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Gewalt gehört zum Alltag von «Forensic Nurse» Dominice Häni

Pflegefachfrau Dominice Häni (41) leitet die «Forensic Nurses» des Kantons Zürich. Sie untersucht Gewaltbetroffene und unterstützt Ärztinnen und Ärzte bei der Spurensicherung.

DOMINICE HÄNI HAT IN IHREM JOB AUCH MIT LEICHEN ZU TUN: «Bei der Arbeit mit den Toten bleibt die Zeit stehen.» (Foto: Michael Schoch)

Aus ihrem Büro auf dem Gelände der Universität Zürich blickt Dominice Häni über den weitläufigen Irchelpark. Hier am Institut für Rechtsmedizin führt sie ein Team mit acht Pflegefachfrauen der Zürcher Gewaltschutz-Ambulanz. Die Spitäler des Kantons Zürich melden sich, wenn eine gewaltbetroffene Person ihre Dienste in Anspruch nehmen will. Häni sagt: «Auch Privatpersonen können uns anrufen, wir sind rund um die Uhr auf einer 0800er-Nummer erreichbar.» Hausbesuche würden sie und ihr Team allerdings keine machen. Die Untersuchungen und die Spurensicherung finden immer im Spital statt. 

Gewalt erkennen

Häni sagt: «Die Spitäler sind froh, wenn wir kommen, denn bei Sexualdelikten dauert eine Notaufnahme mit der Untersuchung oft mehrere Stunden.» Auf der Notaufnahme könnten Opfer von häuslicher Gewalt und von Vergewaltigungen ohne ihre Unterstützung häufig nicht ausreichend betreut und untersucht werden. Häni und ihr Team haben das Wissen und die Zeit, um sich um die Opfer zu kümmern. Sie sagt:

Wir bieten ein niederschwelliges Angebot und sichern die Spuren, auch wenn das Gewaltopfer keine Anzeige erstatten will.

ZEIT FÜR DIE OPFER: Dominice Häni und ihr Team kümmern sich etwa um Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben. (Foto: Michael Schoch)

Als «Forensic Nurse» nimmt sie DNA-Proben, fotografiert Blutungen oder Kratzspuren. Bei Sexualdelikten findet zudem eine gynäkologische Untersuchung mit forensischer Spurensicherung durch eine Ärztin oder einen Arzt statt. 

Opferberatung

«Wir organisieren auch die weitere Betreuung und klären ab, ob die Person weiterhin bedroht ist und ob sie in ein Frauenhaus gehen muss», erklärt Häni. In der Regel empfiehlt Häni nach einem gewalttätigen Übergriff auch zeitnah den Besuch einer Opferberatungsstelle.

SPURENSICHERUNG: Zur Arbeit einer «Forensic Nurse» gehört es auch, DNA-Proben zu nehmen. (Foto: Michael Schoch)

Das Angebot des Teams der «Forensic Nurses» existiert erst seit knapp einem Jahr. Der Kanton Zürich hat es als dreijähriges Pilotprojekt ins Leben gerufen. Der Dienst ist eine Massnahme zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Die Schweiz hat diesen Vertrag unterzeichnet, und sich damit verpflichtet, mehr gegen häusliche und sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen zu tun. Häni sagt:

Gewalt wird es immer geben, darüber sollten wir sprechen und den Betroffenen mehr helfen.

Vom KV zur Pflege

Nach ihrer KV-Lehre hatte Häni zunächst bei einer Versicherung gearbeitet. Doch nach einigen Jahren merkte sie, dass sie in diesem Beruf gelangweilt war und sich im Alltag mehr direkten Kontakt mit Menschen wünschte. Deshalb entschied sie sich für eine zweite Lehre zur Pflegefachfrau. Häni sagt:

Der Pflegeberuf gibt mir ein gutes Gefühl, weil ich andere Menschen unmittelbar unterstützen kann.

