Bürgerliche sparen Schulen, Gesundheitswesen und soziale Sicherheit kaputt
Kantone so reich wie noch nie

Den Kantonen geht es um Milliarden besser, als sie budgetiert haben. Das bürgerliche «Verrechnen» hat System und nur ein Ziel: Beim Service public und der sozialen Sicherheit sparen. Und Steuergeschenke an Reiche und Unternehmen verteilen.

SCHWIMMEN IM GELD: Den Kantonen in der Schweiz geht es finanziell sehr gut. (Foto: Keystone)

Die Zahlen sind eindeutig: Die Schweizer Kantone schwimmen im Geld. 2023 erwirtschafteten sie einen Überschuss von 2,2 Milliarden Franken. Das wäre schon für sich genommen bemerkenswert. Noch erstaunlicher wird es, wenn man sich die ursprünglichen Prognosen ansieht:

Die Kantone hatten ein Defizit von 1,6 Milliarden vorhergesagt. Ein Unterschied von sagenhaften 3,8 Milliarden Franken.

Diese systematische Fehlkalkulation hat Methode. Jahr für Jahr rechnen die Kantone ihre Haushalte klein. 2023 lagen sie bei ihrer Budgetierung um mehr als 6 Prozent daneben – immer zugunsten der Staatskasse. Nachdem dieser «Budgetierungsfehler» 2020 auf 3,84 Prozent gesunken war, stieg er 2021 auf rekordverdächtige 7,89 Prozent.

Auch für 2025 wiederholt sich das üble Spiel:

18 von 26 Kantonen prognostizieren ein Defizit von insgesamt 510 Millionen Franken. Das ist zwar nur noch halb so viel wie das vorhergesagte Minus für 2024. Doch die Erfahrung lehrt: Am Ende des Jahres werden die Kassen wieder klingeln.

Das Nettovermögen der Kantone wächst dadurch stetig. Die sogenannte Nettovermögensquote wird 2025 voraussichtlich auf 6,04 Prozent steigen – ein historischer Höchststand. Gemessen an der Wirtschaftsleistung bleiben die Steuereinnahmen stabil, sie steigen sogar leicht von 7,53 auf 7,59 Prozent. Doch statt diesen Reichtum zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen, betreiben die Kantone eine Politik der leeren Taschen. Zumindest wenn es um die Interessen der Mehrheit geht.

Service-public-Krise

Im grossen work-Interview vom November sprach SGB-Chefökonom Daniel Lampart von einer «Krise im Service public». Und tatsächlich: Die Folgen der systematischen Sparwut von bürgerlichen Kantonsregierungen und den bürgerlichen Parlamentsmehrheiten sind überall sichtbar. In den Spitälern herrscht Personalmangel. «Wir haben Spitäler, die kurz vor dem Konkurs stehen oder massive Finanzierungsprobleme haben – bis hin zu einem der Spitzenspitäler wie dem Inselspital», so Lampart. Die verbliebenen Pflegekräfte arbeiten am Limit ihrer Belastbarkeit. Gleichzeitig steigen die Krankenkassenprämien ungebremst. Aber viele Kantone kürzen bei den Prämienverbilligungen. Einige geben nicht einmal die dafür vorgesehenen Bundesgelder vollständig weiter.

Im Bildungsbereich zeigt sich ein ähnlich düsteres Bild. Lampart:

Wer heute sein Kind in die Schule schickt, hat keine Garantie, dass es von einer ausgebildeten Lehrerin oder einem ausgebildeten Lehrer unterrichtet wird. Das ist ein enormes Versagen auf Kantonsebene. Die Kantone haben nicht genügend Lehrkräfte ausgebildet.

Lohnkürzungen

Besonders bitter: Während bei der öffentlichen Infrastruktur gespart wird, sollen Gutverdienende weiter entlastet werden. Die über alle Kantone gerechnete durchschnittliche Steuerlast für Privatpersonen mit hohen Einkommen wird 2025 von 29,3 weiter auf 28,6 Prozent sinken. Lamparts knallhartes Fazit:

Die Kantone haben uns das Geld weggenommen, ihre Kassen gefüllt, Überschüsse gemacht und teilweise Steuern für Leute gesenkt, die es nicht nötig hatten.

Gleichzeitig muss sich das Staatspersonal für 2025 vielerorts auf Nullrunden oder sogar Lohnkürzungen einstellen.

Steuergeschenke

Der Grund für diese Misere liegt im System. Und das heisst «Schuldenbremse». Die meisten Kantone haben eine – wie der Bund. Die Bundes-Schuldenbremse funktioniert vereinfacht so: Macht der Bund finanziell vorwärts – entsprechend pessimistisch budgetieren hilft! –, müssen Überschüsse zwingend für den Schuldenabbau verwendet werden. Sie dürfen nicht in den Folgejahren investiert werden. Defizite hingegen müssen in den folgenden Jahren ausgeglichen werden. Die kantonalen Schuldenbremsen sind im Detail unterschiedlich ausgestattet, führen aber zum gleichen Effekt:

Um die Steuern von Reichen und Firmen zu senken, ist Geld da, für die nötigen Ausgaben im Interesse der Mehrheit etwa in den Bereichen Bildung, Langzeitpflege oder Prämienverbilligungen fehlt aber angeblich das Geld.

Denn die seit Jahren chronisch «überraschend» erzielten Überschüsse fliessen fast immer in den Schuldenabbau beziehungsweise in einen absurden Vermögensaufbau.

Wie enorm das Ausmass ist, hat SGB-Chefökonom Daniel Lampart ausgerechnet:

Jede und jeder von uns hat bei der öffentlichen Hand ein Sparkonto von 12 000 Franken. Anders gesagt, das letzte Problem, das wir haben, um den Service public zu gewährleisten, den die Schweiz in der Schule oder im Gesundheitswesen braucht, ist das Geld. Geld ist überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, wir haben mehr als genug davon.

Politik für Millionäre

Wer immer bei der grossen Mehrheit spart, gleichzeitig aber Überschuss an Überschuss reiht und weitere Defizite prophezeit, die sich dann «überraschenderweise» in Gewinne verwandeln, bekommt irgendwann ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das haben auch die Ökonomen der marktradikalen Denkfabrik «Avenir suisse» erkannt. Jahre nach den Gewerkschaften machten sie diesen Herbst die dauernde Fehlbudgetiererei der Kantone zum Thema. Als glühende Befürworter der Schuldenbremse natürlich ganz im Sinne ihrer Sponsoren:

Sie wollen weiter bei den Ausgaben für die Mehrheit sparen, die ertricksten Überschüsse dann aber für Steuerrückerstattungen benutzen – wovon wieder in erster Linie die bereits entlasteten Unternehmen, Reichen und Bestverdienenden profitieren würden.

Eine Rückerstattung nach steuerbarem Einkommen würde die bereits wachsende soziale Ungleichheit weiter verschärfen. Zugespitzt: Die der Mittelschichts-Familie vorenthaltenen Prämienverbilligungen würden direkt in die Tasche des Millionärs fliessen.

«Endlich investieren!»

Die Gewerkschaften haben einen völlig anderen Ansatz im Interesse der Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen. SGB-Chefökonom Lampart sagt es so: «Was die Arbeitnehmenden brauchen, sind Investitionen in die Zukunft – für sich und für ihre Kinder.» Das heisst Investitionen in den Service public, in den Ausbau der sozialen Sicherheit und in faire Löhne für das Staatspersonal.

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