25 Jahre Denkfabrik des Kapitals
Avenir Suisse: marktgläubig bis zum Kollaps

Die Macht der ­Milliardäre gefährdet Demokratie und Rechtsstaat. Doch das kümmert Avenir Suisse nicht. Die ­Ideologiefabrik bleibt auch 25 Jahre nach der Gründung ihrer ­Marktradikalität treu.

WENN REICHE IHREN REICHTUM SCHÜTZEN: In der Förderstiftung von Avenir Suisse kommen die grossen Konzerne und Finanzinstitute zusammen, um neoliberales Gedankengut zu fördern. (Foto: Avenir Suisse / Montage: work)

Wo liegt der freiste Kanton der Schweiz? In einem Video der Denkfabrik Avenir Suisse erklärt eine englischsprachige Frau am Rande eines Ackers, dass dies der Kanton Aargau sei. Unter anderem wegen der tiefen Steuern für Privathaushalte und den Nonstop-Ladenöffnungszeiten. Die etwa 30 Mitarbeitenden von Avenir Suisse in Zürich und Lausanne produzieren neben Videos fast wöchentlich Studien zur Steuerpolitik, zur wachsenden Anzahl der Staatsangestellten oder zu den Gefahren einer Industriepolitik. Immer stramm liberal: Markt gut, Staat schlecht!

50 Millionen Startkapital

Avenir Suisse entstand im Jahr 2000 auf Initia­tive von 13 Schweizer Konzernen, welche die «Stiftung Zukunft Schweiz» mit einem Startkapital von 50 Millionen Franken ausrüsteten. Mario Corti, ehemaliger Nestlé-Manager und Swissair-CEO, gab damals den Impuls zur Gründung der Organisation. In der NZZ schrieb er:

Die demokratische Meinungsbildung wollen wir durch den Aufbau einer marktwirtschaftlichen Denkfabrik verstärken.

Er wollte damit den «geistigen Luftkampf» zur Privatisierung von Schweizer Staatsbetrieben gewinnen.

Grounding statt Luftkampf

Was folgte, war allerdings kein Luftkampf, sondern das Swissair-Grounding. Das Ende der Schweizer Fluggesellschaft 2001 war für das Wirtschafts-Establishment ein Schock. Und schon 2008 folgte der nächste: Der Staat musste die Grossbank UBS retten. Das offenbarte die Widersprüche der marktradikalen Ideologie. Doch bei Avenir Suisse und ihrem damaligen Direktor Thomas Held folgte keine Neuausrichtung, sondern ein Diskussionspapier mit dem Titel: «Too big to fail und die Wiederherstellung der Marktordnung». Die Realität ist bis heute eine andere. Auch 2023 musste der Staat einspringen und den Kauf der Credit Suisse durch die UBS mit 9 Milliarden Franken absichern.

Der Glaube an die Unabhängigkeit

In einem Selbstportrait zum 25jährigen Bestehen schreibt Avenir Suisse selbstbewusst: «Seit der Gründung im Jahr 2000 ist Avenir ­Suisse die treibende Kraft für politische Reformen auf allen Staatsebenen.» Inzwischen wird die Organisation von über 140 Schweizer Konzernen und Privatpersonen mit jährlich 5 Millionen Franken unterstützt. Avenir Suisse betont dabei stets die eigene Unabhängigkeit und den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Jérôme Cosandey ist derzeit noch Forschungsleiter für eine «tragbare Sozialpolitik» bei Avenir Suisse und demnächst Direktor für Arbeit beim Seco. Er sagt: «Unsere Stiftung erhält keine öffentlichen Gelder, und wir machen auch keine Auftragsstudien.» Aufgrund der Diversität der Förderer seien «Gefälligkeitsstudien» kaum möglich. Wie viel die UBS der Denkfabrik jährlich zahlt, will Cosandey nicht kommentieren. Dass die Bank von jährlichen Subventionen in der Höhe von etwa 2,6 Mil­liarden Franken profitiert, ist in den Studien von Avenir Suisse kein Thema. Avenir Suisse sei aber grundsätzlich gegen Staatsgarantien, sagt Cosandey.

Ideologischer Mist aus den USA

Der ehemalige Unia-Co-Präsident Andreas Rieger hat als linken Gegenentwurf zu Avenir ­Suisse vor 20 Jahren das Denknetz mitgegründet. Er sagt:

Bei Avenir Suisse produziert man von den Banken und Konzernen gekauftes Denken, es ist seit je neoliberaler Mainstream.

Avenir Suisse könne immer noch regelmässig Beiträge in Tageszeitungen platzieren, aber die gesellschaftliche Ausstrahlung sei dennoch beschränkt. Rieger sagt: «Die Ideologien wachsen nicht auf dem Schweizer Mist, sondern kommen vor allem aus den USA.»

Verrat am Liberalismus

Mit Donald Trump als Wieder-Präsident der USA und seinen Milliardärs-Freunden geraten die liberalen Ideale, von persönlichen Freiheitsrechten bis zur staatlichen Gewalten­teilung, immer stärker ins Wanken. Die ­«Freiheit der Märkte», die auf neoliberale Vordenker wie Friedrich August von Hayek und Milton Friedman zurückgeht, erweist sich inzwischen für die grosse Mehrheit der Bevölkerung als Freiheitsfalle und als Verrat am ­Liberalismus. Aber nicht nur in den USA gefährdet die Macht des Grosskapitals und die wachsende Ungleichheit die Demokratie und den liberalen Rechtsstaat. Die Reinvermögen des reichsten Prozents der Bevölkerung sind auch in der Schweiz stark angewachsen, von durchschnittlich 8 Millionen Franken im Jahr 2003 auf über 20 Millionen Franken im Jahr 2021. Mit dem konsequenten Einsatz gegen staatliche Umverteilung von oben nach unten und mit über 2000 neoliberalen Studien hat auch Avenir Suisse einen Beitrag dazu geleistet.

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