Jean Ziegler ‒ la suisse existe
Tod im Meer

Jean Ziegler

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Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute: 117 Millionen Migrantinnen und Migranten fliehen vor Konflikten, Gewalt oder Katastrophen. Weltweit sind 281 Millionen Menschen in der ­Migration. Die meisten Migrationsbewegungen sind regulär, sicher und regional ausgerichtet. Das schreibt die Uno-Migra­tionsbehörde (IOM) in ihrem neusten Bericht.

Abschreckung

Das Recht auf Asyl ist ein in der Uno-Charta verbrieftes, universelles Menschenrecht. Wer in seinem Land bedroht ist und Gewalt erlebt, hat das Recht, in einem anderen Land Asyl zu beantragen. Ob der andere Staat das Asylgesuch annimmt, hängt von seiner eigenen Prüfung ab. Die Einreichung des Gesuches aber ist ein universelles Menschenrecht. Frontex heisst die internationale Grenzschutzbehörde, welche die Aussengrenzen der EU kontrolliert. Von der Schweiz erhält sie jährlich 61 Millionen Steuergeld. Schweizer Zöllnerinnen und Polizisten sind präsent in der Luft, auf dem Meer und an den europäischen Aussengrenzen, überall dort, wo Frontex ihre Abschreckungspolitik durchsetzt.

Tragödie

Die Frontex betreibt systematisch Pushbacks und Rückweisungen der Flüchtlinge. Sie fängt die Flüchtenden ab, bevor diese EU-Territorialgewässer ­erreichen können, oder hindert sie daran, in internationalen Gewässern einen Notruf abzusetzen. Die Rückweisungsstrategie der EU ist ein Verbrechen gegen die ­Menschlichkeit. Ein Beispiel: Am 26. Februar 2023 sichtet ein Frontex-Patrouillenflugzeug vor der kalabrischen Küste ­Italiens einen havarierten Kahn. Gegen hundert verängstigte, vor Kälte zitternde Menschen – darunter viele Kinder – aus Afghanistan, Syrien und Iran drängen sich auf dem dahintreibenden Boot. Das ­Frontex-Flugzeug zieht am düsteren ­Himmel seine Runden, fotografiert die Verzweifelten und fliegt dann weiter. Die europäische Küstenwache löst keinen Alarm aus, keine Rettungsaktion. Italienische Fischer finden später 76 Leichen, die im eiskalten Wasser treiben.

Bedrohung

Die kürzlich wiedergewählte EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen sieht in den Flüchtlingen eine «Bedrohung der europäischen Lebensweisen». Ihre Strategie ist klar: die rassistischen, rechtsextremen Bewegungen in Europa wachsen rasant. Um sie zu stoppen, muss die Zahl der Flüchtlinge gestoppt werden. Die Folgen dieser Politik sind tödlich. Frontex und seine Pushback-Politik ist eine Schande für Europa und für unser Land.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

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