worktag
Bauarbeiter Luis Filipe da Silva Faria (38): «Ich schaffe, um zu leben, nicht umgekehrt!»

Mit 18 Jahren kam Luis Filipe da Silva Faria in die Schweiz. Um auf dem Bau ein paar Jahre Geld zu ­verdienen. Jetzt ist er schon sein halbes Leben hier, doch bald möchte er mit seiner Familie definitiv ­zurück nach Portugal.

FÜR BAUARBEITER Luis Filipe da Silva Faria (38) steht Qualität vor Quantität. (Foto: Stefan Bohrer)

Die Baustelle in einem Wohnquartier von Aesch BL versinkt an diesem Novemberabend im Schnee. Die Konturen des Rohbaus aus Beton sind in der Dunkelheit nur noch knapp erkennbar. Im Innern des Baucontainers das Kontrastprogramm: Neonlicht und ein Elektroofen, der die Kälte aus den Knochen treibt. Luis Filipe da Silva Faria (38) offeriert einen Kaffee und sagt:

Keine Ahnung, wie wir hier morgen früh arbeiten sollen, bei dem Schnee brauchen wir den halben Tag, um die Baustelle freizuschaufeln.

Aber er und sein Team müssen am nächsten Morgen auf jeden Fall wieder paratstehen. Dann entscheide der Bauführer, wie es weitergehe.

In 20 Jahren zum Vorarbeiter

Die vier Arbeitskollegen von da Silva haben bereits Feierabend, nur noch ihre orangen Arbeitskleider hängen in der Baracke. Auf dem Tisch liegen die Baupläne des Mehrfamilienhauses, das im Herbst 2025 ­bezugsbereit sein soll. Da Silva sagt: «Ich zeichne Pläne, vermesse die Baustelle mit dem Taxymeter und organisiere die Arbeit meiner Kollegen.» Seinen Beruf als Vorarbeiter hat der gebürtige Portugiese in den letzten zwanzig Jahren auf verschiedenen Baustellen gelernt. Als da Silva in die Schweiz kam, begann er als ungelernter Arbeiter auf dem Bau. Er sagt:

Es gab für mich wenig andere Optio­nen, denn ich konnte kaum Deutsch sprechen.

Grossbaustellen

Nach seinen ersten Jobs fand da Silva eine Festanstellung bei Implenia. Während zwölf Jahren arbeitete er für den Konzern auf Grossbaustellen. Auch wenn der Arbeitsalltag dort oft stressiger gewesen sei, möchte da Silva in Zukunft wieder für eine der Grossfirmen Implenia, Frutiger oder die Marti AG arbeiten. Da Silva sagt: «Kleine Baufirmen sind meistens weniger gut ­organisiert, und es dauert länger, bis Baumaterialien oder Werkzeuge aus dem Magazin geliefert werden.» Dann gebe es trotzdem Stress, auch wenn in der ­Planung eigentlich genügend Zeit vorgesehen war.

Da Silva wäre gerne bei Implenia geblieben, aber nach dem Hochhausbau in Pratteln BL gab es kein Projekt mehr in der Nähe von Basel. Er akzeptierte einen Job im Kanton Luzern. Für den Arbeitsweg mit dem Auto brauchte da Silva pro Tag drei Stunden oder mehr. Keine guten Voraussetzungen für das Familienleben. Vor einem Jahr begann er deshalb bei der ­Solothurner Baufirma Albin Borer, für die er jetzt wieder in der Agglomeration von Basel arbeiten kann.

Sicherheitsregeln

Stress und zu wenig Personal sind für da Silva die grössten Probleme in seiner Branche:

Für die gleichen Arbeiten werden immer weniger Leute eingeplant, und gleichzeitig gibt es immer mehr Sicherheitsregeln und Kontrollen der Suva.

