Wegen Kritik an hohen Preisen und tiefen Löhnen:
Orell Füssli geht gegen Medien und Mitarbeitende vor

Die Führung von Orell Füssli kocht! Wegen eines kritischen Berichts im Konsumentenmagazin «Saldo». An diesem sei «ziemlich alles falsch». Wirklich?

AGGRESSIVES VORGEHEN: Orell Füssli verlangt die sofortige Löschung des kritischen Berichts. (Foto: Keystone / Montage: work)

Bücher kosten bei Orell Füssli am meisten. Das hatte im letzten Herbst bereits der «Beobachter» berichtet. Jetzt hat das Konsumentenmagazin «Saldo» nachgedoppelt: Die Nummer eins im Schweizer Buchhandel sei nicht nur am teuersten, sondern spare gleichzeitig bei den Löhnen. Ein ehemaliger Filialleiter spricht gar von «Hungerlöhnen». Zudem suche der Konzern «händeringend nach Quereinsteigern». Diese erhielten eine sechsmonatige Schnellbleiche als Ausbildung – und danach einen Bruttomonatslohn von 3970 Franken. Das ist das Minimum, das der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) des Deutschschweizer Buchhandels für Ungelernte vorschreibt.

TEURE BÜCHER, TIEFE LÖHNE: So berichtet das Magazin Saldo.

Dabei könnte Orell Füssli wohl wesentlich mehr bezahlen. Denn die Buchhandlungen gehören der Orell Füssli Thalia AG. Diese wiederum gehört je zur Hälfte Orell Füssli und der deutschen Thalia AG. Bedeutet:

Das Joint Venture kann die meisten Bücher zu günstigen Konditionen direkt vom deutschen Mutterhaus beziehen.

So entfällt ein Zwischenhändler in der Schweiz, Orell Füssli spart Geld und sichert sich hohe Margen und Dividendenausschüttungen ans Aktionariat. Der ehemalige Orell-Füssli-Kaderangehörige kritisiert:

Die Bücher sind massiv überteuert. Orell Füssli hat Bruttomargen, die im Schweizer Handel ihresgleichen suchen – zwischen 45 und 65 Prozent.

So weit, so brisant. Doch so richtig saftig machte die Story erst die Reaktion des Konzerns!

«Nau.ch» knickt ein, «Saldo» nicht

Die Pressestelle reagierte nämlich prompt und verlangte vom «Saldo» die «sofortige Löschung» auf der Website und «in allen Datenbanken» sowie «eine Richtigstellung in der nächsten Print-Ausgabe». Auch bei «nau.ch» machte Orell Füssli Druck. Das Onlineportal hatte die «Saldo»-Recherche innert Kürze mehr oder weniger kopiert, aber nach der Konzernintervention noch schneller wieder gelöscht. Und zwar kommentarlos. «Saldo» hingegen liess sich von den Drohgebärden nicht beirren.

EINGEKNICKT: Dass «nau.ch» die kritische Berichterstattung über Orell Füssli aufnahm, ist nur noch über die Google-Suche auffindbar. Das Portal hat den Bericht gelöscht.

Nun fuhr auch noch der «Infosperber» seine Krallen aus. Die Non-Profit-Onlinezeitung wollte von Orell-Füssli-Mediensprecher Alfredo Schilirò wissen, was denn am Artikel falsch sei. Die Antwort: «Ziemlich alles.» Ins Detail habe Schilirò am Telefon nicht gehen wollen, so der «Infosperber». Per Mail habe er später mitgeteilt, Orell Füssli beschaffe 60 Prozent der Bücher bei Schweizer Lieferanten, und die Marge liege unter 50 Prozent. In der Zwischenzeit konnte work mit mehreren Orell-Füssli-Mitarbeiterinnen sprechen. Dies, obwohl der Konzern den Mitarbeitern ein striktes Redeverbot gegenüber der Presse erteilt hatte. Sie alle bestätigen die «Saldo»-Recherche. Und berichten von etlichen Missständen mehr.

REDEVERBOT: Über eine unternehmensinternen Kommunikations-App werden die Mitarbeitenden von Orell Füssli aufgefordert, nicht mit den Medien zu sprechen.

