Volkswagen plant Kahlschlag in Deutschland
Sie bietet dem grössten Autobauer Europas die Stirn

Der VW-Konzern schliesst zum ersten Mal in Deutschland Fabriken. Und zerschlägt dabei ein soziales Modell. Explosiv.

BETRIEBSRATSVORSITZENDE DANIELA CAVALLO: «VW spielt massiv mit dem Risiko, dass hier alles eskaliert.» (Foto: Keystone)

Das Problem mit Wirtschaftsjournalismus ist, dass er meistens unkritisch nachplappert, was ihm die Konzerne ins Maul legen. Die neuste der Fake-News geht so:

VW kaputt, Deutschland kaputt.

Der grösste Autobauer Europas (VW, Porsche, Audi, Škoda, Seat, Lamborghini, Bentley, mehr als 600’000 Beschäftigte weltweit) will in Deutschland drei VW-Fabriken schliessen, Zehntausende von Jobs vernichten und die Löhne der übrigen massiv senken. Daran gehe kein Weg vorbei, behauptet Konzernchef Oliver Blume. Deutschland erstarrt, denn VW ist kein Unternehmen wie andere. So sieht etwa der «Spiegel» darin «ein Symbol für den Abstieg der deutschen Industrie». Praktisch, wenn die Metallerinnen und Metaller gerade mit Warnstreiks höhere Löhne einfordern.

Nur, wie schlimm steht es wirklich um VW? Aus der Arbeit seiner Belegschaften hat der Autobauer im letzten Geschäftsjahr 322 Milliarden Euro Umsatz und 18 Milliarden Euro Reingewinn gezogen. 4,5 Milliarden flossen sogleich an die Aktionärinnen und Aktionäre, gut 2 Milliarden kassierte allein der Clan um die Familien Porsche und Piech, der 53 Prozent der Aktien hält. Zudem:

In den letzten drei Jahren hat der Konzern 22 Milliarden Gewinn ausgeschüttet – weit mehr, als VW für eine starke Zukunftsstrategie benötigen würde.

Vor allem aber sitzt der Konzern auf einem fetten Polster von 137 Milliarden Euro Gewinnreserven. Im Duo mit dem monströsen Schweizer Rohstoffkonzern Glencore kauft sich VW in Brasilien und anderswo gerade Minen für strategische Baustoffe wie Nickel. Europas grösster Autobauer ist ein schwerreicher Multi.

Zukunftsängste und Wut

So viel zum tränenreichen Gejammere von VW-Boss «Olli» Blume vor der Belegschaft, die «Familienkasse» sei leer, also müsse die Familie jetzt zusammenhalten und Opfer bringen: «Ihr könnt auf mich zählen, und ich zähle auf euch!» Darauf schallte ihm von den Arbeitenden entgegen:

Wir sind Volkswagen – aber ihr seid es nicht!

Das Gerede von der «grossen VW-Familie» verfängt nicht mehr. Wer sich bei Schichtwechsel in Wolfsburg vor das Tor 17 des Werkes stellt, hört Zukunftsängste und Wut. Allen ist klar: Hinter dem Kahlschlag steckt in Wahrheit der Plan, das soziale Modell des Industriekonzerns zu zerschlagen. Die Rendite, so hat Finanzchef Arno Antlitz (Ex-McKinsey) befohlen, müsse von 2,3 Prozent auf 6,5 Prozent steigen. Allein VW müsse deshalb sofort 10 Milliarden einsparen. Übersetzung: Die Büezer sollen für Managementfehler bezahlen und allein die ganze Last des Strukturwandels in der Autobranche tragen.

WÜTENDE BELEGSCHAFT: Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo spricht zu den Arbeitenden in Wolfsburg. (Foto: Keystone)

Schon vor den ersten Gesprächen mit der Gewerkschaft IG Metall hatte Blume die diversen Tarifverträge geschreddert, die den Arbeitenden Jobsicherheit, korrekte Arbeitszeiten, Löhne und Sozialleistungen sicherten. Das sollte den Weg für den Abriss freimachen.

Bruch der Sozialpartnerschaft

Für die IG Metall war die Vertragskündigung ein Schock, der Bruch einer jahrzehntealten, innigen Beziehung. VW stand für die deutsche Sozialpartnerschaft. Unter dem Titel «Mitbestimmung» sitzen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Aufsichtsrat von VW (was immer wieder zu Bestechungsskandalen führte). In allen Krisen bot die IG Metall dem Kapital Hand zu Lösungen. Als schon einmal 30’000 Jobs abgebaut werden sollten, einigte man sich auf die Viertagewoche – mit Lohnverlust. Nach dem «Dieselgate» von 2015 (manipulierte Abgastests), das VW an die 30 Mil­liarden kostete, machten die Büezer mit höheren Kadenzen und mehr Arbeitszeit die Scharte wett. Pikante Erinnerung am Rande: VW wurde Ende der 1930er Jahre auf Befehl von Adolf Hitler gegründet. Das Kapital dafür nahmen die Nazis aus den beschlagnahmten Vermögen der Gewerkschaften.

Ende der Geduld

Hört man nun der Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo zu, ist es vorbei mit der Geduld und der kapitalistischen Herrlichkeit. Sie versteht Blumes Pläne als Kriegserklärung:

Das ist nicht das übliche Säbelrasseln vor einer Lohnrunde. Das ist der Plan des grössten deutschen Industriekonzerns, in seiner Heimat den Ausverkauf zu starten. Bei Volkswagen stehen Zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Daniela Cavallo. (Foto: Getty Images)

Offensichtlich will VW die lange verpasste Wende zum E-Auto durch Auslagerungen und sozialen Abbruch kompensieren. Das schont die Aktionärinnen und ­Aktionäre. Cavallo weiss um die Probleme der Autoindustrie. Das Management ist viel zu spät ins E-Auto eingestiegen. Und hat dann blöderweise auf teure Modelle gesetzt. Anders als die erfolgreiche Konkurrentin Toyota und die chinesischen Newcomer vernachlässigt VW hybride Antriebe. Und: In der Produktion eines E-Autos steckt viel weniger lebendige Arbeitskraft als in einem Verbrenner.

Deshalb machen die Gewerkschafterinnen im Aufsichtsrat seit Jahren handfeste Vorschläge, wie Können und Wissen der Arbeitenden in einer innovativen Industrie für E-Mobilität entfaltet werden könnten. Die Besitzer aber stellten sich taub. Die entscheidende Frage sei doch, sagt Cavallo, «wofür diese brutalen Einschnitte gut sein sollen». VW habe noch immer «kein Konzept für die künftige Produktpalette und keinerlei Idee, wie wir die Technologieführerschaft zurückgewinnen».

25’000 VW-Büezerinnen und -Büezer demonstrierten jetzt an elf Standorten, um endlich gehört zu werden. Cavallo sagt:

VW spielt massiv mit dem Risiko, dass hier alles eskaliert. Und damit meine ich, dass wir die Gespräche abbrechen und machen, was eine Belegschaft machen muss, wenn sie um ihre Existenz fürchtet.

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