Die sich ständig verschärfende Personalnot machte das Spital Bülach ZH erfinderisch
Wer einspringt, bekommt mehr Lohn

Fix oder flexibel? Die ­Pflegenden im Spital Bülach ZH haben die Wahl. Das neue Modell bringt ­Vorteile – und löst doch das Grundproblem in der Pflege nicht.

DAS SPITAL BÜLACH GEHT NEUE WEGE: Doch auch dieses Modell packt das Übel nicht an der Wurzel. Um diese freizulegen, muss man tiefer graben. (Foto: www.spitalbuelach.ch)

«Jemand ist krank, kannst du am Samstag einspringen?» Solche Anfragen gehören für Pflegende zur Tagesordnung. Und sie stressen: Sage ich den Ausflug mit dem Göttibub ab? Oder gebe ich der Stationsleitung einen Korb – im Wissen, dass jemand von meinen Kolleginnen und Kollegen in den sauren Apfel beissen muss?

Im Spital Bülach im Zürcher Unterland bekommt ein Teil der Pflegenden solche Anrufe nicht mehr. Nämlich diejenigen, die im Arbeitszeitmodell die Stufe «fix» gewählt haben. Sie sind an festen ­Tagen und Zeiten im Einsatz. Auch Nachtdienste müssen sie nicht leisten. Ganz anders die Mitarbeitenden der Stufe «superflex»: Sie haben sich verpflichtet, innert vier Monaten sechsmal einzuspringen und auch Nachtdienste zu leisten. Der Clou: Diese Bereitschaft honoriert das Spital mit 350 Franken mehr Lohn pro Monat.

100 bis 350 Franken mehr Lohn

Der sich ständig verschärfende Mangel an Pflegekräften hat das Spital erfinderisch gemacht. Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, lässt es seit anderthalb Jahren den Pflegenden die Wahl: Zwischen «fix» und «superflex» liegen zwei weitere Stufen mit viermal Einspringen in vier Monaten. Ohne Nachtdienste gibt’s dafür 100 Franken Lohn zusätzlich, mit Nachtdiensten 200.
Jetzt präsentiert das Spital eine erste Bilanz und kann mit eindrücklichen Zahlen aufwarten.

Demnach gingen die krankheitsbedingten Ausfälle um 20 Prozent zurück, die Zahl der Abgänge sogar um 30 Prozent.

Vor allem aber brauche das Spital fast keine Temporärkräfte mehr, um die kurzfristigen Ausfälle zu ersetzen.

Bald Zuschläge für alle?

Und die Pflegenden? Keine Frage: Das ständige Einspringen ist für alle in der Branche eine starke Belastung. Das Bülacher Modell lässt den Mitarbeitenden nun die Wahl, ob sie diese Belastung auf sich nehmen wollen. Wenn ja, erhalten sie dafür eine zusätzliche Entschädigung. Allerdings könnte eine solche in einigen Jahren ohnehin zur Pflicht werden für alle Spitäler, Heime und Spitexbetriebe: Im vergangenen Frühling hat der Bundesrat den Entwurf zum neuen Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege veröffentlicht. Damit sollen die Forderungen der Pflegeinitiative (61 Prozent Ja-Stimmen) umgesetzt werden. Laut dem Entwurf muss Einspringen an freien Tagen mit einem «zusätzlichen zeitlichen oder finanziellen Ausgleich von 25 bis 50 Prozent des geleisteten Einsatzes» entschädigt werden.

Das wäre ein Fortschritt. Aber: Egal, wie hoch solche Entschädigungen ausfallen, die Belastung bleibt.

Will heissen: Auch das Bülacher Modell packt das Übel nicht an der Wurzel. Um diese freizulegen, muss man tiefer graben. Denn dass Pflegende in Heimen und Spitälern ständig für kranke Kolleginnen und Kollegen einspringen, müsste nicht sein. Die vielen Ausfälle sind kein Naturgesetz. Sie rühren daher, dass die Pflegenden in sehr vielen Betrieben am ­Limit sind.

Mehr Zeit!

Was sie am meisten brauchen und wollen, ist mehr Zeit. Für die Menschen, die sie pflegen – und um sich zu erholen. Das geht nur mit einer deutlichen Verkürzung der Arbeitszeit. Auch die soll im neuen Pflegegesetz geregelt werden. Die Höchstarbeitszeit will der Bundesrat von heute 50 Stunden pro Woche auf 45 senken. Wichtiger ist aber die Normalarbeitszeit: Die soll laut Entwurf weiterhin zwischen 38 und 42 Stunden liegen. Der Bundesrat will hier also nur die, wie er selber schreibt, «heutige Praxis» im Gesetz festschreiben. Damit sind die Pflegenden in der Unia nicht einverstanden:

Sie fordern die 35-Stunden-Woche.

Dass dies machbar ist, zeigt das Gesundheitspersonal in Belgien. Schritt für Schritt erkämpft es sich tiefere Wochenarbeitszeiten. Bereits heute muss ein Teil der älteren Pflegenden, je nach GAV, nur noch 36 oder gar 32 Stunden pro Woche arbeiten – bei vollem Lohn, versteht sich. Und die Gewerkschaften haben bereits das nächste Ziel formuliert: die 32-Stunden-Woche für alle in der Pflege.

Allons-y! Los geht’s!

Vorbild Autobahnraststätte

Ist ein Spital wie eine Autobahnraststätte? Gewisserweise ja, findet Manuel Portmann. Heute ist er HR-Leiter des Spitals Bülach. Ins Berufsleben eingestiegen ist er mit einer Kochlehre, wie wir aus der NZZ erfahren. Freimütig berichtet das Blatt des Freisinns: «Die Arbeit war ihm aber zu anstrengend, und vor allem störte er sich an den vielen Einsätzen am Abend sowie an Wochenenden. Also entschloss er sich, einen anderen Weg einzuschlagen. Er absolvierte bei Mövenpick ein Management-Trainee-Programm.»

Und kam so als Kader-Jungspund an die Autobahnraststätte Glarnerland. Wo ihn, je nach Wetter und Jahreszeit, stark schwankende Besucherzahlen herausforderten. Es brauchte mal sehr viel, mal nur wenig Personal. Der Betrieb kam schliesslich auf die Idee, Mitarbeitenden, die sich auch kurzfristig aufbieten liessen, einen höheren Lohn zu zahlen. 

Drei Jahrzehnte später, so die NZZ weiter, «dachte sich Portmann: Die Situation im Spital ist eigentlich ähnlich. Auch hier gibt es Schichten und unvorhersehbare Einsätze. Warum also nicht das Modell der Raststätte adaptieren?»

Da haben wir’s.

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