Parlament will Schweizer Stahlwerke unterstützen
«Wir sind erleichtert, dass es eine Zukunftsperspektive für unseren Betrieb gibt»

Der Protest der Stahlarbeiterinnen und -arbeiter war erfolgreich: Das Parlament will die Stromkosten für die Schweizer Stahlwerke und die Aluminiumindustrie senken. Jetzt müssen die Unternehmen auf die Massenentlassungen verzichten.

TEAMLEITERIN RAMONA GRAF: «Der Vorentscheid des Parlaments zeigt, dass unsere Arbeit und unser Engagement für das Bundeshaus von grosser Bedeutung sind.» (Foto: Manu Friederich)

Nach dem Nationalrat hat sich diese Woche auch der Ständerat für die finanzielle Entlastung der Eisen-, Stahl- und Leichtmetallgiessereien ausgesprochen. Die beiden Kammern müssen noch letzte Differenzen ausräumen, aber die Chancen für das neue Gesetz stehen sehr gut. Damit könnten die beiden Stahlwerke in Gerlafingen und Emmenbrücke sowie die Walliser Aluminiumwerke während vier Jahren von reduzierten Stromkosten profitieren. Dies ist auch ein wichtiger Erfolg für die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die Gewerkschaften. Ihre Protestaktionen auf dem Bundesplatz, in Gerlafingen und in Emmenbrücke haben gewirkt.

Grosse Erleichterung 

Ramona Graf (27), Teamleiterin bei Stahl Gerlafingen, sagt:

Der Vorentscheid des Parlaments freut mich sehr und zeigt, dass unsere Arbeit, unser Engagement und der Standort in der Schweiz für das Bundeshaus von grosser Bedeutung sind.

Graf sprach im Oktober bei der Demo auf dem Bundesplatz und war auch Teil der Delegation, die mit den parlamentarischen Kommissionen in Kontakt war. 

Sie sagt: «Wir sind erleichtert, dass es keine Entlassungen gibt und dass es eine Zukunftsperspektive für unseren Betrieb gibt.» Mit dem neuen Klimaschutzgesetz und dem revidierten Umweltschutzgesetz kann Stahl Gerlafingen für die klimaschonende Produktion von Recyclingstahl ab 2025 auch mit weiterer finanzieller Unterstützung rechnen.

Zwischen Marx und Kapitalismus

Der Gerlafinger Richtmeister Heinz Grolimund (54) hat die Parlamentsdebatte im Livestream mitverfolgt. Er sagt: «Die vierstündige Debatte im Nationalrat fand ich sehr spannend, und natürlich bin ich sehr glücklich mit dem Resultat!» SP und Grüne, die Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie einzelne Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion stimmten für die Staatshilfe. Die GLP war geschlossen dagegen, und die SVP- sowie die FDP-Fraktion lehnten die Vorlage mehrheitlich ab. Der Nationalrat stimmte mit 108 zu 84 Stimmen zu. 

Roger Nordmann (SP), Urheber des neuen Gesetzes, sagt:

Die Gegner der Vorlage haben uns zugleich ‹Grosskapitalismus› wie auch ‹Karl Marx› vorgeworfen.

Die Vorgehensweise sei aber nicht ideologisch gewesen, sondern vielmehr pragmatisch und zielorientiert.

Klare Auflagen 

Die Bedingungen für die Staatshilfe durch das Parlament sollen weiter konkretisiert werden. Falls Unternehmen von den reduzierten Netznutzungstarifen profitieren wollen, müssen sie verschiedene Transparenz- und Nachhaltigkeitsbedingungen erfüllen. Dividenden dürfen sie nicht auszahlen. Zur Absicherung sollen die Unternehmen zudem Standortgarantien abgeben. Halten sie die Auflagen nicht ein, sollen sie die Subventionen zurückzahlen müssen.

