worktag
Tierpräparatorin Sabrina Beutler (40): «Ich karikiere das Lebendige»

Sabrina Beutler lässt in ­ihrem Atelier tote Tiere ­auferstehen. Ihre Kundschaft reist aus der ganzen Schweiz und aus Nachbarländern an.

SABRINA BEUTLER (40): Tierpräparatorin mit Haut und Haar. (Foto: Matthias Luggen)

Im Atelier von Sabrina Beutler, einer ehemaligen Werkzeugfabrik in Düdingen FR, ist es an diesem Wintermorgen nur knapp über zehn Grad warm. Ihre beiden spanischen Windhunde liegen unter Armeedecken eingekuschelt auf dem Sofa. Es sind die einzigen lebenden Tiere im Raum. Beutlers Werkstatt ist mit unzähligen Fundstücken, Skizzen und Modellen geschmückt. Auf dem Ateliertisch stehen zwei junge Luchse, ein Gemskopf und das Tierpräparat eines Wildschweinfrischlings.

Früher Berufstraum

Beutler sagt: «Als ich acht Jahre alt war, sah ich das Portrait eines Tierpräparators in einer Zeitschrift und wusste: Das ist es, was ich bin. Ich muss nur noch jemanden finden, der mir das beibringt!» In der Umgebung ihres Elternhauses im Emmental BE war sie häufig im Wald unterwegs. Dort beobachtete sie, wie Fuchskadaver über Wochen hinweg vergammelten. Sie sagt:

Das war nicht makabre Faszination, sondern das Interesse am Skelett!

Mit einem Stecklein machte sie die Haare weg, um die Knochen zu sehen, um die Mechanik im Innern zu verstehen. Sie sammelte Federn und Knöchlein.

Zu Hause hatten sie eine Werkstatt, wo sie als Kind mit ihren eigenen Werkzeugen Spielsachen bauen konnte. Ihre Eltern organisierten für sie Besuche bei den Tierpräparatoren des Naturhistorischen Museums in Bern. Beutler sagt. «Als Teenagerin war ich mehrmals dort und hatte so bereits früh Einblick in den Beruf.»

Keine Lehre, keine Stelle

Doch eine eidgenössisch anerkannte Lehre zur Tierpräparatorin gab und gibt es bis heute nicht. Tierpräparation sei eine Mischung aus verschiedensten handwerklichen Berufen, sagt Beutler. Sie sei Schreinerin, Zeichnerin, Modellbauerin, Metzgerin, Veterinärin, Gerberin und Kunststofftechnikerin. Beutler sagt: «Ich habe den Beruf selbst seziert und die Bestandteile angeschaut, so wie eine Präparatorin. Die Teile fand ich auch super, aber mir fehlte stets der Rest.»

Schliesslich machte Beutler nach der Matura eine Ausbildung an einer Fachhochschule für Präparationstechnik in Deutschland. Nach dieser Ausbildung folgte die nächste Hürde, denn die naturhistorischen Museen und Universitäten in der Schweiz haben nur wenige Stellen im Bereich der Tierpräparation, und diese werden nur sehr selten frei. So musste sich Beutler mit wenig Berufserfahrung und wenig Kapital früh selbständig machen.

Geld und Geduld

Inzwischen kommen Beutlers Kundinnen und Kunden aus der ganzen Schweiz, aus Deutschland und ­Österreich nach Düdingen. Ihre Auftrag­geber sind Museen, Wissenschafterinnen, Jäger oder auch Private, zum Beispiel wenn jemand bei einem toten Vogel, der in die Scheibe geflogen ist, die Schönheit des Gefieders entdeckt. Beutler sagt: «Meine privaten Kundinnen und Kunden sind vor ­allem aus ästhetischen Gründen an den Tierpräparaten interessiert.» Doch wer bei Beutler ein Tierpräparat bestellt, braucht Geld und vor allem Geduld. Ihre Lieferfristen sind wegen der hohen Nachfrage oft länger als ein Jahr, und ein Tierpräparat kostet in der Regel mehr als 500 Franken.

