work-Wissen
«Klein, aber selbstsicher, im ­Ledermini, knallrote Lippen»

Die Historikerin Elisabeth Joris prägte die Schweizer Frauen­geschichtsschreibung wie keine andere. Ihren Traum, ­Geschichte zu studieren, konnte sie erst nach mehreren Umwegen ­verwirklichen.

UNANGEPASST: Elisabeth Joris ist Forscherin und Aktivistin und noch heute regelmässig an Demos. (Foto: ZVG)

«Unser feministischer TV-Star kam, sah und schmierte irgendetwas Unleserliches an die Tafel.» «Klein, aber selbstsicher kommt sie daher, mit roten Strümpfen, einem schwarzen Ledermini, knallroten Lippen und irgendwo ihre grüne, blaue oder rote Brille (‹Wo ist sie?›).» So und ähnlich haben Schülerinnen und Schüler über ihre im Grunde sehr geschätzte Geschichtslehrerin Elisabeth Joris am Gymnasium Riesbach in Zürich geschrieben. Wie eine «Grundmelodie» habe sie das Unterrichten nebst all der historischen Forschung begleitet, schreibt Autorin Denise Schmid in der neuen Biographie über die Pionierin der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Ähnlich unverkrampft und ehrlich wie diese Schülerinnen-Rückmeldungen sind viele Passagen im Buch. Und verknüpfen damit Joris’ Leben mit ihrem feministischen Aktivismus, der auch und insbesondere in ihrer bahnbrechenden Frauenforschung Niederschlag fand.

Katholisches Erbe

Keuschheit und Scham spielten im erzkatholischen Wallis ihrer Kindheit eine prägende Rolle. Zunächst ging es um unkeusche Kniestrümpfe, die von den Nonnen-Lehrerinnen nicht akzeptiert wurden. Oder um die Dreistheit, als Mädchen Hosen zu tragen. Später, in ihrer Studienzeit in Zürich, konnte sie sich von dieser Scham lösen, und liess sich bereits in den 1970ern die Pille verschreiben, um sorglos mit ihrem späteren Ehemann Peter Seiler anzubandeln. Zur Geburt ihres zweiten Kindes war dann sogar die ganze Wohngemeinschaft eingeladen. 1979 begann Joris, sich als Vertreterin der FBB (Frauenbefreiungsbewegung) für die Volksinitiative «für einen wirksamen Schutz der Mutterschaft» zu engagieren. Sie hatte erlebt, was es heisst, nach nur sechs bis acht Wochen unbezahlter Mutterschaftspause wieder arbeiten zu müssen. An dem Tag, als sie das erste Mal wieder hätte unterrichten sollen, lag sie wegen einer Brustentzündung im Operationssaal.

Elisabeth Joris kam 1946 in Visp zur Welt. Ihr Vater las eigentlich immer, wenn er nicht gerade in der Lonza-Fabrik als Chemiker arbeitete. Ihre Mutter war Hausfrau und tat häufig Dinge, die Elisabeth peinlich waren und die im konservativen Umfeld auffielen. So zog sie sich morgens jeweils einen bequemen Trainingsanzug an, dazu schicke Pantoletten mit Kork-Keilabsatz. «Keine andere Frau in Visp trug so etwas!» Doch der Mutter war das egal. Im Dorf sagten sie über die Familie:

D Jorisjini sind gschit, aber nit agipasst.

Gelebte Geschichte

Während ihre Brüder aufs Gymnasium gingen, blieb Elisabeth die Matura verwehrt. Stattdessen besuchte sie die Handelsschule. Später nahm sie eine Au-pair-Stelle in England an und wurde 1970 in Zürich trotz fehlender Matura zum Geschichtsstudium zugelassen. Wenig später wurde sie ­aktiv in der linken Gruppierung «Kritisches Oberwallis» und «bekam» deshalb eine Fiche. Ihre Lizentiatsarbeit schrieb sie über den sozialen Wandel im Oberwallis, erst viele Jahre später folgte die Doktorarbeit. Zur national und international bekannten Expertin für Frauengeschichte wurde ­Joris durch die Publikation des Buches «Frauen­geschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz», das sie 1986 zusammen mit Heidi Witzig publizierte. Es war das erste umfassende Werk zu diesem Thema.

Nebst zahlreichen weiteren Publikationen, zum Beispiel über die erotische Sprache im Tunnelbau (work berichtete), ­ihrer Arbeit als Lehrerin und der Betreuung zweier Kinder und mittlerweile Enkelkinder war und ist Joris in feministischen und progressiven Kreisen aktiv, bei den Klimaseniorinnen und auch als Gewerkschafterin. Sie habe wohl an mindestens 200 Kundgebungen und Demonstrationen teilgenommen und gehe immer noch regelmässig auf die Strasse.

Die neue Biographie räumt der Kindheit und Jugend von Elisabeth Joris viel Platz ein, auf Kosten ihres wissenschaftlichen Schaffens. Dafür zeigt die Biographie ein gelebtes Stück Schweizer Frauen­geschichte.

Denise Schmid: Elisabeth Joris. Ein Leben in Geschichte(n). Hier und Jetzt, 312 Seiten, Fr. 39.–

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