Die Zeit auf der Notaufnahme im Stadtspital von Zürich, wo sie nach ihrer Lehre arbeitete, war aber nicht nur erfüllend, sondern häufig auch sehr stressig. Häni sagt: «Wir hatten nicht nur mit dem chronischen Personalmangel zu kämpfen, es war auch die sehr belastende Zeit während der Coronapandemie.» Während sie auf der überlasteten Intensivstation arbeitete, demonstrierten draussen vor dem Spital manchmal Trychler und Coronaskeptiker. Auch wenn sie sonst nicht schnell aus der Fassung zu bringen sei, hätten sie solche Situationen sehr mitgenommen. In dieser Zeit entschied sich Häni auch für die Weiterbildung zur «Forensic Nurse» und absolvierte einen CAS.

LITERATUR: Einblick in das Bücherregal der «Forensic Nurses». (Foto: Michael Schoch)

Arbeit mit den Toten

Nicht nur die Lebenden gehören heute zu Hänis Arbeitsalltag. Im Keller des Instituts liegen die Verstorbenen. Häni sagt:

Wir unterstützen die Gerichtsmediziner manchmal bei der Obduktion der Leichen, da geht es um die Feststellung der Todesursache.

Dies sei eigentlich kein klassisches Arbeitsgebiet einer «Forensic Nurse», aber Teil ihres Jobs am Institut für Rechtsmedizin. Sie sagt: «Wir helfen mit dem Drehen der Toten oder auch mit dem Fotografieren und der Dokumentation der Spuren.» Auch diese Arbeit hat für Häni schöne Seiten:

Bei der Arbeit mit den Toten wird nicht gehetzt gearbeitet, die Zeit bleibt stehen und alles wird relativiert, alles fällt an seinen Platz zurück.

Umgang mit Traumata

Es gebe aber auch Situationen, in denen sie überfordert sei, dann sei es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und auch mal Nein zu einer Aufgabe sagen zu können. Häni sagt:

Die grösste psychische Belastung bringt die Arbeit mit gewaltbetroffenen Kindern, welche oft lebenslange Traumen erleiden.

Zu Traumareaktionen hat Häni in ihrem Job viel gelesen und gelernt: «Gewalterlebnisse können Flashbacks produzieren, bei denen die Betroffenen die Raum- und Zeitwahrnehmung völlig durcheinanderbringen.» Häni ist fasziniert von der Funktionsweise der Organe, insbesondere des Gehirns. Sie sagt: «Alles was ich sehe, will ich möglichst auch verstehen.» 

Surfen, Krimis und Übersinnliches

Dominice Häni (41) lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in einer Wohnung mit Aussicht über die Stadt Zürich. Als leitende «Forensic Nurse» am Zürcher Institut für Rechtsmedizin verdient sie 7300 Franken pro Monat brutto. 

In ihrer Freizeit steht Häni oft auf der Yogamatte und geht regelmässig ins Schwimmbad. Wenn die Kinder im Bett sind, liest Häni gerne skandinavische Krimis und Liebesromane. Auf dem Weg zur Arbeit hört sie den Podcast «Stimmen im Kopf». Da geht es um Übersinnliches und die Verarbeitung von Gedanken und Erlebnissen während des Schlafs.

Um ihre mentalen Batterien aufzuladen, zieht es Häni in die Natur, in den Wald, die Berge oder ans Meer. Zum Beispiel an die französische Atlantikküste, wo sie mit ihrer Familie möglichst jedes Jahr zum Wellensurfen hinfährt.  

In ihrem Job ist Häni häufig mit Gewalterlebnissen und dem Tod konfrontiert. Als Jugendliche hatte sie grosse Mühe mit der Vorstellung des Todes, heute hat sie ihre Meinung dazu revidiert: Der Tod steht für Veränderung, und das Bewusstsein für die Endlichkeit des eigenen Lebens hat für sie auch eine befreiende Wirkung.

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