Somedia Distribution: Ein mieser Lohn und ­Abrechnungen, die niemand versteht
Dieser Mindestlohn ist blanker Hohn

Als Zeitungsverträger im ­Kanton Glarus erhält Martin Weiss nur gerade 15 Franken Lohn pro Stunde, manchmal noch ­weniger. Dabei gilt in der Branche ein Mindestlohn. Für die Postcom als Aufsichtsbehörde scheint alles in Ordnung zu sein.

ER CHRAMPFT FÜR EINEN MINILOHN: Martin Weiss trägt bei Wind und Wetter Zeitungen aus, doch von seiner Arbeitgeberin fühlt er sich über den Tisch gezogen. (Foto: Michael Schoch)

Sein Wecker klingelt, wenn die letzten Nachtschwärmer ins Bett gehen. Nachts um halb eins steht Martin Weiss* auf. Heute ist Donnerstag, da gibt’s besonders viel zu tun. Neben der Tageszeitung «Südostschweiz» verteilt er donnerstags auch noch den «Fridolin», die Wochenzeitung im Kanton Glarus. Um zwei Uhr hat er seinen Handwagen vollgeladen und startet seine Tour. Ein «Chrampf» sei das im Winter, wenn Schnee liege, sagt Weiss. «Auch bei Regen macht die Arbeit keinen Spass. Aber von etwas muss ich ja leben.» Morgens um halb sieben muss die letzte Zeitung ausgeliefert sein, sonst gibt’s Reklamationen.

Weiss arbeitet für die Somedia Distribution, eine Tochterfirma des Verlags, der die «Südostschweiz» herausgibt. Weil sie Zeitungen ausliefert, fällt die Firma unter das Postgesetz und muss somit einen Mindestlohn einhalten. Der wird von der Aufsichtsbehörde Postcom festgelegt, aktuell liegt er bei 19 Franken pro Stunde. Das ist skandalös tief: Selbst wenn noch eine Entschädigung für fünf Wochen Ferien dazukommt, ergibt das einen Monatslohn von nicht einmal 3500 Franken. Kein Wunder, fordern die Gewerkschaften seit Jahren, dass die Postcom ihren Mindestlohn deutlich erhöht.

Er will es wissen

Aufzeichnungen und Dokumente von Martin Weiss zeigen jetzt: Die Somedia hält meistens nicht einmal diesen Mini-Mindestlohn ein. Ihre Lohnberechnungen sind intransparent. Und die Postcom macht zwar Kontrollen. Es ist aber fraglich, ob sie dabei die tatsächlichen Löhne und Arbeitszeiten der Zustellerinnen und Zusteller in Erfahrung bringt.

Weiss hat für Juli bis Dezember letztes Jahr seine Arbeitszeit berechnet, Tag für Tag. Das muss er selber tun, da die Somedia die geleistete Zeit nicht erfasst. Er sagt: «Ich kenne diese Dienste in- und auswendig. Darum weiss ich, an welchem Wochentag ich wie lange brauche.» Zusätzlich hat er während zweier Monate täglich die Zeiten mit seiner Sportuhr aufgezeichnet.

Plötzlich nur 13 Franken pro Stunde

Zusammen mit seinen Lohnabrechnungen, die work vorliegen, lässt sich der tatsächliche Stundenlohn ausrechnen. Im Schnitt liegt er bei 15 Franken 29. Nur in einem der sechs Monate hielt die Somedia den Postcom-Mindestlohn ein, und zwar ganz knapp: Stundenlohn 19 Franken und 3 Rappen. Im November 2024 waren es dagegen nur gerade 13 Franken pro Stunde – 6 Franken weniger als der (schon tiefe) Mindestlohn!

Wie die Somedia den Lohn berechnet und weshalb er von Monat zu Monat so stark schwankt, das ist unklar. Zwar erhalten die Zustellerinnen und Zusteller jeden Monat eine Liste. Sie enthält auf mehreren A4-Seiten pro Arbeitstag mehrere Einträge mit Bezeichnungen wie «Somedia», «Fridolin», «ungesteckter Auftrag» oder auch «Kilometerzuschlag», daneben jeweils einen Betrag zwischen 20 Rappen und gut 50 Franken. Alle Beträge addiert ergeben den Monatslohn. Die Somedia Distribution schreibt work, die Liste solle «Transparenz schaffen». Tut sie aber nicht. Denn was komplett fehlt, sind Angaben über die Arbeitszeit. Nur damit könnten Mitarbeitende kontrollieren, ob die Somedia richtig rechne. Weiss sagt:

Wie mein Lohn zustande kommt, kann ich mir nicht erklären. Meinen Kolleginnen und Kollegen geht es genauso.

Jan Hofer, Geschäftsführer der Somedia Distribution, schreibt auf Anfrage von work, die Arbeitszeit werde für jede Tour «täglich neu berechnet». Daraus ergebe sich, «mit dem geforderten Mindestlohn», der Lohn für die Tour. Wie die Firma die Touren berechnet, sagt er nicht. Auch nicht, ob sie kontrolliert, dass am Schluss alle mindestens 19 Franken pro Stunde erhalten.

Wie kontrolliert die Postcom?

Hofer schickt ein Schreiben der Postcom mit, wonach die Somedia die Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen einhalte. Wie genau die Postcom zu diesem Schluss kommt, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Auch die Behörde wollte auf Anfrage dazu nichts Genaueres sagen. Offenbar verlässt sich die Postcom in ihren Kontrollen auf Angaben und Dokumente der kontrollierten Firmen.

Klar ist: Dumpinglöhne sind in der Zustellbranche keine Seltenheit. 2023 veröffentlichte die Onlinezeitung «Das Lamm» den Fall einer Frau aus dem Kanton Aargau, die für die Firma Quickmail Werbesendungen in die Briefkästen verteilte. Ähnlich wie Martin Weiss hatte sie ihre Arbeitszeit notiert, und so konnte sie ihren Stundenlohn berechnen. Im ersten Monat betrug er 12 Franken. Mit der Zeit wurde sie schneller, so dass der Stundenlohn etwas stieg. Aber auf mehr als 18 Franken pro Stunde sei sie nie gekommen, so die Frau. Auch bei der Quickmail führte die Aufsichtsbehörde Postcom eine Kontrolle durch. Und befand aufgrund der Unterlagen, die Quickmail zur Verfügung gestellt hatte: Die Firma habe «den Nachweis erbracht», dass sie den Mindestlohn einhalte.

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