KVI 2.0 ist am Start und hat Grosses vor:
Konzerne endlich in die Verantwortung nehmen

Die Schweiz ist das einzige Land Europas ohne Konzernverantwortung. Obwohl im November 2020 die Mehrheit der Stimmenden die Konzerne an die Kandare nehmen wollte. Doch die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) scheiterte am Ständemehr. Jetzt will das breite KVI-Bündnis für eine neue Initiative innert 30 Tagen 100’000 Unterschriften sammeln.

ZWEI BÜRGERLICHE KÄMPFEN FÜR DIE KVI: Der frühere FDP-Nationalrat Claude Ruey und die ehemalige Mitte-Nationalrätin Kathrin Amacker sind Teil der Koalition für die Konzernverantwortungsinitiative und traten heute vor die Medien. (Foto: Keystone)

Der Abstimmungskampf war lang und heftig. Mit allen Mitteln und vielen Millionen wollten die Konzerne verhindern, dass sie für im Ausland begangene Schweinereien in der Schweiz zur Rechenschaft gezogen werden können. Zuerst verzögerte die bürgerliche Parlamentsmehrheit die Behandlung der Konzernverantwortungsinitiative, dann verkauften die Wirtschaftsverbände und ihre Parteien einen Alibi-Gegenvorschlag als Lösung. Das Volk vermochten sie nicht zu überzeugen. Aber weil die Stimme eines Appenzellers 47mal mehr zählt als jene einer Zürcherin und jene einer Urnerin 41mal mehr als die eines Zürchers, scheiterte die Vorlage am Ständemehr. Die Schweizer Multis können weiterhin im Ausland Böden vergiften, Arbeitende ausbeuten und Menschenrechte verletzten.

Falsche Versprechen

Niemand von den bürgerlichen Politikerinnen und Politikern mochte sich offen dafür aussprechen, dass sich Schweizer Konzerne im Ausland einen Dreck um Umweltschutz und Rechte der Arbeitenden kümmern müssen. Darum war das Hauptargument: «keine Insellösung». Heisst: Würde die Schweiz eine Konzernverantwortung ins Gesetz schreiben, wären die Schweizer Firmen im internationalen Wettbewerb benachteiligt. Man wolle «gleich lange Spiesse» und «nicht vorpreschen». Aber wenn eine Konzernverantwortung «international abgestimmt» würde, sei man selbstverständlich dabei.

Keller-Sutters Kampagne

Die Rohstoffkonzerne butterten viele Millionen in die Nein-Kampagne. Die unterschiedlichsten vermeintlich unabhängigen Komitees – von Ethikern bis Christinnen – wurden von den beauftragten Agenturen erfunden und lanciert. Doch die schärfste Waffe der Konzernlobby war die damalige Justiz- und heutige Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP). Sie verlieh der Propaganda des «wirksamen» Gegenvorschlags und der «internationalen Abgestimmtheit» das bundesrätliche Gütesigel.

ZU OFFENSIV: Bundesrätin Karin Keller-Sutter würde für ihre Kampagne gegen die Konzernverantwortungsinitiative gerügt. (Foto: Keystone)

Dabei war Keller-Sutter direkt in die Konzernkampagne eingebunden, wie ein später aufgetauchtes Papier aus ihrem Departement belegt. Mit über 20 Interviews trat sie in den Medien «ergänzend» zur Gegenkampagne auf. Das ging im Nachgang selbst der bürgerlich dominierten Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates zu weit. Diese hielt trocken fest:

Die Grenzen zwischen Information und Kampagne sind überschritten worden.

Die «internationale Lösung»

In der damaligen Abstimmungs-«Arena» des Schweizer Fernsehens sagte Justizministerin Keller-Sutter wörtlich:

Wir setzen im Gegenvorschlag auf eine Lösung, die international abgestimmt ist. Wir wollen die Richtlinien übernehmen, die im europäischen Raum gelten.

Womit Keller-Sutter und die Konzerne nicht gerechnet haben: Im März des vergangenen Jahres beschloss die EU nach mehreren Rückschlägen und gegen erbitterten Widerstand der Konzernlobby ein Lieferkettengesetz.

EU ist weiter

Bereits heute verpflichten zahlreiche europäische Länder ihre Konzerne dazu, die minimalen Arbeits-, Menschenrechts- und Umweltstandards auch im Ausland einzuhalten. Zum Teil sind diese Vorschriften sogar strenger als das neue EU-weite Gesetz. Doch dass die ganze EU jetzt ihre Konzerne in die Pflicht nimmt, ist ein grosser Fortschritt. Denn:

Jetzt sind alle grossen europäischen Unternehmen dafür verantwortlich, dass ihre Lieferanten weder Sklavinnen noch Kinder beschäftigen, dass sie Mindestlöhne bezahlen, die Umwelt nicht übermässig verdrecken und die Gesundheit ihrer Beschäftigten in den Minen, den Fabriken und auf den Feldern schützen.

Für Schäden sind sie nach europäischem Recht haftbar und können von Gerichten in den Sitzländern zu Schadenersatz verurteilt werden.
 
Kurzum: Die von Keller-Sutter und Konsorten immer ins Feld geführten «Richtlinien im europäischen Raum» sind da. Und sie gehen sogar über die ursprünglichen Forderungen der KVI hinaus (siehe Tabelle).

Wenn die Schweiz nicht mitzieht, sind Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz die einzigen in Europa, die sich weiterhin einen Deut um die Einhaltung von Arbeits-, Menschenrechts- und Umweltstandards im Ausland scheren müssen.

Beine machen

Wenig überraschend wollen die Wirtschaftsverbände nichts davon wissen, sich den EU-Regelungen anzuschliessen. Und die grosse Versprecherin Karin Keller-Sutter («Ich bin auch für Menschenrechte») schweigt zum Thema. Doch damit sollen weder die Konzerne noch Keller-Sutter davonkommen. Darum lanciert das Konzernverantwortungsbündnis, zu dem auch die Unia gehört, eine zweite Initiative. Und diese soll schnell eingereicht werden (siehe Box).

100’000 Unterschriften in 30 Tagen

Das Ziel ist ehrgeizig, aber schaffbar. Für die neue Konzernverantwortungsinitiative sollen innert 30 Tagen die nötigen 100’000 Unterschriften gesammelt werden. Heute geht es los. Online können Sie unter www.unia.ch/kovi unterschreiben. Wenn Sie lieber «klassisch» unterschreiben oder gar selber eine oder zwei Stunden Unterschriften sammeln wollen, finden Sie hier Sammelstände in Ihrer Umgebung: konzernverantwortung.ch/sammelaktion/

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