weil sich die GLP immer auf die Seite von FDP und SVP schlägt, wenn es darum geht, von unten nach oben umzuverteilen, und die Mehrheit der Mitte meist ebenfalls, stehen die fortschrittlichen Kräfte vor einer Referendumslegislatur. Das ist und wird anstrengend. Aber es wird nötig sein. Und grosse Erfolge wie am vergangenen Wochenende geben Energie.

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