Arbeitsbedingungen bei Migros Online machen krank
Ein M mieser: Die Migros lässt chrampfen bis zum Umfallen

Kaputte Gelenke, krummer Rücken, ständige Schmerzen: Die Arbeit bei Migros Online hat viele Mitarbeitende krank gemacht. Doch wer längere Zeit ausfällt, riskiert die Kündigung. 

EIN KNOCHENJOB: Die Arbeit im Lager von Migros Online in Pratteln hat Lida Nachreiner und zahlreiche andere Mitarbeitende krank gemacht. (Montage: work) 

Eigentlich, sagt Mona Lehner*, seien die Boxen ständig zu schwer gewesen. Bis vor einigen Monaten arbeitete sie im Lager in Pratteln BL für Migros-Online. Auf einem Rollwagen schob sie die Plastikboxen durch die Gänge und füllte sie mit den bestellten Lebensmitteln. Die vollen Boxen musste sie vom Wagen nehmen und auf Paletten stapeln, immer vier übereinander. Sie erzählt:

Wenn etwa in einer Box Milchpackungen drin waren oder Kartoffeln, dann war die bis zu 30 Kilo schwer.

So schwere Lasten sind verboten. Gestützt auf das Arbeitsgesetz, hält das Seco fest: Je nach Alter sind für Frauen maximal 10 bis 15 Kilo zumutbar, für Männer höchstens 16 bis 25 Kilo. Und nur dann, wenn jemand eine Last «gelegentlich» trägt. Doch die Mitarbeitenden bei Migros Online heben alle paar Minuten eine volle Kiste hoch.

Arthrose und verschobene Wirbel

Nach drei Jahren bekam Lehner Knieprobleme: «Es begann zu schmerzen und hörte einfach nicht auf.» Der Arzt stellte einen Meniskusschaden und Arthrose fest und schrieb sie zu 50 Prozent krank.

Bei André Born* haben sich, ebenfalls durch die Arbeit bei Migros Online, drei Rückenwirbel verschoben. Seit Monaten hat er Schmerzen in der Schulter, im Arm und am Rücken. Er sei erschöpft, «körperlich und mental», sagt er zu work. Doch er arbeitet weiter.

Bis zum Kollaps

Buchstäblich bis zum Umfallen chrampfte Lida Nachreiner. Es habe mit Rücken- und Nackenschmerzen begonnen, so die 44jährige zu work. Dann seien plötzliche, sehr starke Schmerzen in Hüfte und Knien dazugekommen. Vor genau einem Jahr sei es dann passiert:

Ich brach zusammen und konnte nicht mehr aufstehen.

Ihr Mann fuhr sie ins Spital. Die Ärzte seien erstaunt gewesen ob der Schäden in ihrem Körper: «Alle fragten mich, ob ich Extremsport treibe, ob ich beim Velo- oder Skifahren gestürzt sei.» Erst als Nachreiner ihnen mit dem Schrittzähler zeigt, dass sie täglich bis zu 28 Kilometer zu Fuss geht, beginnen sie zu begreifen.

EIN CYBORG? Nein, mit diesen Geräten arbeiten die Büezerinnen und Büezer im Lager in Pratteln. Tatsächlich aber werden sie eher wie Maschinen als Menschen behandelt. (Foto: Keystone)

Noch heute ist Lida Nachreiner zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Am Becken und in der Lendenwirbelsäule sind mehrere Gelenke so stark geschädigt, dass ein normales Leben kaum mehr möglich ist. Sie sagt:

Wenn ich länger als eine Stunde sitze, stehe oder gehe, werden die Schmerzen zu stark und ich muss mich hinlegen.

Sie weiss: Ein Teil der Schäden wird nicht mehr gut. «Die Ärzte sagen, das sei unheilbar.» Die Migros hat sich dagegen der Probleme entledigt: Bereits drei, vier Monate nach der Krankschreibung hat sie sowohl Lida Nachreiner als auch Mona Lehner gekündigt. Nachreiner hat jetzt Klage gegen die Migros eingereicht, die Unia unterstützt sie dabei.

«Systematische Missachtung»

Markus Bardenheuer, Unia-Sekretär für die Logistikbranche, kennt zahlreiche weitere Fälle von Mitarbeitenden, die die Arbeit bei Migros Online krank gemacht hat. Mindestens sechs von ihnen hätten allein im vergangenen Jahr kurz nach Ablauf der gesetzlichen Frist die Kündigung erhalten. Die Gesundheit der Mitarbeitenden scheine Migros egal zu sein, sagt er:

Laut dem, was unsere Mitglieder berichten, werden in den Logistikzentren Vorschriften und Standards systematisch missachtet.

