Massenproteste gegen korrupte Regierung
Serbiens Studierende bringen das Land zum Stillstand

Seit dem Einsturz eines frisch renovierten Bahnhofdachs in Novi Sad bringen Proteste in ganz Serbien die Regierung in Bedrängnis. Studierende und Schüler fordern das Ende der Korruption. Präsident Aleksandar Vučić spricht derweil lieber über fliegende Autos. 

MASSENPROTESTE IN SERBIEN: Die Menschen, wie hier in Belgrad, wehren sich auf der Strasse gegen die autoritäre und korrupte Regierung. (Foto: Keystone)

Aleksandar Vučić, amtierender Präsident von Serbien, ist innert kurzer Zeit schon zum zweiten Mal Gast in der Schweiz. Erst die Einladung von Roger Köppel (SVP) zu einem Anlass der «Weltwoche» im Zürcher Edelhotel Dolder. Eintrittsticket: 120 Franken. Köppel betitelte ihn als «Mann des Friedens». Wenige Wochen später der Besuch am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Dort schüttelt er Hände mit EU-Chefin von der Leyen, spricht von fliegenden Autos und bietet Trump und Putin an, ihr erstes Aufeinandertreffen in Serbien abzuhalten. Laut Vučić geniessen Trump und Putin aussergewöhnliche Unterstützung und Beliebtheit in Serbien. Währenddessen steht sein Land wegen Blockaden still. Täglich finden Massenproteste in mehreren Städten statt.

ANDERE PRIORITÄTEN: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić am WEF in Davos. (Foto: Keystone)

Der Auslöser: Am 1. November 2024 stürzte am frisch renovierten Bahnhof von Novi Sad, einer Stadt in Serbien, ein Dach ein. Der Baupfusch tötete 15 Menschen, 30 wurden verletzt. Seither ist das Volk wütend. Federführend für die Proteste sind die Studierenden im Land. Bereits im Jahr 2000 gelang es Studierenden in Serbien mit ähnlichen Massenprotesten, den damals amtierenden Präsidenten und angeklagten Kriegsverbrecher Slobodan Milošević zu stürzen. Das wollen die jungen Aktivistinnen und Aktivisten nun wiederholen.

«Eure Hände sind blutig»

Die Protestierenden blockieren seit Wochen zu Tausenden die Strassen von Belgrad, Novi Sad, Čačak und weiteren Städten. Der Einsturz des Bahnhofdachs brachte für die serbische Bevölkerung das Fass zum Überlaufen: Das autoritäre und korrupte System von Präsident Vučić macht die jungen Menschen wütend. «Eure Hände sind blutig», steht auf zahlreichen Plakaten an den Demonstrationen. Eine rote, blutige Hand wurde zum Zeichen des Aufstandes. Die Studierenden kritisieren auch die korrupten serbischen Staatsmedien. «Lügt meine Oma nicht an!» schrieb ein Student auf sein Demoschild.

DAS ZEICHEN DES AUFSTANDS: Die rote, blutige Hand. (Foto: Keystone)

Die Proteste hielten auch über die Festtage an. Am 31. Dezember versammelten sich Tausende auf den Strassen Belgrads. An der Spitze des Demozugs stand auf einem Transpi:

Kein neues Jahr, ihr habt noch Schulden für das alte.

Nach dem serbisch-orthodoxen Weihnachtsfest Anfang Januar sollte der Unterricht wieder losgehen. Doch eine Vielzahl von Unis und Schulen bleibt geschlossen. Die Dozierenden sowie das Lehrpersonal unterstützen die Forderungen ihrer Schüler.

«KORRUPTION TÖTET – IHR HABT BLUTIGE HÄNDE!»: Die Demonstrierenden wählen klare Worte. (Foto: Keystone)

Die Studierenden Serbiens versuchen nun, ihre Proteste auszuweiten. Für heute, Freitag, kündigten sie einen Generalstreik an und forderten auch die Arbeiterschaft auf mitzustreiken. Im Verlauf des Tages schlossen sich nun immer mehr Betriebe dem Streik an. Darunter Heime, Einkaufsläden, Bäckereien, Restaurants, Museen, Bibliotheken und sogar Medienhäuser.

Die lokalen Gewerkschaften, die seit dem Zerfall Jugoslawiens keinen grossen Aufschwung mehr erlebten, halten sich zurück. Der Präsident der Gewerkschaft Sloga, die für die Post zuständig ist, sagte gegenüber dem Medium Fonet: «Den Kolleginnen und Kollegen rate ich, selbst zu entscheiden, ob sie streiken wollen oder nicht.» Andere kleinere Gewerkschaften, zum Beispiel die Gewerkschaft für Kultur oder die für die Lastwagenfahrer, unterstützen den Generalstreik.

TAUSENDE VERSAMMELN SICH IN BELGRAD: Immer mehr Menschen schliessen sich den Protesten an. (Foto: Keystone)

Protest von links bis rechts

Die Proteste in Serbien sind eine breite Bewegung. Menschen mit politischen Einstellungen von links bis rechts vereinen sich auf den Strassen. Sogar der umstrittene Tennisstar, Impfgegner und bekennende Patriot Novak Djokovic zeigt sich auf der Social-Media-Plattform X solidarisch:

Ich glaube fest an die Stärke junger Menschen und ihren Wunsch nach einer besseren Zukunft und bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass ihre Stimmen gehört werden. (…) Ich stehe zu euch, Novak.

Gegenaktionen von Präsident Vučić bleiben bislang erfolglos. Die Polizei greift an den Protesten mit Härte durch. Es kam zu mehreren Verhaftungen. Zudem wurde eine Studentin bei einer Strassenblockade von einem Auto überfahren und schwer verletzt. Die Stimmung auf den Strassen droht zu kippen. 

«EURE HÄNDE SIND BLUTIG»: Aktion in Novi Sad, wo sich der Unfall ereignet hat. (Foto: Keystone)

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