Das offene Ohr
Gratifikation: Kann ich diese einfordern?

Marina Wyss von der Unia-Rechtsabteilung beantwortet Fragen aus der Arbeitswelt.

Meine Cousine hat mir erzählt, dass sie in ihrem Betrieb auf das Jahresende hin eine Gratifikation von 500 Franken erhalte, welche die Leistungen ihrer Belegschaft im 2024 honoriere. Ich habe noch nie eine Grati­fikation erhalten und mich gefragt, ob ich eine solche am Mitarbeiter­gespräch einfordern solle, da ich ­viele Überstunden geleistet und auf diese Weise mein Unternehmen sehr unterstützt habe. Habe ich Anspruch auf eine Gratifikation?

geld zum jahresende: Manche Betriebe belohnen die Mitarbeitenden mit einem Bonus. Anders als beim ­13. Monatslohn ist dieser jedoch eine freiwillige Auszahlung. (Foto: Adobe Stock)

Marina Wyss: Nein, wenn eine solche nicht verabredet bzw. im Vertrag nicht vorgesehen ist, besteht kein ­Anspruch auf eine Gratifikation. Das Obligationenrecht definiert eine ­Gratifikation als eine Sondervergütung, die zu bestimmten Anlässen wie Weihnachten oder Ende des ­Geschäftsjahres von der Arbeitgeberin geleistet wird. Es liegt im Gutdünken der Arbeitgeberin, ob sie eine ­solche auszahlen will oder nicht. ­Lehre und Rechtsprechung nehmen an, dass eine Gratifikation nach dem Vertrauensprinzip als verbindlich ­vereinbart gilt und somit einen ­Lohnbestandteil bildet, wenn sie ­vorbehaltlos während mindestens dreier aufeinanderfolgender Jahre ausgezahlt worden ist. Vorbehaltlos bedeutet, dass die Arbeitgeberin bei der Auszahlung einer Gratifikation nicht schriftlich festhält, dass es sich um eine aus ihrer Sicht freiwillige und einmalige Zahlung handelt. Die Gratifikation (oder Bonus) hängt in der ­Regel mit dem Geschäftsgang zu­sammen und nicht so sehr mit den Überstunden, welche die einzelne ­Mitarbeiterin geleistet hat. Die ­Tatsache, dass Sie viele Überstunden leisten mussten, könnte auch mit Personalmangel zusammenhängen.

Im Unterschied zum Job meiner ­Cousine habe ich in meinem Betrieb (ich arbeite in einer Branche mit ­Gesamtarbeitsvertrag) einen ­dreizehnten Monatslohn. Dieser wird immer im Dezember auf das ­Jahresende hin ausgezahlt. Ist der dreizehnte Monatslohn denn auch eine Gratifikation?

Marina Wyss: Nein, der dreizehnte Monatslohn ist nicht eine freiwillige Zahlung der Arbeitgeberin, sondern ein Lohnbestandteil, weil der Anspruch auf einen dreizehnten Monatslohn vertraglich bzw. in einem Gesamtarbeitsvertrag vereinbart wird. Wie der Begriff schon vermuten lässt, ist ein zusätzlicher Monatslohn ­geschuldet. Der dreizehnte Monatslohn gehört zu einem der typischen Vorteile, den die Gewerkschaften in einem Gesamtarbeitsvertrag zugunsten der Arbeitnehmenden aushandeln können. Achtung: Bei einem Bewerbungsgespräch wird häufig über den Monatslohn diskutiert. Fragen Sie ­immer nach, wie viel der Jahresbruttolohn beträgt. Es bewirkt einen Unterschied, ob der besprochene Monatslohn zwölf oder dreizehn Mal aus­gezahlt wird.

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