Die Migros schreibt auf Anfrage, sie stehe «in engem Austausch mit Behörden und Experten, um sicherzustellen, dass wir alle notwendigen Schritte unternehmen, um Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeitenden zu gewährleisten». Die Boxen seien im Durchschnitt 13 Kilo schwer. Ob es eine Gewichtsobergrenze gibt, will die Migros nicht sagen. Zu den Kündigungen schreibt sie, diese erfolgten «nie leichtfertig und basieren auf einer Vielzahl von betrieblichen Notwendigkeiten und individuellen Umständen».

Erfolg: Migros hat die erste Forderung erfüllt

Der Mut der Migros-Online-Mitarbeitenden beginnt sich auszuzahlen: Migros Online will sie nicht mehr finanziell bestrafen, wenn sie krank werden. Ab März gebe es «keine Bonuskürzungen mehr», so die Migros auf Anfrage von work.

Zusätzlich zum Grundlohn von mindestens 4270 Franken brutto erhalten die Mitarbeitenden monatlich einen «Bonus» von mehreren Hundert Franken. Wie dieser jeweils berechnet werde, sei niemandem klar, sagen Mitarbeitende. Festgelegt waren aber die Abzüge. Bereits bei einem halben Tag Abwesenheit pro Monat wurde bisher der Bonus um 20 Prozent gekürzt – auch wenn der Ausfall unverschuldet war wie bei Krankheit. Migros schreibt, man habe «in Zusammenarbeit mit den Personalkommissionen entschieden, in einem ersten Schritt die Bonusabzüge aus dem Reglement zu streichen».

Unia-Mann Markus Bardenheuer gratuliert den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Verteilzentralen: «Sie haben das ungerechte Lohnsystem zum Thema gemacht. Dieser Druck hat jetzt einen ersten Erfolg gebracht.» Er bekräftigt die Forderung der Mitarbeitenden, dass sich die Migros jetzt mit ihnen und der Unia an einen Tisch setzen solle. «Damit wir auch die anderen Probleme lösen können.»


Standort PrattelnMiese Tricks der Migros

In Pratteln will eine Mehrheit, dass die Migros mit der Unia an einen Tisch sitzt. Die Migros reagiert mit einer Falschinformation. 

ES GEHT WAS IN PRATTELN: Die Migros versucht, die Unia fernzuhalten, obwohl die Mehrheit der Mitarbeitenden die Gewerkschaft als Interessenvertreterin will. (Foto: Keystone)

Am Standort Pratteln BL von Migros Online regt sich Widerstand. Die Mitarbeitenden haben acht Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen aufgestellt. Eine Mehrheit der rund 130 Mitarbeitenden hat mittlerweile die Unia schriftlich beauftragt, ihre Interessen zu vertreten. Mitte Januar forderte die Unia die Migros-Tochter zu Verhandlungen auf. Migros Online lehnte ab. Und trommelte die Mitarbeitenden zusammen, um die Gewerkschaft schlechtzureden. work weiss: An der Versammlung behauptete eine Kaderfrau, die Unia habe «kein Recht, unsere Mitarbeitenden gegenüber uns zu vertreten».

Quatsch

Das ist falsch. Nicht die Migros entscheidet, wer die Mit­arbeitenden vertritt. Das bestimmen die Mitarbeitenden selber. 

Doch Migros Online bastelt sich offenbar lieber einen Sozialpartner nach eigenem Gusto: eine Personalkommission (Peko). work weiss: Die Peko am Standort Pratteln hat drei Mitglieder. Es sind zwei Kaderleute und eine Ver­treterin der Personalabteilung. Unklar ist dagegen, ob und wie die drei ­gewählt wurden. Laut Unia-Mann Bardenheuer wurden die Mitarbeitenden zwar im letzten Herbst informiert, dass sich Kandi­dierende melden könnten. «Aber eine Wahl, sei es schriftlich oder an einer Versammlung, hat nicht stattgefunden.»

Die Migros schreibt dazu, es hätten sich in Pratteln nur drei Personen für die drei Sitze be­worben, so dass eine stille Wahl erfolgt sei. An den anderen Stand­orten seien es mehr Bewerber ­gewesen, und «insgesamt» sässen «mehrere Personen aus der Logistik» in den Pekos. Die Sprecherin betont, man habe den «Mitarbeitenden immer kommuniziert, dass sie sich jederzeit jeder Gewerkschaft anschliessen dürfen».

Eigentor? 

Möglicherweise hat sich der orange Riese selber ein Bein gestellt. Denn rechtlich gesehen stärkt er mit seiner Haltung die Ausgangslage der Mehrheit, die die Unia mandatiert hat. Gegenüber dem «Kassensturz» von SRF stellte Rechtsprofessor Thomas Geiser klar: Natürlich könne sich die Migros weigern, mit der Unia zu verhandeln. Dann müsse sie aber mit Kampfmassnahmen rechnen, etwa einem Streik.  Mehr noch:

Sie muss damit rechnen, dass der Streik legal ist – wegen dem Verhalten der Migros.

1 Kommentare

  1. Marco Steffen 27. Februar 2025 um 13:15 Uhr

    Ich bin auch eine person di betroffen ist von der kündiguns in der migros online.

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