Künzi wählt
Die Wahlnacht auf der linken Sofaecke

Foto: Yves Thomi

Ich habe Schagge gefragt, ob ich am 5. November zu ihr kommen kann. Ich wusste, alleine halte ich das nicht aus (US-Wahltag). Schagge sagte grinsend: «Yes, yes, you can!» Sie werde dann Burger und Fritten ­machen, und wir schauen die ganze Nacht Live-Berichterstattung. Aber als ich dann bei Schagge ankam, war sie nicht da. Ich konnte trotzdem rein, weil ich hab einen Schüssel für Notfälle. Und diese Wahlen waren aus meiner Sicht ein krasser Notfall. Schagges Kater Röschti blickte mich misstrauisch an. Er ist sehr eigenwillig und beisst, wenn man sich ­in die linke Sofaecke setzt. Ich hab ihm chli Rösti gegeben, damit er mich mag, und gewartet. Dann hab ich überlegt, ob ich schon mal ohne Schagge den TV einschalten soll, aber ich traute mich nicht. Es bringt’s ja nicht, wenn ich dann die ganze Zeit nur durch Gitterfinger schauen und den Ton abdrehen muss, weil ich so Panik habe, dass der Spinner gewinnt.

Wind

Da klingelte es, und Schagges Nachbar ­Albert stand vor der Tür. Jetzt sei ihm doch ­gopferdeckel sein Rucki geklaut worden mit allem: Geld, Telefon, Schlüssel! Ob er reinkommen dürfe? Klar, sagte ich und machte ihm einen Tee. Mich dünkt, in diesem Wahljahr mach ich dauernd Tee für irgendwelche verzweifelten Menschen. Alle sind irgendwie durch den Wind.

Päng

Albert sagte mit zittriger Stimme, er könne sich öppe schon denken, wer das gewesen sei. Er habe sich immer gewehrt gegen dieses Asylantenheim, und päng, genau da sei ihm der Rucki weggekommen. «Das ist doch Quatsch, Albert!» sagte ich. Aber Albert liess sich nicht davon abbringen. «Das ­haben wir davon, dass wir immer mehr von denen reinlassen!» Ich war zu entnervt, um eine gegenteilige Statistik zu googeln. Mit ­Fakten war Albert sowieso nicht zu erreichen. Er denkt ja auch, dass die Klimaerwärmung nur erfunden sei. Wo war bloss Schagge?

Pech

«Ich kann froh sein, dass ich noch lebe», ­jammerte Albert weiter. Man müsste endlich ­richtig durchgreifen. Er setzte sich aufs Sofa, in die rechte Ecke. «So wie Trump!» Da nahm ich ihm den Tee weg und sagte, er solle verschwinden. «Aber ich habe doch keinen Schlüssel und kein Telefon!» «Dein Pech! Du bist doch gegen Asyl, also tschüss!» Er zottelte fluchend ab und sagte so was wie: «Scheissleben» oder «Scheisslesben». Ich habe es nicht verstanden.

Als Schagge endlich kam, hatte ich schon alles Popcorn gegessen, und mir war schlecht. Ich sagte, ich würde lieber einen guten Film schauen statt US-Wahlen. Sowas wie «La vita è bella». Schagge nickte und machte Spaghetti al dente mit Pesto. Dann setzte sie Röschti vor die Tür («Katzen sind nachtaktiv!»), und wir hatten einen prima Abend auf Schagges Sofa. Und das mit den Wahlen … Oh my God!

Sandra Künzi lebt und büglet in Bern. Sie mag Jassen, Schafe, Feuer und Bier. Zurzeit ist sie freiwillige, nicht ganz unabhängige Beobachterin des Wahlkampfes in den USA. Direkt aus dem Schweizer Wohnzimmer.

Bei Redaktionsschluss am 5. 11. war der Ausgang der US-Wahlen noch nicht bekannt.

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