Längere Ladenöffnungszeiten in Berner Innenstadt
Fettes Minusgeschäft für die Verkäuferinnen

Genau seit einem Jahr sind in der Berner Innenstadt die ­Läden jeweils am Samstag ­länger geöffnet. work hat mit ­einer Berner Verkäuferin über die negativen Auswirkungen der Extrastunde gesprochen.

EIN VERIRRTER TOURIST? Kurz vor Ladenschluss trudeln am Samstag sonst kaum noch Kunden in die Läden. (Foto: Getty Images)

Seit dem 1. Dezember 2023 müssen Shopperinnen und Shopper in Bern im neuen Takt ihre Einkäufe erledigen. Der Regierungsrat genehmigte dafür eine Änderung der Ladenöffnungszeiten. Der Abendverkauf wird donnerstags um eine Stunde gekürzt, dafür bleiben die Läden samstags eine Stunde länger offen, also bis 18 Uhr. Das Pilotprojekt läuft nun genau ein Jahr. Geplant ist es bis Ende 2025. Höchste Zeit, beim Verkaufspersonal nachzufragen, wie es läuft.

Claudia Berger* (22) arbeitet in einem Bekleidungsgeschäft in der ­Berner Innenstadt. Sie sagt:

Umsatztechnisch rentiert der längere Samstag bei uns überhaupt nicht. In dieser Stunde verkaufen wir nicht mehr. Was aber klar ist: Für uns als Personal ist das ein fettes Minusgeschäft.


Berger und ihr gesamtes Team sind sich einig: Der längere Samstag frisst nur noch mehr vom Privatleben weg. «Für die Kundschaft klingt das nach nicht viel: eine Stunde länger arbeiten am Samstag. Doch für uns im Verkauf macht eine Stunde mehr oder weniger Wochenende natürlich etwas aus», so Berger. Gerade jetzt im Winter, wo es früh dunkel wird, sei das sehr frustrierend. Will man am Samstagabend noch mit Freunden ins Res­taurant oder in eine Bar, wird das mit dieser ­Extrastunde noch komplizierter.

Besonders schwierig für Mütter

Verkäuferin Berger sagt, dass der längere Samstag körperlich anstrengend ist:

Wenn man schon die ganze Woche auf den Beinen war und dann am Samstag noch eine Stunde länger muss, ist man irgendwann einfach k. o. Zudem haben wir trotz längerem Arbeitstag nur eine halbe Stunde Pause. Sich da zu erholen, ist schwierig.

Arbeitsrechtlich befindet sich das Geschäft von Berger mit der Pausenregelung (leider) im grünen Bereich: Wer zwischen sieben und neun Stunden arbeitet, hat gemäss ­Arbeitsgesetz eine Pause von 30 Minuten zugute (mehr dazu hier).

Besonders für ihre Kolleginnen mit Kindern sei die längere Samstagsarbeit nicht ­optimal, sagt Berger. «Die Mütter bei uns im Team haben dadurch eine Stunde weniger mit ihren Kindern und müssen sich für den längeren Samstagnachmittag eine Betreuungs­lösung suchen. Gerade für Alleinerziehende kann das sehr kompliziert werden», so die Verkäuferin.

Nicht erholt und unzufrieden

Und wen lockt nun der längere Samstag tatsächlich in die Läden? «Ehrlich gesagt trudeln kurz vor Ladenschluss nur noch vereinzelte Touristinnen und Touristen in unseren Laden», so Berger.
Anna Meier, Teamleiterin Tertiär bei der Unia Bern/Oberaargau-Emmental, kennt die Unzufriedenheit des Verkaufspersonals aus erster Hand. Sie sagt:

Der längere Samstag ist für das Personal eine Zumutung. Sie zahlen mit ihrer fehlenden Erholung, einem noch schwieriger zu organisierenden Privatleben, als sie es so oder so schon haben, und mit der allgemeinen Unzufriedenheit einen hohen Preis.»

Gerade ­im Hinblick auf das anstehende Weihnachts­geschäft sei es wichtig, die Verkäuferinnen ­vor weiteren Verlängerungen der Ladenöffnungszeiten und noch mehr Verkaufssonntagen zu schützen.

BALD BRUMMT DAS WEIHNACHTSGESCHÄFT: Verkäuferinnen eine hektische Zeit. (Foto: Keystone)

Dem Weihnachtsgeschäft blickt Verkäu­ferin Berger hingegen gelassen entgegen. «Die Weihnachtszeit ist immer hektischer und stressiger. Das gehört zum Beruf und ist wahrscheinlich gar nicht zu umgehen. Aber natürlich wünschen wir uns, dass man auf das Personal auch in dieser Zeit mehr Rücksicht nimmt.»

*Name geändert


Shoppingwahn: Nonstop auch am Sonntag

Nicht nur das Berner Verkaufspersonal muss unter dem Deckmantel der «Flexibilität» Angriffe auf die Ladenöffnungszeiten hinnehmen. Schweizweit laufen mehrere Initiativen, welche die Öffnungszeiten ausdehnen möchten.

Foto: Keystone

Turbolädeler

In Zürich preschen die rechten Parteien von SVP bis GLP mit grossen Schritten vor. Das Ziel: Im Kanton Zürich sollen nicht wie bislang zwei Verkaufssonntage erlaubt sein, sondern zwölf. Damit müsste das Zürcher Verkaufspersonal jeden vierten Sonntag für die Arbeit opfern, statt sich zu erholen.

Auch in St. Gallen scheinen die Bürgerlichen bei der Ausdehnung der Arbeitszeiten das Personal dahinter komplett auszublenden. Die Läden sollen von Montag bis Samstag bis 22 Uhr geöffnet haben. Dagegen liegt nun ein Referendum vor, über das im Dezember entschieden wird.
Auch die Idee der Erwei­terung der Tourismuszonen boomt. Konkret dürfen in solchen Zonen die Läden jeden Sonntag geöffnet haben. Dafür engagiert sich Bundesrat Guy Parmelin (SVP, Bild). (dak)

Verkäuferinnen und Verkäufer, wehrt euch!

Die Gewerkschaft Unia fordert: Stoppt längere Ladenöffnungszeiten! Denn die direkte Konsequenz kriegt das Personal brutal zu spüren: Die Folgen sind mehr Druck und mehr Stress. Nicht nur das Privatleben leidet darunter, sondern auch das Risiko von Krankheit steigt, wie mehrere Studien belegen. Auch die Konsumentinnen und Konsumenten haben kein Bedürfnis nach längeren Ladenöffnungszeiten. Die Stimmberechtigten lehnten drei Viertel der Abstimmungsvorlagen für längere Ladenöffnungszeiten ab.

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