Angeschrien und beschimpft

Allgemein herrsche Personalmangel, Stress und Überarbeitung. Auch weil Abgänge häufig nicht durch gleichwertig Ausgebildete ersetzt würden. Kranke Mitarbeitende kämen häufig trotzdem zur Arbeit. Dies, weil ab der dritten Absenz pro Jahr schon ab Tag 1 der Abwesenheit ein Arztzeugnis vorgelegt werden müsse. Von oben komme grosser Druck, den Umsatz zu erhöhen. Sogar zwischen den einzelnen Filialen werde der Konkurrenzkampf künstlich angeheizt. Die dafür nötigen Führungspositionen würden immer mehr mit Branchenfremden besetzt. Denn diese gingen bei der Durchsetzung der Konzernziele mit weniger Skrupeln vor als Buchhändlerinnen, die eher sozial gestimmt seien.

Überhaupt müsse man sich von der Kundschaft fast alles gefallen lassen. Immer wieder werde man angeschrien oder beschimpft. Sich dagegen zu wehren sei schwierig, da man mit negativen Reaktionen der Vorgesetzten rechnen müsse.

Ausserdem begünstige das Zeiterfassungssystem Gratisarbeit. Eine Mitarbeiterin sagt:

Grundsätzlich wird erwartet, dass wir schon vor Ladenöffnung bereitstehen, gezählt wird aber erst ab 9 Uhr. Und auch am Abend müssen wir meistens bis 18.35 Uhr bleiben, weil die Kunden nicht pünktlich gehen. Gezählt wird aber nur bis Ladenschluss um 18.30 Uhr.

Das ergibt 10 Minuten Gratisarbeit pro Tag.

Syndicom will Vorwürfen nachgehen und fordert mehr Lohn

Michael Moser ist Zentralsekretär Medien bei der Gewerkschaft Syndicom und dort auch für den Buchhandel zuständig. Er versichert auf Nachfrage, den Aussagen zu den Arbeitsbedingungen nachzugehen. Insbesondere die geschilderte Art der Zeiterfassung gehe so nicht an.

Orell Füssli untersteht, wie 250 weitere Buchhandlungen in der Deutschschweiz, dem Gesamtarbeitsvertrag und dieser muss eingehalten werden.

Generell seien die Arbeitsbedingungen im Buchhandel mit dem ständigen Kundenkontakt sehr herausfordernd. «Wir erwarten daher von allen Buchhandlungen, dass sie ihre Mitarbeitenden entsprechend schützen und unterstützen.» Was die Buchpreise angeht, gibt Moser zu bedenken, dass gute Löhne auch ein gewisses Preisniveau voraussetzten. Aber:

Wir erwarten, dass Orell Füssli auch die Mitarbeitenden an der höheren Wertschöpfung teilhaben lässt und entsprechend auch höhere Löhne zahlt.

«Alles falsch!» – so reagiert der Buchkonzern

Orell-Füssli-Pressesprecher Alfredo Schilirò weist alle Vorwürfe der Mitarbeitenden «entschieden zurück». Es seien überall genügend Mitarbeitende beschäftigt, um die anstehenden Aufgaben «ohne Stress und Überbelastung im Rahmen der üblichen Arbeitszeit zu bewältigen». Es sei auch nicht korrekt, dass Abgänge häufig nicht durch gleichwertig Ausgebildete ersetzt würden. Beim Rekrutierungsprozess gehe man sehr sorgfältig vor.

Ein ärztliches Attest werde nur dann ab dem ersten Tag der Abwesenheit verlangt, wenn es sich bereits um die vierte Kurzabsenz im laufenden Kalenderjahr handle. Und: «Wir haben auch nie festgestellt, dass Mitarbeitende krank zur Arbeit erschienen wären.»

Auch der Vorwurf von zu hohem Druck von oben und künstlich erzeugter Konkurrenz zwischen den Filialen weist Pressemann Schilirò «in aller Schärfe» zurück. Die Filialen würden im Gegenteil zusammenarbeiten. Und «natürlich» sei auch nicht korrekt, dass das Unternehmen skrupellose branchenfremde Führungskräfte einstelle.

Im Umgang mit entnervten Kunden würden Mitarbeitende laufend geschult und erhielten Schutz, wo nötig. Und auch der Vorwurf der Gratisarbeit sei «völlig falsch». Die gesamte Arbeitszeit werde per Ein- und Ausstempeln von den Mitarbeitenden selbst erfasst.

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