Weil Meister die Unia fürchten – und nicht teilen wollen:
Bodenleger-Dumping-GAV vor Bruchlandung

Dank einem zweifelhaften ­Personalverband konnten sich die Bodenleger-Meister einen Billig-GAV schreiben. Er bedroht die Standards im ganzen Ausbaugewerbe. Doch das Verfahren rostet in Bundesbern. Und jetzt haben sich die Chefs noch selbst ein Bein gestellt.

BODENLEGER UNTER DRUCK: Die Arbeitgeber wollen einen GAV erzwingen, der ihre Arbeitsbedingungen teils massiv verschlechtert. (Foto: Shutterstock)

Mit einem Teilnehmerrekord habe man nicht glänzen können. Aber immerhin, die Stimmung sei «gut» gewesen. So lautet die Kürzestbilanz im Verbandsmagazin zur 106. Generalversammlung von Boden Schweiz, dem Arbeitgeberverband der Schweizer Bodenbelagsbranche. Die betreffende GV ging schon im April 2024 über die Bühne und blieb völlig unbeachtet – obwohl dort Bemerkenswertes passierte. Zum Beispiel war als Gastreferent Reiner Eichenberger eingeladen, ein SVP-naher Wirtschaftsprofessor von der Uni Freiburg. Er sollte erläutern, «warum Zuwanderung keine Lösung ist». Eine Lösung aber bräuchten die Bodenleger-Chefinnen und -Chefs dringend – und zwar für den eklatanten Fachkräftemangel.

Ökonom Eichenberger überrumpelt GV

Auf Nachfrage bestätigt Boden-Schweiz-Präsident René Bossert: «Wir leiden stark unter dem Fachkräftemangel und den sinkenden Lehrlingszahlen.» Allein 2024 habe die Branche rund 30 Prozent weniger Lernende verzeichnet als noch 2023. Und: «Die meisten Verbandsaustritte verzeichnen wir wegen Geschäftsauflösungen infolge fehlender Nachfolger.» Das sind extreme Dimensionen, auch im Vergleich zum restlichen Baugewerbe. Kein Wunder, re­krutieren viele Firmen längst auch im Ausland. Doch eben das sei «keine Lösung», belehrte Eichenberger die GV. Stattdessen forderte der Professor etwas gänzlich Unerhörtes. Nämlich «eine markante Erhöhung der Löhne»! So steht es im GV-Protokoll. Eichenberger schlug daneben auch längere Arbeitszeiten vor. Und das griff das Verbandsmagazin enthusiastisch auf: «Ja, längere Arbeitszeiten und keine Viertagewoche!» Kein Kommentar findet sich zur Forderung nach markant mehr Lohn. So was hatte man vom rechten Ökonomen wohl schlicht nicht erwartet. Und schliesslich verfolgt der Verband längst ein Projekt, das in eine ganz andere Richtung weist.

Sozialpartnerin ohne Ahnung und Basis

Im Sommer 2023 überraschte Boden Schweiz bekanntlich mit einem druckfrischen Gesamtarbeitsvertrag. Dieser soll den seit Jahrzehnten andauernden vertragslosen Zustand in der Deutschschweiz beenden. Das Problem: Unterzeichnet hatte den GAV ausgerechnet Angestellte Schweiz (AS), ein Zusammenschluss von Hausverbänden aus der Industrie, der mit dem Baugewerbe erklärtermassen noch nie etwas am Hut hatte. Auch scheint fraglich, ob AS überhaupt in Anspruch nehmen darf, die Bodenlegerinnen und Bodenleger der Schweiz zu vertreten. Mitgliederzahlen rückt der Verband nicht heraus. Fakt ist aber: Boden Schweiz hat sämtliche Mitgliedsfirmen aufgefordert, ihren Büezerinnen und Büezern Beitrittsformulare der «Gewerkschaft» abzugeben. Nicht gerade ein Zeichen der Mitgliederstärke, geschweige denn der Unabhängigkeit. Doch für die Bodenlegerchefs ist eine einigermassen repräsentative Vertragspartnerin schlicht elementar. Denn ohne ein Mindestquorum an Mitgliedern könnte der Bundesrat die beantragte Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) des GAV verweigern. Und dann würde der GAV gar nicht erst in Kraft treten. Diesen ungewöhnlichen Vorbehalt haben AS und Boden Schweiz selbst so vereinbart. Das grösste Problem ist aber der Inhalt des Vertrags.

