«Gemeinsame Verständigung» der Gewerkschaften und der Arbeitgeber
Bewegung beim Lohnschutz – aber noch muss einiges gehen

Die «Bilateralen III» gefährden Lohnschutz und Service public. Die Gewerkschaften verlangen innenpolitische Absicherungen. Jetzt bewegen sich Bundesrat und Arbeitgeber. Doch der Weg bleibt steinig und lang. Und die Gewerkschaften wachsam.

JA ZU DEN BILATERALEN, ABER NUR MIT LOHNSCHUTZ: Die rote Linie für ein Abkommen mit der EU haben die Gewerkschaften klar definiert. (Foto: Keystone)

Der Bundesrat erklärte die Verhandlungen mit der EU am 20. Dezember 2024 für abgeschlossen. Und die Verhandlungsziele für erreicht. Das sehen die Gewerkschaften aus guten Gründen anders. Die bis jetzt verfügbaren Informationen zeigen, dass Lohnschutz und Service public mit dem neuen Abkommen in Gefahr sind. 

Die Haltung der Gewerkschaften ist seit Jahren klar und konzis:

Der SGB unterstützt den bilateralen Weg, wenn die Löhne und der Service public gesichert sind.

Die Personenfreizügigkeit mit wirksamen flankierenden Massnahmen ist eine gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte, auch weil sie das Ende des unmenschlichen Saisonnierstatuts brachte. Lohnschutz und Personenfreizügigkeit statt Diskriminierung und sinnlose «Schutzklauseln» sind im Interesse der Arbeitnehmenden in der Schweiz. Auch für die Arbeitsplätze und die Löhne sind gute und geregelte wirtschaftliche Beziehungen mit der EU wichtig.

«Gemeinsame Verständigung»

Seit dem Dezember 2022 – die Verhandlungen mit der EU liefen noch – haben sich die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Kantone zu insgesamt über 60 Gesprächen getroffen. Eingeladen hat der Bundesrat. Das Ziel:

Allfällige Schwächungen des Lohnschutzes und des Service publics bei einem Abkommen mit der EU innenpolitisch zu korrigieren.

Lange lehnten die Arbeitgeberverbände alle vernünftigen Regelungen ab. Jetzt scheinen sie sich zu bewegen. Zumindest ein bisschen und immerhin in die richtige Richtung: Am 17. Februar einigten sich Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Kantone unter der Leitung von Wirtschaftsminister unter Guy Parmelin auf eine «gemeinsamen Verständigung» über inländische Massnahmen zur Absicherung des Lohnschutzes. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 19. Februar von dieser Kenntnis genommen und schlägt auf Grundlage der Gespräche weitere Massnahmen vor.

Darüber wird geredet

Der Lohnschutz wird im vom Bundesrat als fertig verhandelt bezeichneten Vertragswerk – im Vergleich zum Status quo – geschwächt. Um dies zu kompensieren, sind innenpolitische Massnahmen nötig. Und zwar:

  • Massnahmen, die Zugeständnisse an die EU (beispielsweise die Verkürzung der Voranmeldefrist) direkt kompensieren; 
  • Massnahmen, mit denen die negativen Auswirkungen der geschwächten Dienstleistungssperre kompensieren;
  • Massnahmen, die nötig sind, weil aussenpolitisch keine Ausnahme erzielt werden konnte. Hier geht es zum Beispiel ganz konkret um die Übernahme der EU-Spesenregelung. Das Faktenblatt des Bundes zu den zu besprechenden Massnahmen ist unter diesem Link im Detail nachzulesen.

Das sagen die Gewerkschaften

Für den Gewerkschaftsbund sind die gestrigen Beschlüsse des Bundesrats ein erster, wichtiger Schritt. Doch der SGB stellt gleichzeitig klar: «Die entscheidende Phase steht noch bevor. Das Ergebnis muss einen wirksamen autonomen Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen garantieren.» Neben dem Lohnschutz hält der SGB daran fest, dass der Service public beim Strom und bei der Bahn gewährleistet sein muss.

Unia-Präsidentin Vania Alleva sagt zum aktuellen Stand der Dinge:

Es scheint eine Bereitschaft zu geben, die Rückschritte beim Lohnschutz mit innenpolitischen Massnahmen kompensieren zu wollen. Diese müssen jetzt aber konkretisiert und auch in Gesetzesänderungen festgelegt werden. Es gibt noch einige offene Fragen, die geklärt werden müssen. Die Unia wird erst nach den definitiven Beschlüssen des Bundesrates und des Parlaments das ganze Paket abschliessend beurteilen und dann ihre Position festlegen.

