Von Kanada bis Korea, von Chile bis China:
So arbeitskämpferisch war das Jahr 2024

Weltweit protestierten im letzten Jahr Büezerinnen und Büezer gegen miese Löhne, widrige Arbeitsbedingungen und geizige Konzerne.

SO STREIKT DIE WELT: Hier kommt unser Überblick zu den Streiks 2024. (Montage: work)
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Inhaltsverzeichnis

Licht aus! In der Millionenmetropole Lagos legten die Gewerkschaften den Stromschalter um: Für einen 16 Mal höheren Mindestlohn. Streiks bei Tesla, Audi, Samsung, Micarna. Oder 38 Prozent mehr Lohn für die Boeing-Belegschaft! Dies nur ein paar Müsterli aus der unvollständigen work-Zusammenstellung weltweiter Arbeitskämpfe. Unsere 29 Beispiele ­zeigen aber: Fast auf der ganzen Welt gibt es starke ­Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die sich für Gerechtigkeit einsetzten.

Europa

Schweiz

Nach der Ankündigung der Schliessung der Glasrecycling-Fabrik Vetropack in Saint-Prex VD traten die Arbeiterinnen und Arbeiter in einen siebentägigen Streik und forderten einen Sozialplan, der diesen Namen verdient. Sie erkämpften sich höhere Abfindungen, Unterstützung bei der Jobsuche sowie die Möglichkeit zur frühzeitigen Pensionierung.

Mit Herzblut setzten sich die Büezerinnen und Büezer für den Erhalt «ihres» Stahlwerkes in Gerlafingen ein. Sie zogen vors Bundeshaus, demonstrierten in Gerlafingen und solidarisierten sich mit den Kolleginnen und Kollegen von Swiss Steel in Emmenbrücke LU.

UNSICHERE ZUKUNFT: Die Belegschaft war in Kurzarbeit, der Betrieb in Gerlafingen auf Eis gelegt. (Foto: Manu Friedrich)

Tagelang streikte die Belegschaft von Micarna in Ecublens VD. Weil die Migros die Fleischfabrik schliessen und die Arbeitenden billig schassen will. Der vorgeschlagene ­Sozialplan ist schäbig, und der orange Riese weigert sich, mit der Unia zu verhandeln, obwohl diese von den Büezerinnen und Büezern mandatiert ist.

Spanien

Für die Einführung einer Frühpensionierung haben spanische Busfahrerinnen und Busfahrer dieses Jahr schon drei nationale Streiks durchgeführt. Laut den Gewerkschaften UGT und CCOO gibt es kein zweites EU-Land, in dem Chauffeure bis 67 arbeiten müssen.

Italien

Ob Zug-, Bus- oder Luftverkehr: Im Transportwesen kam es 2024 im Schnitt jede Woche zu einem Streik. Das ist doppelt so viel wie noch 2019. Hauptgrund waren die gestiegenen Lebenskosten.

Deutschland

Fast ein halbes Jahr lang verharrten 100 «Schrotter» der Recyclingfirma SRW Metalfloat bei Leipzig im Streik. Sie forderten bloss einen GAV, doch ihr Chef wollte nicht einmal verhandeln. Da verging der Belegschaft die Lust, der Grossteil wechselte zur Konkurrenz.

Österreich 

Das gab’s schon lange nicht mehr: landesweite Warnstreiks in der chemischen Industrie. Auch die Tiroler Sandoz- und Novartis-Werke standen am 2. Juni still. Resultat: ein neuer GAV und Lohnerhöhungen um 6,3 Prozent.

FÜR FAIRE ARBEIT: Die Gewerkschaften PRO-GE und GPA erhöhten den Druck auf die Arbeitgeber.(Foto: Gewerkschaft GPA, Edgar Ketzer)

Schweden

Es ist der längste Streik seit 80 Jahren: Seit Oktober 2023 bestreikt die Gewerkschaft IF Metall alle Servicegaragen des US-Autobauers Tesla. Denn Besitzer Elon Musk weigert sich, über einen Gesamtarbeits­vertrag zu verhandeln – eine Kriegserklärung ans schwedische Wirtschaftsmodell, in dem über 90 Prozent der Beschäftigten einem GAV ­unterstehen.

Färöer

Auf den Färöern legten im Mai Matrosen, Docker und LKW-Fahrerinnen die Arbeit nieder – total beteiligten sich 5000 Personen und damit 10 Prozent der Bevölkerung. Nach einem Monat ging der Insel das Benzin aus – und die Regierung bequemte sich an den Verhandlungstisch.

