Neues Abkommen mit der EU: Hunderttausenden drohen schlechtere Arbeitsbedingungen
Sie verstehen nicht, warum die Spesenregelung so zentral ist

In Zürich arbeiten und von tschechischen Spesen Übernachtungen und Essen bezahlen? Für die Gewerkschaften eine rote Linie. Für FDP-Politikerinnen und Wirtschaftsverband-Funktionäre wahlweise ein Znüni-Säckli oder eine «Mücke».

VERSPOTTEN DEN LOHNSCHUTZ: Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher und die ehemalige FDP-Nationalrätin Doris Fiala spielen herunter, wie wichtig die Spesenregelung für die Arbeitenden ist. (Fotos: Keystone)

Der Bundesrat will die EU-Spesenregelung übernehmen. Das bedeutet: Arbeiterinnen und Arbeiter, die von EU-Firmen in die Schweiz geschickt werden, sollen nur noch die Spesen erhalten, die sie im Herkunftsland ihrer Firma zugute hätten. Das öffnet Lohndumping Tür und Tor.

Eine kleine Rechnung:

Ein Arbeitnehmender isst einen Monat lang über Mittag auswärts (21 Tage) und fährt pro Woche 200 Kilometer mit dem Privatwagen. Laut dem Bau-LMV erhält er 336 Franken Essensspesen und 560 Franken Autospesen. Macht total 896 Franken.

Andere Verträge sind grosszügiger: Im GAV Gebäudehülle wären es 1253 Franken und im Untertagebau 1920 Franken. Dazu kommen die Unterkunftsspesen. Hier sind die realen Kosten geschuldet, oder der Arbeitgeber muss eine Unterkunft stellen.

Gemäss Seco-Weisung zum internationalen Lohnvergleich ist eine Übernachtung inklusive Frühstück mit 150 Franken und ein Nachtessen mit 20 Franken einzusetzen. Macht für 21 Tage 3570 Franken.

In Tschechien zum Beispiel kostet ein Mittagessen weniger als 6 Franken. Das grosse Feierabendbier gibt’s für weniger als 2 Franken, ein Hotelzimmer ab weniger als 30 Franken.

Schweizer Löhne in Gefahr

Es braucht keinen Uni-Abschluss in Mathematik, um zu sehen, wozu das führt: Entsandte Lohnabhängige, die in der Schweiz übernachten und essen müssen, dies aber nicht bezahlt bekommen, müssten auf Baustellen oder in Autos schlafen. Ihre Chefs könnten günstiger offerieren als Schweizer Firmen. Oder, wie es SGB-Chef Pierre-Yves Maillard auf den Punkt bringt:

Entsandte Arbeitskräfte wären billiger als unsere eigenen, weil sie weniger Spesen bekommen. Das würde auch den Druck auf die heimischen Löhne erhöhen – und für das einheimische Gewerbe zum Problem werden. Damit steigt der Druck auf die Gesamtarbeitsverträge, die Spesenansätze nach unten anzupassen. Damit droht Hunderttausenden Arbeitnehmenden hierzulande eine Verschlechterung.

Znüni und Mücke

Das sehen auch die meisten Gewerbler und Patrons so. Nicht aber ihre Verbandsfunktionäre. Zum Beispiel Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher. Die Gewerkschaften, die sich gegen den Angriff auf Schweizer Löhne über die Hintertür Spesenregelung wehren, würden aus einer «Mücke einen Elefanten» machen. Für Brupbacher sind als 1200 Franken und mehr pro Monat eine «Mücke».

Noch deutlicher wurde die ehemalige FDP-Nationalrätin Doris Fiala. Auf Tele Züri erklärte sie dem staunenden Lokal-TV-Publikum: «Nein, es geht nicht um den Lohnschutz. Am Schluss geht’s euch (gemeint sind die Gewerkschaften, Anm. d. Red.) um Lunchpakete.» Der Duden definiert Lunchpaket als «kleines Paket mit Verpflegung für die Teilnehmer an einem Ausflug o. Ä.». Mit «Lunchpaket» meint FDP-Frau Fiala in Tat und Wahrheit aber 1000 bis über 3500 Franken pro Monat, die Lohnabhängige weniger ausbezahlt bekämen, würden die EU-Spesenregelung übernommen.

Unia-Chefin Alleva: «Nicht tolerierbar»

Klar ist: Wird dieser Angriff auf die Schweizer Löhne nicht noch gestoppt, können die Gewerkschaften nicht Ja sagen zu den «Bilateralen III». Bereits im vergangenen März erklärte Unia-Präsidentin Vania Alleva es auch den NZZ-Lesenden:

Muss der Entsandte diese Spesen ganz oder auch nur teilweise selber bezahlen, ist das eine Ausbeutung, die wir nicht tolerieren können.

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