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Deepseek: China erwischt Trump auf dem falschen Fuss

Künstliche Intelligenz (KI) wird zwanzig Mal billiger. Und für alle Staaten und Unternehmen frei nutzbar. Gut für die Schweiz und ihre Firmen. Aber wie ist es für die Lohnabhängigen?

STELLT ALLES AUF DEN KOPF: Das KI-Modell des chinesischen Start-ups Deepseek. (Foto: Adobe Stock)

Wird die künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt revolutionieren? Oder bleibt alles mehr oder weniger beim Alten? Die Meinungen sind geteilt.

Die US-Konzerne Alphabet, Microsoft, Amazon und Meta investierten bisher pro Jahr mehr als 200 Milliarden Franken in gigantische Rechenzentren. Für diese Rechenzentren waren nur die neuesten Chips des US-Herstellers Nvidia gut genug. Diese angeblichen Wunder­chips waren bisher eine Waffe in den Händen der US-Aussenpolitik. China bekam keine Hochleistungschips der neuesten Generation. Und auch die Schweiz wollten die USA nicht mit genügend Chips beliefern. Wirtschafts­minister Guy Parmelin wirkte in seinen letzten Interviews angesichts dieses Friendly-Trump-Fires hilflos.

Und jetzt kommt plötzlich das chinesische Start-up Deepseek mit einem KI-Modell und bringt vergleichbar gute Resultate zu einem zwanzig Mal günstigeren Preis als die Amis und ihre glorreichen sieben (Apple, Nvidia, Alphabet, Meta, Amazon, Tesla und Microsoft), in welche die Schweizerische Nationalbank viel Geld investiert hat. Und jetzt, wo die Börse wegen Deepseek abstürzt, viel Geld verlieren wird. Noch ist alles etwas im Nebel, aber vieles deutet auf eine grosse Disruption hin:

Deepseek I: Das chinesische Start-up hat nach eigenen Angaben nur wenige Millionen Dollar in seine Lösung investiert, die vergleichbar gut ist wie jene des US-Softwareentwicklers Open AI.

Deepseek II: Das Start-up hat Schritt für Schritt seine Codes offengelegt. Wenig ist geheim. Alles scheint nachvollziehbar.

Deepseek III: Alle können die Programme auf ihre lokalen Server laden. Eine Kontrolle durch die chinesischen Geheimdienste ist stark erschwert bis unmöglich.

Deepseek IV: Die Software ist nicht auf die Hochleistungschips des US-Unternehmens Nvidia angewiesen. An einem Tag verlor dieses deshalb 500 Milliarden Dollar an Börsenwert.

Deepseek V: Das chinesische Start-up braucht für sein KI-Modell zwanzig Mal weniger Strom als die USA bisher. Deshalb rutschten die Aktien des Energietechnikherstellers Siemens Energy in den Keller.

Sputnikschock

Bisher hatte Europa und hatten auch wir hier in der Schweiz in Sachen künstlicher Intelligenz einen scheinbar nicht aufholbaren Rückstand. Das hat sich jetzt über Nacht verändert: In allen Wissenschaftsredaktionen und Universitäten testen die besten Fachleute der Welt das neue chinesische Produkt. Und die meisten kommen bisher aus dem Staunen nicht heraus. Einige reden sogar von einem Sputnikschock. So nennt man die politischen und gesellschaftlichen Reaktionen in der west­lichen Welt auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 durch die Sowjetunion.

Wenige Tage vor dem digitalen Deepseek-Erdbeben hatte Trump noch angekündigt, dass Private 500 Milliarden Dollar in Rechenzentren investieren würden. Tesla-Milliardär Elon Musk beschwerte sich, dieses Projekt sei nicht finanziert. Die Ankündigung Trumps und die Sorge von Musk lösen sich dank China nun in Luft auf. Immerhin hat Trump clevere Beratende: Einen Tag nach dem Börsensturz verkündete er von seinem Anwesen in Mar-a-Lago, der chinesische Durchbruch sei «ein Weckruf».

Was bedeutet das alles?

Perspektive 1: Wenn eine Technologie zwanzig Mal günstiger wird, setzt sie sich auf immer mehr Feldern durch: Vor zwanzig Jahren kosteten Solarpanels zwanzig Mal mehr als heute. Heute ist Solarstrom weltweit der mit Abstand günstigste Strom.

Perspektive 2: Schweizer Hochschulen und Unternehmen müssen sich alle Rechte von Deepseek sichern, sofern dies möglich ist. Und sie müssen Lösungen der nächsten Generation mitentwickeln. Und Bundesrat Parmelin braucht einen Deepseek-Minister. Branchen wie die Schweizer Autozulieferer bekämen dann eine neue Chance, weil wir die beiden besten technischen Hochschulen Europas haben.

Perspektive 3: Wenn künstliche Intelligenz absehbar die Produktivität erhöht, müssten die realen Löhne pro Stunde ansteigen. Damit auch die grosse Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer – mit und ohne Pass – vom technologischen Schub profitiert.

Perspektive 4: Die USA werden alles unternehmen, um China wieder zu überholen. Das muss kein Nachteil sein.

Links zum Thema:

  • rebrand.ly/sputnikschock Sputnikschock nennt man die Reaktionen in der westlichen Welt auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik im Jahr 1957 durch die Sowjetunion.
  • rebrand.ly/game-over-für-arbeit Die Kommunikationswissenschafterin Miriam Meckel schreibt im deutschen «Handelsblatt», dem Blatt des Kapitals, bedenkenswerte Kommentare. Letzte Woche: «Game over für die Arbeit. KI-Agenten könnten bald menschliche Arbeitskräfte ersetzen. Was tun, wenn Arbeit keine Rolle mehr spielt?» Was, wenn sie recht bekommt? Steht dann der digitale Sozialismus in der Haustür?

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