Nach harziger Verhandlung und hitziger Debatte:
Baulöhne steigen, Frührente ist gesichert!

Kontroverse Diskussionen prägten die ­Vollversammlung der Unia-Bauarbeiter-­Delegierten. Es ging um die Frage, wer wie viel für die Frührente bezahlen soll. Und ob 1,4 Prozent mehr Lohn ­genug sei.

SCHLUSSABSTIMMUNG SCHAFFT KLARHEIT: Die Mehrheit der Baubüezer in Bern sagte Ja zu den Verhandlungsresultaten. (Foto: Manu Friederich)

Signalrote Fahnen wehten letzten Samstag in den Schneemaden rund um die Berner Expohalle. Dort nämlich versammelten sich rund 450 Bauarbeiter aus der ganzen Schweiz. Sie alle waren Delegierte ihrer Unia-Regionen. Und sie alle waren aufgerufen, demokratisch über das Resultat der Lohnverhandlungen zu befinden. Keine öde Sitzung also, sondern eine lebhafte Vollversammlung, bei der es ums Wesentliche geht. Erst recht, da die Verhandlungen ein ambivalentes Resultat zeitigten. Denn für einmal ging es nicht nur um die Löhne, sondern auch um den FAR, den flexiblen Altersrücktritt mit 60 Jahren. Die Finanzen der Stiftung FAR sind nämlich in Schieflage geraten. Nicht wegen der anhaltenden Frühpensionierung der Babyboomer, sondern weil gleichzeitig die Zahl der Beitragszahler unerwartet gesunken ist. Über die genauen Gründe dieses Rückgangs wird noch gerätselt. Fest stand allerdings: Der FAR braucht eine Sanierung. Und dieser Fakt wirkte auch auf die Lohnverhandlungen.

Proteste zeigten Wirkung

Diese begannen bekanntlich mit einem Affront. Trotz guter Baukonjunktur und trotz verbreiteten Nullrunden im letzten Jahr wollte der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) erneut keine generelle Lohnerhöhung gewähren. Die Gewerkschaften Unia und Syna forderten 250 Franken mehr für alle. Und die Büezerinnen und Büezer bekräftigten diese Forderung an der grossen Lohndemo vom 21. September in Bern. Endlich bewegte sich der SBV: Er bot nun eine generelle Lohnerhöhung, allerdings nur um ein halbes Prozent. Bei einem durchschnittlichen Bauarbeiterlohn hätte dies 30 Fränkli ausgemacht – und wäre damit einer Reallohnsenkung gleichgekommen! Denn die Teuerung liegt bei 1,2 Prozent. Zwar bot der SBV auch eine Erhöhung der Gesamtlohnsumme um 1 Prozent, doch wäre diese individuell verteilt worden – also nach reinem Gutdünken der Firmen. Für die Gewerkschaften war das nicht annehmbar. Die Teuerung war schon im letzten Jahr nicht ausgeglichen worden. Die dritte und letzte Verhandlungsrunde stand daher unter keinem guten Stern. Doch die Bauleute protestierten vielerorts mit verlängerten Mittagspausen. Und die Unia machte einen Vorschlag, der neue Dynamik in die Sache brachte.

Meister wollten höheres Rentenalter

Demnach sollte die Lohnerhöhung gestückelt erfolgen: 125 Franken mehr ab 2025 und weitere 125 Franken ab 2026. Dafür sollte der Landesmantelvertrag (LMV) bis Ende 2026 verlängert werden. Der SBV nahm dies zur Kenntnis und kam dann auf den FAR zu sprechen. Sein Vorschlag: Die nötigen Zusatzkosten sollten alleine von der Arbeitnehmerseite getragen werden – konkret durch 0,5 Prozent höhere Lohnabzüge. Abermals mussten die Gewerkschaften auf den Tisch hauen. Denn damit wäre das minime Lohnangebot der Meister wieder weggefressen worden. Es kam noch dicker. Denn im Lauf der Verhandlungen stellte sich heraus, dass der SBV den FAR nur sanieren wollte, falls das Rentenalter erhöht werde. Doch die Rente mit 60 ist eine Errungenschaft, die sich die Bauleute nicht nehmen lassen! Das Ringen und Feilschen ging weiter – und ergab schliesslich doch noch ein Resultat:

  • Die Effektivlöhne sowie die Mindestlöhne werden per Januar 2025 generell um 1,4 Prozent erhöht. Das entspricht im Schnitt 85 Franken.
  • Der Finanzierungsbeitrag der Arbeitgeberseite für den flexiblen Altersrücktritt (FAR) wird um 0,5 Prozent auf insgesamt 6 Prozent erhöht. Das entspricht im Schnitt 30 Franken. Der Arbeitnehmerbeitrag von 2,25 Lohnprozenten bleibt unverändert.
  • Auf der Leistungsseite werden die Beiträge an den Ersatz der BVG-Altersgutschriften gestrichen. Eine volle Rente gibt es künftig erst nach 20 statt wie bisher nach 15 Beitragsjahren. Zudem werden die Anreize erhöht, freiwillig über 60 Jahre hinaus zu arbeiten.
  • Die Kündigungsfrist für den Gesamtarbeitsvertrag der Frührente wird von 5 auf 10 Jahre verdoppelt. 
  • Falls wider Erwarten zukünftig weitere Sanierungsmassnahmen notwendig sein sollten, werden diese von der Arbeitnehmerseite getragen, wobei diese selbst entscheidet, ob ihre Beiträge steigen oder die Leistungen sinken sollen. Das Risiko ist überschaubar, weil 2024 die maximale Zahl der Rentner in Pension geht und nach 2028 die Zahlen zurückgehen.