KLARE POSITION: Unia-Präsidentin Vania Alleva. (Foto: Gaetan Bally)

So geht’s weiter

Bis Ende März sollen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Kantone die nötigen Massnahmen detailliert ausarbeiten. Den Prozess leitet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Im Frühsommer will der Bundesrat die innenpolitischen Massnahmen danach zusammen mit dem vollständigen Abkommenstext in die Vernehmlassung geben. Das Parlament beginnt kaum vor Ende Jahr mit der Beratung. Das letzte Wort wird das Stimmvolk haben. Die Abstimmung dürfte frühstens 2027 stattfinden.

Diese Sicherheiten wollen die Gewerkschaften

Ende Januar haben die Delegierten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes formuliert, was es braucht, damit die Bilateralen III den Lohnabhängigen im Land nützen und nicht schaden. In einer Resolution stellten sie folgende Forderungen auf:

  • Es sollen neu nur diejenigen Firmen Aufträge erhalten, die auch korrekte Löhne zahlen. Dazu sollen die digital vorhandenen Informationen aus den Lohnkontrollen von den Auftraggebenden genutzt werden. Zudem sollte die Schweiz eine Auftraggebendenhaftung einführen.
  • Für die Durchsetzung der Löhne bei zwielichtigen Firmen braucht es schärfere Instrumente: Erstunternehmen müssen die Bussen für Subunternehmen zahlen, wenn sie nicht vorher überprüft haben, ob die Subunternehmen Schweizer Löhne zahlen. Zudem sollen Firmen, die bei den Kontrollen nicht kooperieren oder bei denen grosse Missstände herrschen, die Arbeiten unterbrechen müssen.
  • Die Bearbeitungszeiten der Kantone für die Meldungen müssen spürbar verkürzt werden. Die paritätischen Kommissionen müssen einen direkten Zugang zu den Meldungen erhalten, damit sie die Kontrollen rechtzeitig planen und durchführen können.
  • In der Schweiz müssen Schweizer Spesen bezahlt werden. Der Bundesrat muss dieses Thema im Abkommen nachverhandeln. Wenn das nicht gelingt, muss diese Selbstverständlichkeit in den Schweizer Gesetzen klar festgehalten werden. Auch damit das Bundesgericht in einem allfälligen Streitfall nicht falsch entscheidet.
  • Die schleichende Erosion beim Lohnschutz muss gestoppt werden. Die Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) müssen an die heutige Realität angepasst werden. Insbesondere das Arbeitgeberquorum ist heute viel zu hoch. Die EU verlangt Massnahmen zur Förderung von GAV, wenn weniger als 80 Prozent der Arbeitnehmenden einem GAV unterstellt sind. Die Schweiz muss dieses Ziel übernehmen.
  • Bei der Temporärarbeit braucht es bessere Anstellungsbedingungen und Beschränkungen. Temporärangestellte sollen besser gegen Kündigungen geschützt sein und die gleichen Löhne erhalten wie ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen.
  • Wenn Berufstätige, die sich für die Rechte der Arbeitnehmenden einsetzen, besser gegen Kündigungen geschützt sind, verbessert sich auch der Lohnschutz. Deshalb braucht es einen besseren Kündigungsschutz.
  • Geregelte Strombeziehungen mit der EU sind auch aus Sicht der Gewerkschaften sehr wichtig. Die dafür geplante Liberalisierung des Strommarktes lehnen sie jedoch ab. Der SGB unterstützt den Vorschlag des Bundesrates, das Stromdossier einem separaten Beschluss zu unterstellen.
  • Bei der möglichen Öffnung des internationalen Personenfernverkehrs auf der Schiene verlangen die Gewerkschaften, dass die ausgehandelten Absicherungen vollumfänglich autonom umsetzbar sind. Schweizer Lohn- und Arbeitsbedingungen müssen jederzeit sichergestellt sein. Das Kooperationsmodell muss weiter zulässig, die Tarifintegration gewährleistet und die Trassenvergabe unter Schweizer Hoheit garantiert sein. Es muss der Grundsatz gelten: Schweizer Recht auf Schweizer Schiene.
  • Der Bund muss wirksam sicherstellen, dass die derzeit existierenden Beihilfen, respektive Fördermassnahmen und Subventionsinstrumente im Schweizer Service public (namentlich in Verkehrs- und Strombereich) auch in Zukunft abgesichert sind. Diese Absicherung muss langfristige Gültigkeit haben, sowohl gegenüber der EU als auch unter der neu zu schaffenden Schweizer Beihilfeüberwachung.

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