Belarus

Da die unabhängigen Gewerkschaften zerschlagen und ihre Kader im Exil oder Gefängnis sitzen, sind Arbeitskämpfe kaum noch möglich. Was passiert, wenn sich Arbeitende kritisch äussern, war im Juni in einer Draht­webefabrik der deutschen Firma Haver zu sehen: Schwerbewaffnete Polizisten stürmten die Halle und verhafteten neun Mitarbeitende. Der regimetreue Gewerkschaftsbund FPB rief zur Wiederwahl von Diktator ­Alex­ander Lukaschenko auf.

Südamerika

Mexiko

Rund 1000 Arbeiter des Audi-Werkes in Puebla protestierten im Januar und riefen: «Wir sind Arbeiter, keine Bettler!» Die Arbeiter forderten 15,5 Prozent mehr Lohn. Sie erreichten eine Lohnerhöhung von 7 Prozent und 3,2 Prozent für Zusatzleistungen. Die Lohnerhöhung ist damit höher als die Teuerung.

Kolumbien

Tagelang blockierten im September Lastwagen die Strassen im ganzen Land. Die Fahrer protestierten damit gegen die Erhöhung der Dieselpreise. Und damit gegen die noch weitere Erhöhung der Lebenshaltungskosten.

Chile

Es ist die grösste Kupfermine der Welt: Escondida. Im August legten die Arbeiter drei Tage die Arbeit nieder. Ihre Hauptforderungen an den australischen Bergbaukonzern BHP: die Gewinnbeteiligung von einem Prozent der jährlichen Dividendenausschüttung und kürzere Arbeitstage.

STREIK IN CHILE: Arbeitskampf im chilenischen Escondida-Kuperbergwerk weitet sich aus. (Foto: Keystone)

Argentinien

Die Transport-Mitarbeitenden legten in einem 24stündigen Streik im Oktober das Land lahm. Sie protestierten damit gegen die Politik von Präsident Javier Milei. Die Streikenden blockierten die Getreidelieferungen, Eisenbahnen, Flugzeuge und städtische Transporte. Auch die Müllabfuhr streikte.

Uruguay

Der uruguayische Gewerkschaftsverband hat im Juni Klage gegen den Präsidenten eingereicht. Der Vorwurf: Die Regierung habe die gesetzlichen Normen der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer sowie die Grundsätze der Tarifverhandlungen und des Lohnschutzes verletzt.

Nordamerika

Kanada

18 Tage lang bestreikten Bombardier-Mitarbeitende den Businessjet-Konzern. Und erreichten damit eine Lohnerhöhung von 12,5 Prozent, bessere Renten und bessere Job-Sicherheit. 

Im Mai boten 461 Mitarbeitende Nestlé in Toronto die Stirn. In einem unbefristeten Streik forderten sie vom Schweizer Nahrungsmittelgiganten den vollen Teuerungsausgleich und eine Erhöhung der Pensionskassengelder.

USA

Boeing: Sieben Wochen lang streikten die Arbeiterinnen und Arbeiter des Flugzeugherstellers Boeing. Mit einem beachtlichen Sieg: die Streikenden erreichten 38 Prozent Lohnerhöhung über vier Jahre. 

Mehrere Zehntausend Hafenarbeiter legten an der US-Ostküste Anfang Oktober die Arbeit nieder. Sie verlangten 77 Prozent Lohnerhöhung für ihre 45 000 Mitglieder. Mit Erfolg: die Lohnerhöhung wird wahrscheinlich 61,5 Prozent betragen.

IM EINSATZ FÜR DAS GUTE: Die Streikenden haben mit Wonder Woman eine starke Unterstützerin im Kampf gegen die Game-Industrie. (Foto: Keystone)

Hunderte Sprecherinnen und Sprecher für Computerspiele streikten in Hollywood über einen Monat lang. Die Videogame-Konzerne wollten die Stimmen von Synchronsprechern und Motion-Capture-Künstlerinnen durch KI nachbilden und ohne Zustimmung und ohne angemessene Entschädigung verwenden. 80 Videospiele-Firmen willigten im September ein, die Synchronsprechenden besser zu entlöhnen und sie vor dem ausbeuterischen KI-Einsatz schützen. Nicht so die grossen Player.

Asien

China

Es brodelt im Riesenreich! Nach der rekordverdächtigen Anzahl Arbeiterproteste 2023 nahmen die kollektiven Aktionen abermals zu. Allein im ersten Halbjahr 2024 zählte die Hongkonger NGO China Labour Bulletin über 700 Proteste. Fast die Hälfte aller Aktionen fanden im Bausektor statt, ein Drittel in Fabriken.