Für die Unia ist klar, dass die Massenentlassungen jetzt vom Tisch sind. Matteo Pronzini, Unia-Branchenleiter MEM-Indus-trie, sagt: «Angesichts der Massnahmen, die eine direkte finanzielle Entlastung der Stahlwerke zur Folge haben, kommt es nicht in Frage, dass diese jetzt Entlassungen vornehmen.» In Gerlafingen machte die Beltrame-Gruppe die Entlassungen bereits rückgängig. Bei Swiss Steel ist die Situation noch offen. Pronzini sagt:

Was bei Stahl Gerlafingen möglich war, muss jetzt auch in Emmenbrücke passieren.


Rechte Gaga-ArgumenteAn den Schwierigkeiten der Schweizer Stahlfabriken sind nicht «die Roten und Grünen» schuld

AKW: Keine Garanten für Billigstrom. (Foto: Keystone)

Es gibt für die SVP bekanntlich ja kein Problem, das nicht mit «der unkontrollierten Zuwanderung» zusammenhängt. Und für die FDP keines, an dem nicht «der Sozialismus» schuld ist. Beide Parteien sind dagegen, dass die Schweizer Stahlwerke unterstützt werden. Dabei geht es nicht um Subventionen, wie sie die Landwirtschaft nachgeworfen bekommt, sondern um die Entlastung von Abgaben. Der Staat würde – sinngemäss – auf eine Versicherungsprämie verzichten für eine Versicherung, auf die von den Stahlwerken gerne verzichtet wird. Der Nationalrat hat dem zugestimmt und der  Ständerat war auch dafür (siehe Artikel oben). 

Bürgerlicher Mumpitz

Doch SVP und FDP und einige ihnen nahestehende Ideologen in den Arbeitgeberverbänden sind dagegen. Schliesslich sind «die Roten und Grünen» am teuren Strom schuld. Wegen der Energiewende und weil sie neue AKW verhindern. Das ist Mumpitz, und work hat das schon mehrfach ausführlich geschildert. Zum Beispiel hier: zum Artikel

Hier ein paar Punkte in aller Kürze:

  • Frankreichs Industrie bezahlt nicht so viel weniger für den Strom als jene in der Schweiz, weil Frankreich «eben auf Atomstrom setzt». Sondern weil der staatliche Stromkonzern EDF verpflichtet ist, einen erheblichen Teil des Stroms für 4,2 Cents pro Kilowatt an Grossverbraucher zu liefern. Rund die Hälfe des von der Industrie verbrauchten Stroms fällt unter diese Regel. Folge zum Beispiel für die Besitzerin des Stahlwerks Gerlafingen: Kosten pro Megawattstunde verbrauchten Stroms in Frankreich: rund 30 Euro (ca. 28 Franken). In der Schweiz: rund 134 Franken.
  • Schweizer Stromkonzerne zocken lieber im Casino des internationalen Strommarktes, statt sich um effiziente und klimaschonende Energieproduktion und die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu kümmern. Grund: Es liegen enorme Profite drin und Millionenboni. Und für die Risiken steht am Schluss sowieso die Allgemeinheit auf. So bei der Axpo. Im Detail nachzulesen hier: zum Artikel
  • Bereits vor 2 Jahren haben Gewerkschaften und fortschrittliche Parteien Massnahmen zum Schutz der durch explodierende Stromkosten bedrohten Arbeitsplätze vorgeschlagen. Besonders auch für die Branchen, die am stromintensivsten sind. Wie etwa die Stahlwerke. Für sie soll ein Fonds aus abgeschöpften Krisengewinnen der Stromkonzerne geäufnet werden, der ihnen einen Teil des Verbrauchs zu Gestehungskosten liefert. Rechte Parteien und die Wirtschaftsverbände liefen und laufen Sturm ­dagegen. Genau jene also, die auch jetzt nicht zu einer realen Lösung realer Probleme beitragen wollen. (Clemens Studer)

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