100’000 am Warnstreik bei VW
«Wer mit den Arbeitsplätzen pokert, den fassen wir nicht mit Samthandschuhen an!»

Der Volkswagen-Konzern will einen sozialen Kahlschlag mit dem Brecheisen durchsetzen. Also muss die Gewerkschaft IG Metall entscheiden, ob sie einen historischen Konflikt will – und kann.

STREIKBEREIT: 100’000 VW-Büezerinnen und -Büezer gehen in Wolfsburg auf die Strasse. (Foto: Keystone)

VW-Boss Oliver Ingo Blume (56) macht gerne auf Kumpel («bin einer von euch»). Doch nun hat er eine brutale Drohkulisse aufgebaut, die Hunderttausende Arbeitende im Land in panische Existenzängste stürzt, rechtzeitig zu Weihnachten. Zuerst trat er die Kollektivverträge von Volkswagen mit der Gewerkschaft IG Metall in den Kübel. Und damit die seit dreissig Jahren geltende Arbeitsplatzgarantie. Bisher hatte das «Modell VW» symbolisch für die deutsche «Sozialpartnerschaft» gestanden.

Dann liess Blume durch die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im VW-Aufsichtsrat ausrichten, der Konzern müsse in den nächsten drei Jahren 10 Milliarden sparen. Dafür plane er die Streichung von 10’000 Jobs, die Senkung aller Löhne und die Schliessung von drei VW-Fabriken. Für das Auto- und Industrieland Deutschland ein Erdbeben. Welche Jobs und Standorte sie im Visier haben, teilten die Manager nicht mit – die Arbeitenden im Ungewissen zu lassen ist Teil der Einschüchterung.

Jammern mit 148 Milliarden in der Tasche

Nur: VW schwimmt im Geld. Der Konzern macht satten Gewinn, er hat auch dieses Jahr etliche Milliarden Dividenden an die Aktionäre ausgezahlt, zuvorderst an die Familien Piech und Porsche und an den Staatsfonds von Katar. In seiner neuesten Bilanz stehen sagenhafte 147,8 Milliarden Euro Gewinnreserven.

Alles an Blumes Drohgebärde ist kalkuliert. Die Arbeitenden sollen das Diktat des Kapitals spüren. Es geht nicht allein um VW. Arbeitgeberverbände und Medien, Banken und neoliberale Politiker überschlagen sich mit Alarmmeldungen. Das soll ihre Angriffe auf sämtliche sozialen Fortschritte der letzten Jahrzehnte begründen.

Stinksauer und fassungslos

Die IG Metall reagierte mit Warnstreiks (work berichtete). Vor der vierten Verhandlungsrunde am 9. Dezember taten über 100’000 VW-Büezerinnen und -Büezer ihren Zorn lautstark («nicht mit uns») in einer vierstündigen Streikdemo kund. IG-Metall-Chefin Christiane Benner sagte:

Ich bin stinksauer und fassungslos über die Konzernleitung.

STINKSAUER: IG-Metall-Chefin Christiane Benner. (Foto: Keystone)

Daniela Cavallo, Vorsitzende des VW-Gesamtbetriebsrats: «Wer die Belegschaft ignoriert, spielt mit dem Feuer.» CEO Blume solle sich warm anziehen, riet Wolfsburg-Gewerkschafter Florian Hirsch: «Wer mit den Arbeitsplätzen pokert, den fassen wir nicht mit Samthandschuhen an!» Die Eskalation scheint programmiert, der «grosse Streik» ab Januar war dieser Tage an elf VW-Standorten das heisse Thema.

«Fassungslos» ist Christiane Benner vor allem darüber, wie bedenkenlos der Konzern die «Sozialpartnerschaft» mit Füssen tritt. Denn die Gewerkschaft hat Vorschläge gemacht, die VW stark entgegenkommen. Grundsätzlich akzeptiert IG Metall den Wunsch des Kapitals nach «Kostensenkungen», also höherem Profit. Um Jobs zu retten, will sie auf 1,5 Milliarden Euro Lohnsumme verzichten. Das Geld soll in einen «Zukunftsfonds» fliessen, der Arbeitszeitverkürzungen in schlecht ausgelasteten Betrieben finanziert. So könne sich VW viel Geld für Abfindungen und Werkschliessungen sparen, lockte die Gewerkschaft.

Ungeduldige Basis

Zu wenig, raunzte Blume zurück. Der Konzern setzt auf die harte Tour. Er traut der IG Metall keinen langen Streik zu, will sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Kann sein, Blume verschätzt sich. Lange war die grosse Gewerkschaft ein braver Abnickerverband. Doch in jüngerer Zeit hat sie, zumindest in Lohnkonflikten, eine schärfere Gangart angeschlagen.

Vor allem wird sie bei VW von einer zunehmend ungeduldigen Basis zum Jagen getragen. Manche Betriebsräte fordern, statt Kompromissen und hilfloser Appelle an die Politik, die kämpferische Durchsetzung eines neuen Industriekonzepts für den Bau öffentlicher E-Verkehrsmittel. Ein Metaller von VW-Braunschweig sagt:

Wir haben die Kompetenz und als Gewerkschaft auch die Macht dazu.

In diversen Betrieben entstehen gerade autonome Aktionskomitees, wie sie vor einigen Jahren bei Opel aktiv waren. Die nun sogar Betriebsbesetzungen ins Auge fassen.

Am 16. Dezember steigt die nächste Verhandlungsrunde. Betoniert VW weiter, wird sich zeigen, ob die Spitze der IG Metall weiss, dass sie bei VW eine gesellschaftliche Entscheidungsschlacht führt.

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