Indien

Nach dem ersten Streik bei Samsung in Südkorea traten im September auch in Indien über 1000 Samsung-Arbeitende in den Ausstand. Sie verlangten die Anerkennung ihrer Gewerkschaft, höhere Löhne und eine Krankenversicherung. Nach über einem Monat war der Elektronikriese zu Zugeständnissen bereit.

Russland

Seit der Invasion in die Ukraine hat sich der Gewerkschaftsbund FNPR endgültig zum Vollstreckungsgehilfen Putins gemacht. Er unterstützt den Krieg mit ­Massenevents. Streiks sind für 2024 keine bekannt, obwohl die Inflation hoch und der Rubel im Sinkflug ist. Vielmehr lobt der FNPR das durch Kriegskonjunktur und Personalmangel gestiegene Lohnniveau. Und in den eroberten Gebieten der ­Ukraine hat er im Januar Sektionen gegründet.

Türkei

Im Sommer schwappte eine Streikwelle von der Indus­trie auf andere Sektoren. Grund ist die Rekordinflation von rund 60 Prozent sowie die Arbeitssicherheit. Die Türkei hat eine der höchsten arbeitsbedingten Todesraten der Welt. Schon in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres starben 1371 Personen bei Arbeitsunfällen. Zum Vergleich: In der EU, wo fünfmal mehr Leute wohnen, kam es 2023 zu 3347 Arbeitsunfalltoten. 

Südkorea

Wegen tiefer Löhne traten im Juli rund 10 000 Beschäftigte von Samsung Electronics in einen unbefristeten Streik. Es war der erste Streik überhaupt im 1969 gegründeten grössten Konzerns des Landes. Wie in Südkorea üblich, verfolgte auch Samsung lange eine strikt gewerkschaftsfeindliche Politik. 2021 kündigte Oberboss Lee Jae-Yong einen Kurswechsel an. Dies, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, wo er wegen Korruption einsass.

Afrika

Tunesien

Streik beim Schuhkonzern Rieker: In der tunesischen Fabrik des Schweizer Schuhkonzerns führte ein Streik zu Entlassungen und zur Verhaftung von Mitarbeitenden und Gewerkschaftern. Am Hauptsitz des Konzerns in Thayngen SH will sich niemand zum Fall äussern.

Nigeria

Im Juni gingen in der 16-Millionen-Metropole Lagos die Lichter aus. Die Gewerkschaften haben den Stromschalter umgelegt, die öffentliche Verwaltung geschlossen und die Flughäfen lahmgelegt. Nigeria stand still. 48 Stunden dauerte der Generalstreik. Die Forderung: 16 Mal höhere Mindestlöhne.

Kenia

Tausende Frauen demonstrierten im Dezember in der Hauptstadt Nairobi und forderten ein Ende der Morde an Frauen. In Kenia wurden zwischen August und Oktober 2024 mindestens 97 Frauen ermordet. Auch die Zahl von Vergewaltigungen hat massiv zugenommen. Die Frauen fordern, dass der Präsident wegen der Gewalt an Frauen den nationalen Notstand ausruft.

STOP KILLING US: Frauen in Kenia demonstrieren gegen Femizide. (Foto: Keystone)

Mali

Streik für entlassene Kollegen: Bis zu 2000 Arbeiter der Goldmine «Fekola» streikten im November mehrere Tage lang. Die Hauptforderung: die Wiedereinstellung der Entlassenen. Fekola ist die grösste Mine des kanadischen Bergbaukonzern B2Gold.

Simbabwe

Mehr als 300 Arbeiter der Diamantenmine RZM Murowa sind nach zwei Monaten ohne Lohn im Oktober in den Streik getreten. Das Unternehmen war voll ausgelastet, hat den Beschäftigten aber weder Lohn noch andere Leistungen bezahlt.

Malawi

Im Juli legten Pflegende, Assistenzärztinnen und -ärzte im ganzen Land die Arbeit nieder. Sie verlangten 15 Prozent mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Und was tat der Präsident, an den sich die Forderungen richteten? Er flog auf die Bahamas.

Südafrika

Ganze 11 Wochen streikten Arbeiterinnen und Arbeiter bei der Schleckzeug-Firma «Mister Sweet». Danach wurde der Streik Anfang November abgebrochen. Die Streikenden erkämpften sich 5 bis 7 Prozent Lohnerhöhungen. 

Australien

Wegen branchenunüblich tiefer Löhne und gestiegener Lebenskosten legten im September 1200 DHL-Mitarbeitende ihre Arbeit nieder. Es war der erste Streik beim deutschen Logistikmulti in Australien.

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