Kampf um das Stahlwerk Gerlafingen
Aufgeben ist keine Option!

Der grösste Recyclingbetrieb der Schweiz ist wieder in Betrieb. Doch die Zukunft des Stahlwerks in Gerlafingen bleibt höchst ungewiss. Wirtschaftsminister Parmelin verweigert weiterhin jegliche Unterstützung. 

GIGANTISCHE MENGE: Pro Jahr rezykliert das Stahlwerk rund 700’000 Tonnen Schrott.

Geräusche von schweren Maschinen und Metall hallen vom Schrottplatz her über Gerlafingen, und über dem Kamin des Stahlwerks steigt weisser Rauch auf. Nach zwei Wochen Kurzarbeit hat der grösste Recyclingbetrieb der Schweiz seinen Betrieb Ende Oktober wieder aufgenommen. Heinz Grolimund (54), der als Richtmeister im Stahlwerk arbeitet, hat am Abend zuvor Bundesrat Guy Parmelin im «Rundschau»-Interview des Schweizer Fernsehens gesehen: «Unsere Nachricht scheint bei ihm noch nicht angekommen zu sein.» Auch Markus Pfander (50), der als Tagesmeister die Arbeitsschichten koordiniert, ist ernüchtert: 

Die Industrie ist für ihn ein rotes Tuch. Parmelin bleibt auf seiner Meinung hocken und sagt immer das Gleiche.

Was Parmelin in der «Rundschau» sagte: «Die Stahlwerke in der Schweiz sind leider nicht unersetzlich.» Der Bundesrat müsse rational und hart bleiben, denn das Geld wachse nicht von den Bäumen.

Kundgebung: Stahl Gerlafingen muss bleiben!

Die Arbeiterinnen und Arbeiter von Stahl Gerlafingen kämpfen um ihre Arbeitsplätze und den Erhalt des Stahlwerks. Am 9. November findet eine grosse Solidaritäts-Kundgebung vor dem Werk in Gerlafingen statt. 

Samstag, 9. November 2024
11.00 – 12.30 Uhr
vor dem 
Stahlwerk in Gerlafingen
(Treffpunkt: Bahnhof Gerlafingen)

Die Forderungen der Unia:

  • Keine Entlassungen! Sicherung aller Arbeitsplätze durch Kurzarbeit.
  • Sofort-Massnahmen der Politik zur Rettung von Stahl Gerlafingen.
  • Eine Industriepolitik zur nachhaltigen Sicherung der Produktion von Recycling-Stahl in Gerlafingen.

Bundesrat blockiert

Doch ist die Haltung des Bundesrates wirklich rational? Nicht nur bei den Stahlarbeitern, sondern auch in der Politik von links bis rechts gibt es grosse Zweifel und Wut über die Blockadehaltung des Bundesrates. Der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark, der mit einer parlamentarischen Motion Notmassnahmen für Stahl Gerlafingen fordert, bezichtigt seinen Parteikollegen Parmelin gar der Verbreitung von Fake News. Denn Parmelin sagte in der «Rundschau», dass es in einem Umkreis von 150 Kilometern um die Schweiz 20 Stahlwerke gebe, die mit ihrer Produktion den Schweizer Markt sieben- bis achtmal decken könnten. Richtmeister Grolimund ist sehr erstaunt über diese Aussage: «Ich weiss nicht, woher er diese Zahl hat.» Und tatsächlich: Im Register für Beton- und Bewehrungsstähle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) gibt es in den Grenzregionen der Schweiz nur drei Werke, die Stahlprodukte für den Bau herstellen.

Eine Frage der Souveränität und Ökologie

Tagesmeister Pfander sagt: «Während der Coronapandemie haben wir gemerkt, dass es nicht gut ist, von Fabriken im Ausland abhängig zu sein.» Die Schweizer Bauindustrie brauche inzwischen 1,1 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr, wovon Gerlafingen mehr als 40 Prozent liefere. Grolimund sagt: «Die zweite Gotthardröhre muss nach den neuen Beschaffungsvorschriften des Bundes mit grünem Stahl gebaut werden.» Und fragt: «190 Lastwagen mit Schrott, die täglich ins Ausland fahren müssen und mit Stahl in die Schweiz zurückfahren, ist das dann ökologisch?» 

Auf dem Schrottplatz

Heute wird ein Grossteil des Schweizer Stahlschrotts per Bahn nach Gerlafingen transportiert. Auf dem Schrottplatz neben dem Stahlwerk sitzt Femi Rudai (42) in seinem Bagger und sortiert den Schrott, der gerade angeliefert wurde. Er und seine fünf Teamkollegen machen hier die Rohstoffe für das Recycling im Stahlwerk bereit. Während seiner Mittagspause sagt er zu work: «Die Geschichte ist bedrückend, ich halbe schlaflose Nächte. Es ist himmeltraurig was hier abgeht!» Im Moment sehe es überhaupt nicht gut aus, aber aufgeben sei für ihn, der seit 12 Jahren im Betrieb arbeitet, keine Option. Von der Demo auf dem Bundesplatz im Oktober hat er auch eine Unia Fahne mitgenommen, die nun über dem Schrottplatz weht. Am 9. November (siehe Box unten) werde er mit seinen Kollegen erneut für den Erhalt des Stahlwerkes demonstrieren. Auch Grolimund und Pfander werden an der Grossdemo in Gerlafingen teilnehmen. 

STAHLBÜEZER FEMDI RUDAI: «Es ist himmeltraurig, was hier abgeht!» (Foto: isc)

Mit Maillard bei Parmelin

Als Mitglieder der Betriebskommission sind Grolimund und Pfander vor der Gerlafinger Demo auch nochmals nach Bern gereist. Mit einer Delegation unter der Leitung von SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard haben sie Bundesrat Parmelin persönlich getroffen. Sie haben ihm nicht nur die Petition zum Erhalt des Stahlwerks übergeben, die notabene von über 15’000 Menschen unterschrieben wurde, sondern ihn auch nach den Standorten der neuen Schweizer Offshore-Stahlwerke gefragt und mit ihm über die Folgen der fehlenden Industriepolitik in der Schweiz gesprochen. Maillard sagte auf dem Bundesplatz dazu:

Was der Bundesrat macht, ist auch Industriepolitik: Es ist eine ­Politik der Deindustrialisierung!

Markus Baumann, der Unia-Mann aus Solothurn, der wegen der angedrohten Schliessung von Stahl Gerlafingen seit Wochen auf Trab ist, sagt: «Die nächsten Wochen werden entscheidend sein für die Zukunft des Stahlwerks.» Aber nicht nur der Bundesrat müsse sich bewegen. Baumann fordert auch von der Beltrame-Gruppe einen Verzicht auf die 120 angekündigten Entlassungen. Baumann sagt: «Das Stahlwerk ist Teil der Lösung, das muss allen Beteiligten klar werden!»

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.