Das Bundesparlament macht weiter, als wäre nichts passiert
Büezer, Bonzen, Bundesbudget

Die 300 Reichsten in der Schweiz sind im vergangenen Jahr 4,8 Prozent reicher geworden. Die Mehrheit im Land hat real weniger im Sack als vor drei Jahren. Und im Bundeshaus verteilt die bürgerliche Mehrheit munter weiter um von unten nach oben.

VOODOO-ÖKONOMIE: Bürgerliche Ökonomen behaupten hartnäckig, dass dank dem «Trickle-down-Effekt» vom wachsenden Reichtum der Reichen auch die Ärmeren profitieren, weil mehr Brösmeli (oder eben Wasser) für sie übrigbleibt. Daran glauben unterdessen nicht einmal mehr die Weltbank und der Internationale Währungsfonds so richtig. (Illustration: Navid Thürauf / Rosa-Luxemburg-Stiftung)

«Denn die einen sind im Dunkeln /
Und die andern sind im Licht. /
Und man siehet die im Lichte /
Die im Dunkeln sieht man nicht.»

So reimte Bertolt Brecht 1928 für seine «Dreigroschenoper». 96 Jahre später schreibt das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» «Rekord: 152 Milliardäre» über seine diesjährige Rangliste der «300 Reichsten». Seit 1989 erscheint diese Fleissarbeit, zuerst mit den 100, dann mit den 250 und seit 1999 mit den 300 Reichsten. Als das Reichsten-Ranking zum ersten Mal erschien, besassen diese zusammen 66 Milliarden Franken. Heute besitzen alleine die zwei reichsten in der Schweiz lebenden Clans mehr Vermögen als damals alle 100 Reichsten zusammen. Die «goldene Bilanz» ist Jahr für Jahr eine ebenso unterhaltsame wie erhellende Lektüre. Erhellend auch darum, weil es 99,99967 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen nie darauf schaffen werden. Das entspricht etwa der Wahrscheinlichkeit, keinen Sechser im Schweizer Zahlenlotto zu gewinnen. A propos Glücksspiel: Die Mehrheit auf der Reichstenliste hatte einfach Glück im Geburtslotto. Oder beim Spekulieren. Die wenigsten Vermögen sind erarbeitet. Um fast 5 Prozent hat das Vermögen der Reichsten zugenommen auf den absoluten ­Rekordwert von 833,5 Milliarden Franken.

Politik für Reiche

Dem reichsten Prozent der Schweizer Steuerzahlenden gehört unterdessen fast die Hälfte der Reinvermögen. Vor 20 Jahren lag dieser ­Anteil noch bei rund 35 Prozent. Die 10 Prozent Reichsten im Land besitzen mehr als die übrigen 90 Prozent. 22 Prozent der Steuerpflichtigen ­besitzen gar nichts oder sind netto verschuldet. 30 Prozent haben ein Vermögen zwischen 0 und 50 000 Franken. Reiche und Superreiche sind also eine verschwindende Mehrheit. Aber eine sehr einflussreiche. Für sie machen die bürgerlichen Parteien Politik. Im Bund, in den Kantonen und in den Gemeinden. Studien gehen davon aus, dass mindestens ein Fünftel der wachsenden Vermögens­ungleichheit auf die Steuer- und Abgabepolitik zurückzuführen ist. Denn wenn zum Beispiel die Unternehmenssteuern gesenkt werden, profitieren nicht «die Unternehmen», sondern ihre Besitzerinnen und Besitzer.

Politik-Märchen

Wer diese Fakten nennen oder gar etwas gegen die laufende Re-Feudalisierung der Schweiz unternehmen will, dem wird der Kampfbegriff «Neid-Debatte» um die Ohren geschlagen. Aktuell gerade wieder in der völlig hysterischen Diskussion um die Juso-Erbschaftsinitiative. Die Reichen und Superreichen werden zu Opfern gemacht. Schliesslich – so ein weiteres Märchen – sind die Reichen reich, weil sie «so viel leisten» und/oder «so viel Verantwortung tragen». Darum müssten die übrigen 99 Prozent ganz besonders gut zu ihnen schauen. Weil – und noch so ein Standardsatz aus dem bürgerlichen Gebetsbuch –: «Sie schaffen Arbeitsplätze.» Ganz so, als würden Kapitalbesitzer Arbeitsplätze als Dienstleistung für die Gesellschaft schaffen und nicht deswegen, um ihr Kapital zu vermehren. Was sie aber nur können, wenn Lohnabhängige Mehrwert schaffen.