Dieses Verhandlungsresultat mussten die jeweiligen Parteien ihren Delegierten als Paket vorlegen. Das war auf allen Seiten nicht unumstritten.

Resultat als «Diebstahl»?

Bei den Baumeistern opponierten besonders die Sektionen Zürich, Genf und Tessin. Sie wollten keinesfalls die Löhne, sondern das Rentenalter erhöhen. Und auf Gewerkschaftsseite beantragten die Bauleute aus dem Tessin geschlossen die Ablehnung des Resultats. Regionalsekretär Giangiorgio Gargantini erklärte den Standpunkt in der Berner Expohalle wie folgt:

Im Tessin hat in diesem Jahr praktisch kein Bauarbeiter eine Lohnerhöhung bekommen. Da reichen jetzt 1,4 Prozent nirgends hin!

Zudem seien die Zugeständnisse beim FAR zu happig. Ein anderer Tessiner bezeichnete das Resultat gar als «Diebstahl».

«Lieber den Spatz in der Hand»

Auf diese Voten folgten indes viele Plädoyers für eine Annahme des Resultats. Etwa von Sebastian Gummert, Präsident der Berner Oberländer Bauleute. Er argumentierte vor allem strategisch: «Mit diesem Ergebnis haben wir immerhin 10 Jahre Ruhe beim FAR und können uns endlich voll auf den LMV konzentrieren!» Oder von Xhafer Seidu, Baupräsident aus Zürich. Er plädierte für Realismus: «Seit 2002 kämpfe ich für den Bau, aber noch nie haben wir genau das bekommen, was wir eigentlich brauchen.» Er habe lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.

Unia-Verhandlungsleiter Nico Lutz sagte:

Natürlich hättet ihr alle mehr verdient, aber unsere roten Linien haben wir erfolgreich verteidigt und zudem Kaufkraft und FAR gesichert – und die Erhöhung der FAR-Beiträge zahlen die Baumeister.

Unia-Geschäftsleitungsmitglied Nico Lutz. (Foto: Manu Friederich)

Ausserdem sei es in den letzten 12 Jahren nie gelungen, im Jahr vor der LMV-Verhandlung die Löhne zu erhöhen.

Die Schlussabstimmung schaffte schliesslich Klarheit – eine deutliche Mehrheit sagte Ja. Damit treten die Neuerungen ab Neujahr in Kraft. Klar ist damit aber auch, dass schon bald ein neuer Kampf beginnt. Jener für eine fortschrittliche Erneuerung des LMV (siehe Artikel unten).


Weichenstellung für LMV: Runter mit der Arbeitszeit

Schon bald beginnt der Kampf für einen neuen ­Bauvertrag. Die Unia-Büezer haben klare Erwartungen – und ihre ­Prioritäten gesetzt.

SCHOCKIERT: Unia-Mann Chris Kelley an der Versammlung. (Foto: Manu Friederich)

Für emotionale Ausfälle ist Chris Kelley eigentlich nicht bekannt. Doch als er an der Bau-Vollversammlung in Bern auf die jüngste Arbeitszeit-Umfrage zu sprechen kam, war sein Furor nicht zu übersehen: «Die Resultate sind schlicht schockierend!» rief der Unia-Co-Leiter Bau in den Saal. Tausende Bauleute hätten den Fragebogen bereits ausgefüllt. Gefragt worden sind sie darin, wie viel Arbeitszeit ihnen pro Tag nicht bezahlt wird – etwa bei Aufladearbeiten am Morgen, bei der Reisezeit oder bei Überstunden. Das Resultat laut Kelley:

Hochgerechnet auf ein Jahr, entgeht jedem Bauarbeiter ein ganzer Monatslohn!

Mit diesem illegalen Zustand soll endlich Schluss sein.

Forderungen

Der Landesmantelvertrag (LMV) läuft Ende 2025 aus, eine Neuauflage wird schon ab kommendem Frühjahr verhandelt. Die Unia-Bauleute haben ihre Forderungen bereits verabschiedet. Darunter: eine bezahlte Pause, komplett bezahlte Reisezeit, Ermöglichung der 4- oder 4,5-Tage-Woche bei gleichem Lohn, automatischer Teuerungsausgleich, höhere Mittagsspesen (die seit Jahren bei 16 Franken stagnieren), Bewilligungspflicht und Erhöhung der Zuschläge für Samstags- und Nachtarbeit. Auch beim Hitzeproblem will man endlich Taten ­sehen. Gefordert wird die Arbeitseinstellung ab 33 Grad, falls Beschattung nicht möglich ist.

All das ging einigen noch nicht weit genug. So forderte die Baugruppe Bern/Oberaargau-Emmental, dass die Laufzeit des LMV auf zwei Jahre begrenzt werde, falls die Meister den automatischen Teuerungsausgleich verweigerten. Die gleiche Gruppe verlangte eine Modifizierung der Überstunden-Deckelung für Strassenbauer. Das heutige Regime wirke sich im stark saisonalen Strassenbau familienfeindlich aus. Der Bauausschuss Tessin/Moesa wiederum forderte konkrete Vorschläge zur Umsetzung des 8-Stunden-Tags. Und die Mineure vom Gotthard deponierten eine Resolution, wonach im LMV die Zuschläge für den Untertagbau verbessert werden müssten. Die ­Vollversammlung machte sämtliche Forderungen zu den ihrigen – und zwar einstimmig.

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