Zum Beispiel müssten sie ab dem neuen Jahr auch bei Deckenschalungen schon ab zwei Metern Höhe Absturzsicherungen montieren. Das sei ein zusätzlicher Zeitaufwand, der in der Planung oft nicht berücksichtigt werde. Da Silva sagt: «Wenn wir mehr Zeit haben, können wir auch bessere Arbeit machen, und wenn schlechte Arbeit nachträglich korrigiert werden muss, kann das sehr hohe Folgekosten haben.» Für ihn müsste die Qualität generell vor der Quantität kommen.

Gewerkschaftsmitglied

Aus diesem Grund ist da Silva auch bei der Unia: «Ich mache das nicht nur für mich, sondern vor allem auch für die Gemeinschaft.» Vor 15 Jahren kam ein Sekretär der Unia auf die Baustelle und hat da Silva von der Gewerkschaft überzeugt. Am Wochenende ist er als Delegierter der Baugruppe zur Unia-Versammlung nach Bern gereist. «Wir haben über die Resultate der Lohnverhandlungen abgestimmt». Die Lohnerhöhung von 1,4 Prozent findet da Silva völlig ungenügend angesichts der Teuerung und der stark steigenden Krankenkassenprämien. Er sagt:

Wenn das über zehn Jahre so weitergeht, verarmen wir.

Mit seinen Kollegen spricht da Silva aber in der Regel nicht über seinen Lohn. Nur so viel könne er sagen: Er verdiene mehr als den Mindestlohn.

Streik und Streikbrecher

Bei den Verhandlungen für die Erneuerung des Landesmantelvertrags (LMV) im Jahr 2022 hat da Silva auch schon mal gestreikt. Er sagt: «Das war damals eine sehr emotionale Geschichte, denn es gab einige Streikbrecher, die nicht verstehen wollten, dass wir zusammen kämpfen müssen.» Aber am Ende sei der Streik dann doch sehr erfolgreich gewesen.

Rückkehr nach Portugal

Auch wenn da Silva seit fast 20 Jahren in der Schweiz lebt, möchte er sich nicht einbürgern lassen. Die Schweiz habe zwar die besseren Löhne, aber insgesamt sei für ihn das Leben in Portugal reichhaltiger und attraktiver:

In der Schweiz leben die Leute für die Arbeit. In Portugal arbeiten die Leute für das Leben.

Deshalb möchte er, sobald seine Schwiegereltern in zwei Jahren pensioniert werden, mit seiner Familie in seine Heimat zurückkehren und sich mit einem Baugeschäft selbständig machen.


Luis Filipe Da Silva Faria Fussball, Wandern und Lesen

Luis Filipe da Silva Faria lebt mit seiner Frau und ihrem gemeinsamen achtjährigen Sohn im Basler Dreirosenquartier. Als Kind träumte da Silva von einer Karriere als Profifussballer. Als Vierzehnjähriger spielte er während neun Monaten im Nachwuchs­team von Vitória, dem Club seiner Heimatstadt Guimarães.

Auch heute verpasst da Silva keine Vitória-Spiele, wenn auch bloss noch als TV-Zuschauer. Und auf dem Fussballplatz des FC Kleinhüningen feuert er seinen Sohn an. Ab und zu trifft sich der Baubüezer auch noch auf ein Freundschaftsspiel mit seinen Kollegen.

Bücher

Am Wochenende geht der Familienvater gerne mit Frau und Kind spazieren oder schlitteln im Park. Im Sommer zieht es da Silva zum Schwimmen an den Rhein oder für Wanderungen in die Berge. Und mindestens einmal im Jahr besucht er seine Verwandtschaft in Portugal, oder seine Eltern besuchen ihn in der Schweiz.

In seiner Freizeit liest da Silva auch sehr gerne Bücher. Am liebsten hat er Geschichten, die auf wahren Begeben­heiten basieren. Die letzte Geschichte mit dem Titel «O Refu­giado» handelte von Geflüchteten aus Syrien, die in Deutschland ein neues Leben aufbauen mussten, von ihren Träumen und ihrer lebensgefäh­lichen Flucht.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.