Lässt sich das Seco einspannen?

Im Vergleich zum Gesetz bringt er praktisch keine Verbesserung, teils sogar Verschlechterungen. Zudem unterschreitet er die aktuellen Standards massiv. Gewisse ­Berufskategorien müssten sogar mit tieferen Löhnen rechnen (siehe Spalte unten). Die Folge wäre eine Negativspirale, die auch andere baugewerbliche Berufe unter Druck setzen würde. Die Gewerkschaften Unia und Syna haben deshalb die Notbremse gezogen und beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Rekurs gegen die AVE eingelegt. Noch ist nichts entschieden. Doch die letzten Signale aus Bundesbern lassen vermuten, dass der AVE stattgegeben werden könnte – trotz den Rekursen. Allerdings scheint das Seco auch die Unia und die Syna in die Vertragspartnerschaft involvieren zu wollen. Beamte haben jedenfalls entsprechende Sondierungen aufgenommen. Womöglich eine überflüssige Mühe, wie schon aus dem Protokoll der Bodenlegermeister-GV 2024 hervorgeht: «Der Präsident betont, dass ein GAV mit der Unia nicht in Frage kommt.» Und: «Er ruft alle Mitglieder auf, dafür zu kämpfen, damit die Branche eines Tages zum erhofften Ziel gelangt.»

Doch seit letztem September ist das Verfahren beim Seco eingerostet. Und jetzt wird sogar ein Abbruch der ganzen Übung immer wahrscheinlicher. Denn die Bodenlegermeister wollen noch immer lieber keinen GAV als einen mit einer echten Gewerkschaft. Präsident René Bossert bestätigt: «Seit dem Beginn des GAV-Projekts 2013 war uns immer klar, dass wir die Unia und die Syna nicht dabeihaben wollen. Daran hat sich nichts geändert.»


Professor für Arbeitsrecht: «Klar schlechter als das Gesetz»

Mit 12 Seiten ist der neue Bodenleger-GAV der wohl dünnste GAV des Landes. Entsprechend wenig wird darin geregelt. Überhaupt nichts gesagt wird zu Probezeiten, Spesen, Wegzeiten oder Ferien. Eine Krankentaggeldversicherung ist freiwillig. Samstags­arbeit soll zuschlagsfrei und uneingeschränkt möglich sein. Überstunden wieder­­um sollen am Jahresende «mit dem Normallohn ausgeglichen» werden, falls sie nicht «durch Freizeit abgeglichen» worden sind. Erstaunlich! Das Arbeitsgesetz schreibt vor, dass Überstunden, die nicht mit Freizeit ausgeglichen werden, mit einem Zuschlag von 25 Prozent zu vergüten seien. Handeln die Boden­legermeister also illegal? Nein, sagt Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen. Im Rahmen eines GAV könne von dieser Regel abgewichen werden: «Insofern ist die Regelung gesetzeskonform, aber auch klar eine Schlechterstellung gegenüber der gesetzlichen Regelung.»

Einbussen

Auch bei den Mindestlöhnen fällt der GAV weit hinter aktuelle Standards zurück: Nur 20.40 Franken brutto pro Stunde soll ein ungelernter Arbeiter verdienen. Im Westschweizer GAV des Ausbaugewerbes, der auch für die dortigen Bodenleger gilt, hat ein Ungelernter fast 6 Franken mehr auf sicher. Oder eine Bodenlegerin drei Jahre nach Lehrabschluss: Der GAV des Ausbaugewerbes von Basel-Stadt garantiert ihr einen Mindestlohn von 4900 Franken. Würde sie aber im Aargau arbeiten, wo künftig der GAV von Angestellte Schweiz gelten soll, hätte sie nur 4150 Franken gesichert. Auch die vielen Temporären müssten mit Ein­bussen rechnen. Ein gelernter Bodenleger, der heute in Zürich temporär arbeitet, verdient mindestens 27.30 Franken pro Stunde. Das garantiert ihm der GAV Personalverleih. Wenn aber künftig der Bodenleger-GAV allgemeinverbindlich ist, darf demselben Fachmann drei Franken weniger gezahlt werden. (jok)

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