Postcom lässt Whistleblower ins Messer laufen
Mindestlohn-Hohn: Wer einen Verstoss meldet, wird nicht geschützt

Im liberalisierten Postmarkt muss die Postcom für ein Minimum an Fairness sorgen. Ob sie das wirklich tut, wird immer fraglicher.

IN SORGE: Zeitungsverträger Martin Weiss chrampft zu einem Tieflohn. Will er sich mit der Postcom dagegen zur Wehr setzen, muss er seine Identität offen legen. (Foto: Michael Schoch)

Nur gerade 15 Franken Lohn pro Stunde bekommt Martin Weiss* dafür, dass er bei Wind und Wetter die Tageszeitung «Südostschweiz» verteilt. Das sind vier Franken weniger als der ohnehin schon mickrige Mindestlohn, der in der Branche obligatorisch ist. Doch seine Arbeitgeberin Somedia Distribution AG hat von der Aufsichtsbehörde Postcom eine Bescheinigung erhalten, dass mit den Löhnen alles in Ordnung sei. Darüber hat work berichtet: zum Artikel.

Zum konkreten Fall von Martin Weiss wollte sich die Postcom nicht äussern. Sie teilte mit:

Ob ein Verstoss gegen die vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen vorliege, stelle sie «nur im Rahmen eines formellen Verfahrens und anhand konkreter Fakten» fest.

Das leuchtet ein. work hat der Postcom zwar die Ergebnisse der Recherche gezeigt, nicht aber die Dokumente und Aufzeichnungen des Zeitungsverträgers. Denn diese enthalten detaillierte Angaben zu seinen Touren und Arbeitszeiten. Das würde Rückschlüsse auf seine Person erlauben.

Ja, aber…

Aber könnte sich Martin Weiss direkt an die Postcom wenden und ihr seine Unterlagen offenlegen? Ja, sagt die Behörde auf Nachfrage von work. Eine solche Meldung würde sie «als aufsichtsrechtliche Anzeige entgegennehmen und behandeln». Allerdings hat die Sache einen grossen Haken:

Die Postcom schützt Mitarbeitende, die einen Missstand melden, sogenannte Whistleblower, nicht vor einer Retourkutsche des Arbeitgebers. Dieser könnte ganz einfach in Erfahrung bringen, wer ihn verpfiffen hat.

Und zwar direkt bei der Postcom, wie diese weiter ausführt. Denn der Firma stehen in einem solchen Verfahren «sämtliche Parteirechte zu, einschliesslich des Rechts auf Akteneinsicht».

In der Schweiz riskieren Mitarbeitende wie Martin Weiss, die auf Fehlverhalten ihres Arbeitgebers aufmerksam machen, im schlimmsten Fall ihre Stelle. Seit mehr als 20 Jahren blockieren die Arbeitgeber einen besseren Kündigungsschutz. Die Postcom muss sich erneut den Vorwurf gefallen lassen, sie tue zu wenig gegen miese Arbeitsbedingungen im Postmarkt. Beim fragwürdigen Päcklidienst DPD dauerte es vier Jahre, bis die Postcom aktiv wurde.

«Volle Anonymität garantieren»

Auch die Gewerkschaft Syndicom kritisiert, dass die Postcom Mitarbeitende nicht vor Repressalien schützt. Sprecherin Romi Hofer sagt auf Anfrage:

Diese Regelung hemmt potentielle Anzeigen.

Die Postcom müsse «die volle Anonymität garantieren», fordert sie. Das würde ihr ermöglichen, den Mindestlohn in der Branche «effektiver» durchzusetzen.

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