Rosana Valdez (26) wollte nur ihr Baby schützen, aber:
Zalando-Zulieferer schasst Schwangere!

Bei Zalandos Retouren­abwickler MS Direct in ­­Arbon TG chrampfen ­Hunderte Migrantinnen zu lausigen Löhnen. Jetzt muss eine Schwangere sogar gegen ­ihren Rauswurf kämpfen.

IN SORGE UM IHR UNGEBORENES: Rosana Valdez wurde entlassen, nachdem sie den Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft informiert hatte. (Fotos: Patrick Germann, Shutterstock)

Manchmal boxt und strampelt es schon – das Baby im Bauch von Rosana Valdez*. Die 26jährige Spanierin ist im fünften Monat schwanger. Sie sagt:

Eigentlich freue ich mich riesig, aber wie die mich behandelt haben, macht mich fertig!

Mit «die» ist die Personalabteilung der MS Direct AG gemeint. Die St. Galler Logistikfirma ist spezialisiert auf die Retourenverarbeitung für Online-Kleiderhändler und beschäftigt laut Eigenangaben mehr als 600 Mitarbeitende. Hauptkunde ist Zalando. Für den Berliner Versandriesen wickelt MS Direct den Grossteil aller Schweizer Retouren ab. Der entsprechende Betrieb ist in einer alten Industriehalle in Arbon im Kanton Thurgau untergebracht. Auch Valdez hat dort gearbeitet – für brutto 17.98 Franken pro Stunde. Um 6 Uhr war jeweils Schichtbeginn, um 14 Uhr war Schluss. Doch Valdez sagt:

Oft wurden wir schon nach wenigen Stunden heimgeschickt.

Das ist kein Zufall. Die Ultra-Flexibilität gehört zur Businessstrategie von MS Direct – und ist in Valdez’ Arbeitsvertrag sogar festgehalten: Die konkrete Arbeitszeit ergebe sich «je nach Bedarf und Aufgebot», heisst es da. Und: «Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem ­Arbeitnehmer mehr als den Mindesteinsatz anzubieten.» Bei Valdez entsprach dieser Mindesteinsatz einem Mini-Pensum von 25 Prozent. Doch faktisch gearbeitet hat sie viel mehr. Über die Runden kam sie trotzdem nur dank dem Bauarbeiterlohn ihres Mannes. Valdez hat im Oktober gerade mal 1700 Franken Lohn bekommen. Über drei Wochen – oder 110 Stunden – hat sie dafür gearbeitet.

Aufseher: «Hopp, hopp!»

Paket öffnen, Kleidung checken (auf Defekte oder Schmutz) und beschnuppern (auf üble Gerüche), wenn nötig reinigen, zusammenfalten und wieder verpacken. Das war Valdez’ immergleiche Aufgabe. Pro Stunde habe sie 55 Pakete bearbeiten müssen – also fast eines pro Minute. «Schon das ist extrem», sagt Valdez, «aber wenn dann noch eine Grossretoure oder etwas Verschmutztes kommt, gerätst du endgültig ins Hintertreffen.» Der Stress sei enorm gewesen. Vorgesetzte hätten ständig «Hopp, hopp!» gerufen und den Arbeiterinnen, fast ausnahmslos Ausländerinnen, regelrecht eingeheizt.

Valdez machte sich Sorgen um ihr Ungeborenes, zumal sie immer wieder mit ­schweren Paketen hantieren musste. Also informierte sie ihre Chefs über die Schwangerschaft. Verpflichtet wäre sie dazu nicht gewesen. Doch sie sagt:

Ich wollte einfach transparent sein.

Zudem habe sie sich etwas mehr Rücksicht erhofft, immerhin stehe die Gesundheit ihres Kindes auf dem Spiel. Doch statt mehr Rücksicht erhielt Valdez noch am selben Tag die Kündigung – mit einer Frist von sieben Tagen. Und: MS Direct wähnt sich dabei sogar im Recht!

