Frankreich: So hängen die Krisen in Politik, Service public und Industrie zusammen
Macrons Krönung wird zum Requiem

Präsident Emmanuel Macron zerlegt die Demokratie. 300 ’000 Arbeitsplätze sind bedroht. Gewerkschaften und Gesellschaft machen mobil. 

BROMANCE: Emmanuel Macron lässt am Richtfest der Notre-Dame Donald Trump zwischen ihm und seiner Frau Brigitte Platz nehmen. (Foto: Keystone)

Das Richtfest der neuen Notre-Dame de Paris am 7. Dezember sollte zur Krönung Emmanuel Macrons werden. Hier hatte sich Napoleon Bonaparte im Dezember 1802 eigenhändig die Kaiserkrone aufgesetzt, geweiht vom Papst. Heute strahlt die 2019 -abgebrannte Pariser Kathedrale in frischem Glanze. Doch Macrons Krönung wurde zum Requiem:

Vierzig geladene Staats- und Regierungschefs, zahllose Milliardäre, der Klerus in Designer-Soutanen und viel monarchistisches Gepränge konnten die akute politische, soziale und wirtschaftliche Misere des Landes nicht mehr verdecken.

Zwei Drittel der Bevölkerung wollen Macron so schnell wie möglich aus dem Elysée-Palast vertreiben. Einer fehlte in der Notre-Dame. Papst Franziskus tauschte sich auf Korsika lieber über «Volksgläubigkeit» aus in Napoleons Geburtsstadt Ajaccio. Subtiler Wink mit dem Hirtenstab. «Ehrengast» Donald Trump (mit Musk) hingegen war da, in der vordersten Reihe. 

Schon 220 Tage Streik

Während Macron die alte Bromance mit Trump zelebrierte, bezog im Nordosten von Paris eine Spätschicht Autobüezer ihr Streikpikett. Mehr als 220 Tage schon halten sie ihre Fabrik in Aulnay-sous-Bois besetzt. MA France arbeitete für Stellantis (Peugeot, Fiat, Opel usw.) und Renault. Im Frühling erfuhr die Belegschaft von ihrer Liquidation, künftig soll in der Türkei produziert werden. Um ihre Ansprüche zu sichern, nahmen die Arbeitenden Maschinen und Werkzeuge als «Geiseln»: «Keine Schraube verlässt die Werkhalle!» Ein verzweifelter Konflikt. Zwei Metaller haben versucht, sich umzubringen, einer übergoss sich mit Benzin, Kollegen verhinderten die Selbstverbrennung. Viele haben ihren Familien immer noch nicht eröffnet, dass sie -keinen Job mehr haben.

Am 5. November war auch der Öffentlichkeit schlagartig klar geworden, wie es um Frankreich steht:

Michelin und der Detailhändler Auchan gaben am selben Tag die Zerstörung von 3654 Arbeitsplätzen bekannt.

Michelin, global Nummer zwei bei den Pneus, hat viele Millionen staatlicher Subventionen kassiert, offenbar ohne Gegenleistung. Auchan brüstet sich mit 33 Milliarden Euro Umsatz und hat gerade 98 Läden der Casino-Gruppe übernommen. Seine Angestellten sind so schlecht bezahlt, dass sie sich die Lebensmittel, die sie verkaufen, nicht leisten können.

300’ 000 Jobs weg

Quer durch fast alle Branchen schütten sich die Kapitalbesitzenden historische Dividenden aus und vernichten gleichzeitig Arbeit. Entlassungspläne («Sozialpläne» genannt) in 286 Konzernen listete die Gewerkschaft CGT auf. Bis Ende Jahr könnten 300’000 Jobs verloren sein. 

In 200 Städten sind Arbeitskämpfe entbrannt. Nicht allein in der Industrie wird um Arbeit gerungen. Bähnlerinnen, Lehrer, Ärztinnen und Pfleger, Pöstlerinnen, Taxifahrer waren Anfang Dezember im Streik. Lara arbeitet in einem Marseiller Spital:

Nichts geht mehr. Macron hat uns die Mittel aus der Hand geschlagen, unsere Arbeit zu tun. Schwierig war es schon während Covid, doch jetzt ist Schluss.