Gerne verbreiten bürgerliche Politiker auch den sinnfreien Sinnspruch: Wenn’s den Reichen gutgeht, geht’s allen gut, weil von ihrem Tisch ja auch Brösmeli fallen, die nicht fallen würden, würden die Reichen ihren Tisch woanders hinstellen. Der sogenannte Trickle-down-Effekt ist längst widerlegt – und trotzdem nicht totzukriegen. Als genauso langlebig erweist sich der Zirkelschluss: Wer viel verdient, hat viel geleistet. Weil: Sonst würde er ja nicht so viel verdienen.

War 2024 ein Jahr der Wende?

Das zu Ende gehende Jahr gibt dabei auch Anlass zur Hoffnung, dass die rechten Märchen nicht mehr so einfach wie bisher zum Erfolg an der Urne führen. Mit dem Ja zur 13. AHV-Rente haben sich die Stimmenden für die Stärkung der solidarischen AHV ausgesprochen. Mit den Nein zur BVG-Reform und zu den Mietrechtsänderungen der Finanzlobby und den Immobilien-Haien eine Abfuhr erteilt.

Das scheint daraufhin zu deuten, dass die Menschen zunehmend ihre eigene Lebenswirklichkeit über die leeren Versprechen der Reichen und ihrer politischen Vertreterinnen und Vertreter stellen.

Die Kaufkraft schwindet bis weit hinein in die Mittelschicht, und die Aufstiegsversprechen werden immer unrealistischer.

Taubes Bundesparlament

Noch stellt sich die bürgerliche Mehrheit im Bundeshaus taub. Und macht weiter mit der Umverteilungspolitik von unten nach oben. Ein paar Beispiele von vielen aus den letzten Wochen und der Budgetdebatte, die nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu Ende geht:

  • Die 13. AHV-Rente soll einzig via eine unsoziale Mehrwertsteuererhöhung finanziert werden statt über Lohnprozente. Der Anteil des Bundes soll sinken.
  • Das Steuersparvehikel der Reichen – die Säule 3 a – wir weiter privilegiert. Geld, das der Staat den Reichen und Vermögenden schenkt: 600 Millionen Franken im Jahr.
  • Die Mindestfranchise bei den Krankenkassen soll erhöht werden. Dabei bezahlen wir in der Schweiz bereits heute an die Gesundheitskosten mehr aus dem eigenen Sack als in allen anderen OECD-Ländern. Wen trifft die Erhöhung der Mindestfranchisen, die SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr (siehe auch Seite 14) angestossen hat? Es sind ältere Menschen, es sind chronisch kranke Menschen, und es sind Menschen mit kleinem Budget, die sich eine hohe Franchise nicht leisten können. Laut dem Schweizerischen ­Gesundheitsobservatorium (Obsan) gehen bereits heute rund fünfzehn Prozent der Menschen nicht oder zu spät zu einer Ärztin oder einem Arzt, weil sie Angst haben, dass sie die Rechnung nachher nicht bezahlen können.
  • Massiv mehr Geld gibt’s dafür für die Armee. Obwohl die gar keine belastbaren Beschaffungspläne hat. Und obwohl das VBS in den vergangenen Jahrzehnten kaum einen ­Kugelschreiber unfallfrei beschaffen konnte.

Und jetzt?

Die bürgerliche Mehrheit in Bundesrat und Bundesparlament wird sich auch im kommenden Jahr nicht freiwillig mässigen. Das bedeutet für die Gewerkschaften und die fortschrittlichen Parteien ein weiteres Jahr Abwehrkämpfe. Gleichzeitig müssen Ausbauprojekte etwa bei den Gesundheitskosten und bei den Renten angeschoben werden. Doch das abgelaufene Jahr zeigt, dass Erfolge möglich sind. Denn die bürgerlichen Wirtschaftsmythen entzaubern sich für immer mehr Haushalte immer offensichtlicher. Oder, wie es seit 1934 in Brechts (vermeintlichem Kinder-)Alphabet steht:

«Reicher Mann und armer Mann /
Standen da und sahn sich an. /
Und der Arme sagte bleich: /
Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.»

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