Fadenscheinige Begründung

Dies, weil Valdez noch in der Probezeit war. Tatsächlich gilt dann das absolute Kündigungsverbot für Schwangere nicht. Aber: Selbst wenn einer werdenden Mutter in der Probezeit gekündigt wird, darf der Kündigungsgrund nicht die Schwangerschaft sein. Das besagt das Diskriminierungsverbot im Gleichstellungsgesetz. Laut MS Direct ist es denn auch Valdez’ angeblich «ungenügende Produktivität», die zu ihrer Entlassung geführt habe. Zudem betont die Firma, sie lege «grossen Wert auf einen fairen und respektvollen Umgang mit allen Mitarbeitenden» und halte sich «natürlich» an die Gesetze. Valdez dagegen ist sich sicher, dass einzig und allein die Schwangerschaft für ihren Rauswurf ausschlaggebend war. Denn an jenem Tag sei nur sie entlassen worden. Zudem habe sie nie eine Verwarnung bekommen. Im Gegenteil seien die Vorgesetzten stets zufrieden gewesen mit ihrer Leistung. «Sonst hätten sie mir ja kaum immer mehr Schichten gegeben, als es mein Pensum vorsah!» Und noch etwas macht Valdez wütend.

Der letzte Befehl

Im Kündigungsschreiben wird behauptet, ihre Vorgesetzten hätten sich mit ihr über den Kündigungsgrund «eingehend unterhalten». Merkwürdig! Denn Neueinwanderin Valdez versteht noch fast kein Deutsch. Man habe eine Übersetzungsapp beigezogen, erklärt die Personalabteilung auf Nachfrage. «Das ist eine glatte Lüge!» sagt dagegen Valdez. Eine Übersetzung habe es nie gegeben. Das einzige, was sie verstanden habe, sei ein letzter Befehl gewesen: «Paket fertigmachen und dann ab nach Hause!»

So oder so. Sollte MS Direct an der Kündigung festhalten, will Unia-Mitglied Valdez Klage einreichen.

*Name geändert

CEO Milo Stössel: «Niemand muss diesen Job machen!»

Foto: Screenshot SRF

Die Tieflöhne bei MS Direct sind berüchtigt. 2017 lancierte die Unia eine Kampagne für faire Arbeitsbedingungen. MS-Direct-CEO und VR-Präsident Milo Stössel (45) reagierte auf seine Art: 2018 zeigte ihn die SRF-«Rundschau», wie er den Arbeiterinnen zum Valentinstag rote Rosen überreichte. Blumen statt anständiger Löhne? Stössel sieht es anders: «Wenn man nicht will, muss man diesen Job ja nicht machen.» Sagt einer, der nach seinem HSG-Studium die Familien-Holding vom Vater erben konnte.

Schlechter GAV

Laut Arbeiterin Valdez müssen in Arbon pro Stunde 55 Pakete bearbeitet werden. Laut MS Direct sind es «nur» 35. Dass dies gut machbar sei, wollte Stössel der «Rundschau» gleich selbst beweisen. Doch schon beim ersten Paket überschritt er das Zeitlimit massiv. Geschadet hat es Stössel kaum. Der KMU-Verband SVC verlieh seiner Firmengruppe (Jahresumsatz über 100 Mio. Franken) ein Diplom für «überzeugende Firmenkultur». Und 2019 unterzeichnete er mit der Gewerkschaft Syndicom einen GAV, den beide Parteien als «Meilenstein» lobten. In Wirklichkeit geht der GAV kaum über das gesetzliche Minimum hinaus, betoniert aber den miserablen Mindestlohn. Dieser ist seit 2020 um nur 40 Rappen gestiegen, auf aktuell knapp 18 Franken brutto.

Manager-Stuss

Chef Stössel spielt derweil Golf. Oder finanziert als Hauptsponsor den Reitsport-Grossanlass CSIO. Oder verbreitet in Managermagazinen seine Überzeugungen:«Wenn es unseren Kunden gutgeht, sind auch (…) unsere Mitarbeitenden glücklich.»



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