Baupläne nach Tierkörpern

Wenn das tote Tier angeliefert wird, lässt Beutler den gefrorenen Tierkörper auftauen und zieht ihm die Haut ab, die sie in einem ersten Arbeitsschritt gerbt. Beutler sagt: «Bis zur Grösse eines Wolfs kann ich das selber ­machen, bei grösseren Tieren brauche ich Hilfe.» Ihr bisher grösstes Tier war ein Zwergwal, dessen Knochen sie im Auftrag eines deutschen Museums zusammensetzte. Bei den Tieren mit Fell erstellt Beutler nach der Vorlage des Tierkörpers einen Bauplan: Der nackte Tierkörper muss für das Tierpräparat in Form eines Modells eins zu eins nachgebaut werden. Beutler sagt:

Meine Aufgabe ist, das Tier möglichst ehrlich darzustellen, aber die Haltung des Tieres ist auch von den Wünschen der Auftraggeber abhängig.

Zeitgeist im Präparat

An Tierpräparaten könne auch der Zeitgeist erkannt werden. Zum Beispiel bei Jagdtrophäen oder in den Dioramen der naturhistorischen Museen. Die Tierpräparatorin sagt: «Anfang des 20. Jahrhundert, da haben die Museen gezielt eine familiäre Idylle mit Männlein, Weiblein und einem Jungen konstruiert, auch bei Tieren, die in der Natur keine solchen Familiengruppen bilden.» Nach dem Ersten Weltkrieg seien männliche Tierpräparate als starke Beschützer inszeniert worden. Heute versuche man wegzukommen vom Patriarchalen. Ein anderes heisses Thema seien die Raubtiere. Wie stellt man zum Beispiel einen Wolf dar? Beutler sagt: «Der Wolf darf weder niedlich noch böse sein, er muss absolut neutral wirken.» Der Wolf sei heute das politisierteste Tier in der Schweiz, vor fünfzehn Jahren sei es noch der Luchs gewesen. Die beiden jungen Luchse, die auf dem Tisch stehen, dürfen inzwischen auch herzig sein, und sie wirken dank der Handwerkskunst von Beutler wieder fast wie lebendig.


Sabrina BeutlerAuch eine Autorin


Sabrina Beutler wohnt mit ihrem Partner, ihren beiden Wind­hunden, einer Katze, Kaninchen und ­Hühnern in einem Weiler ausserhalb von Düdingen. Um ihr Haus pflanzt und pflegt sie Hecken und sorgt damit für möglichst viel Biodiversität. Auch in den Ferien bleibt sie am liebsten in der Umgebung ihres Hauses.

Tierlisten

Beutler führt Listen der Tiere, denen sie im Garten und auf Spaziergängen begegnet. Durch die genaue Beobachtung erkennt sie die Ver­haltensweisen und Eigenarten der Tiere. Dies nützt ihr für ihren Beruf als Präparatorin, in dem es auch darum geht, den besonderen Charakter eines Tieres zu erfassen und hervorzuheben. So wie eine Karikaturistin, sagt Beutler.

Roman

In ihrer Freizeit ist Beutler auch Autorin und schreibt an einem Fortsetzungsroman. Jedes Jahr publiziert sie einen neuen Band im Eigenverlag. In ihren Geschichten geht es vor allem um psychologische Themen und zwischenmenschliche Beziehungen. Das Schreiben sei auch ein Ventil, um sich nicht immer mit der Arbeit befassen zu müssen.

Offene Tür

Am Tag der offenen Tür kommen die Leute und Kinder aus dem Dorf in ihr Reich der Tiere und Skelette. Als Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der naturwissenschaft­lichen Präparation Schweiz setzt sie sich für eine staatlich anerkannte Berufs­bildung und für faire Arbeitsbedingungen in der Tierpräparation ein.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.