Wie hängen die Krisen in der Politik, im Service public und in der Industrie zusammen? Kurz vor Macrons missglückter Krönung war sein Regierungschef über den Versuch gestürzt, ein brutales Sparbudget durchzuwürgen. Frankreich ist hoch verschuldet, sein Defizit ist doppelt so hoch, als die EU erlaubt. Eigentlich kein Problem, denn das Finanzkapital ist gierig auf die französischen Staatsanleihen und die schönen Zinsen. 

FRANKREICHS GEWERKSCHAFTEN MACHEN MOBIL: Demonstrantinnen und Demonstranten am 12. Dezember in Paris mit der Botschaft «Nein zum Sozialabbau». (Foto: Keystone)

Vor allem aber hat Macron das Defizit und den Sparzwang bewusst herbeigeführt. Zum einen hat er die Einnahmen verringert, indem er die Steuern und Sozialabgaben der Konzerne und der Superreichen scharf senkte. Zum anderen heizte er die Ausgaben an, indem er denselben Konzernen allein 2023 mehr als 260 Milliarden Euro zuschob. Sagt der offizielle Rechnungshof: Der französische Staat ist für das Kapital zum offenen Kassenschrank geworden, in dem es sich nach Belieben an den Steuern bedienen kann. Nicht Schulen, Gesundheit, öffentlicher Verkehr, Renten und Sozialgeld lassen das Defizit explodieren, sondern die Geschenke des früheren Bankers Macron an das Kapital. 

So steht es im neoliberalen Strategiebuch:

Willst du den Service public und die sozialen Sicherheiten zerschlagen, um das Volk ungeschützt den Zumutungen des Kapitals auszuliefern, schaffe ein riesiges, künstliches Defizit.

Unter Macron wuchsen die Schulden um rund 800 Milliarden. 

Neoliberaler Bankrott

Nur erwies sich dabei das Mantra der Neoliberalen einmal mehr als Rosstäuscherei. Gehe es dem Kapital gut, sagen sie, schaffe es Jobs und Kaufkraft. Tut es nicht. Es nimmt das öffentliche Geld und rennt. Dieser Plünderungskapitalismus erklärt die extreme Bereicherung der wenigen und die explodierenden Ungleichheiten.

Hohe Gewinne sind das Vorspiel für Entlassungen und Fabrikschliessungen geworden – perverse Ökonomie. Macrons Gerede von «Re-Industrialisierung» und «Re-Lokalisierung» erweist sich als leere Propaganda. 

Mit diesem sozialen Abriss wollen die Französinnen und Franzosen brechen. Zuletzt haben sie das bei Neuwahlen im Sommer klargemacht. Mit einer riesigen Mobilisierung erzwangen sie den Wahlsieg der links-grünen «Neuen Volksfront» (NFP).

Wäre Macron ein Demokrat, hätte er nun die NFP-Spitzenkandidatin Lucie Castets mit der Regierung betrauen müssen. Doch der Präsident liess die demokratische Maske fallen und sagte sinngemäss:

In Frankreich dürfe niemand regieren, der dem Kapital nicht passe.

Er machte, nach Billigung durch die Neofaschistin Marine Le Pen, einen Rechtsbürgerlichen zum Regierungschef, dessen Partei gerade auf 5 Prozent gekommen war.

Am 13. Dezember ersetzte er ihn durch einen Mitläufer, François Bayrou. Der dürfte diesen Tag bald verwünschen. Er erntet die Früchte des Zorns. Am 12. Dezember fuhren die Gewerkschaften ihre Mobilisierung mit Aktionen in 12 Städten scharf hoch. Eisenbahnerinnen und Stromer erwägen, das Land an Weihnachten lahmzulegen.

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