Arme und Kranke müssen blechen
Die Rechten schwingen den Franchise-Hammer

Schon jetzt müssen Menschen in der Schweiz so hohe Gesundheitskosten aus dem eigenen Sack bezahlen wie in keinem anderen OECD-Land. Jetzt wollen die rechten Mehrheiten in Parlament und Bundesrat auch noch die Mindestfranchise um fast 70 Prozent erhöhen.

SITZEN AM FRANCHISEN-HEBEL: Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) und SVP-Bundesrat Albert Rösti. (Foto: Keystone)

Haben Sie Bluthochdruck, Diabetes oder Asthma? Dann will Ihnen die rechte Mehrheit im Bundeshaus bald noch mehr Geld abknöpfen. Unglaublich? Ja, aber leider wahr. Denn sowohl National- wie Ständerat haben dem Bundesrat den Auftrag erteilt, die Mindestfranchise bei der Krankenkasse zu erhöhen. Und die absolute und absolut ungerechtfertigte SVP/FDP-Mehrheit im Bundesrat übernimmt diesen Auftrag noch so gern. So an 200 Franken hat die Landesregierung schon mal gedacht. Und geht es nach den rechten Plänen, soll der Bundesrat künftig freihändig an der Franchise-Schraube drehen können.

Kranke bluten

All jene, die bei der Krankenkasse die höchste Franchise wählen, zahlen pro Jahr maximal 1540 Franken weniger Prämie. Wenn sie nicht krank werden. Oder wenn sie krank werden und sich nicht in Behandlung begeben. Die höchste Franchise liegt bei 2500 Franken. Das bedeutet:

Im Krankheitsfall müssen die Versicherten bis zu 3200 Franken aus dem eigenen Sack bezahlen.

2500 Franken Franchise und 700 Franken Selbstbehalt. Bei der Mindestfranchise sind es 1000 Franken (300 Franken Franchise und 700 Franken Selbstbehalt).

Die Schweiz ist bereits heute traurige Spitzenreiterin im Gesundheitswesen bei den Selbstzahlungen. In der Schweiz lebende Menschen bezahlen mehr aus dem eigenen Sack an die Krankheitskosten als die Bewohnerinnen und Bewohner in jedem anderen OECD-Land. Ein besonders krasses Beispiel: Zahnbehandlungen. Während in fast allen europäischen Ländern die Krankenversicherung zumindest einen Teil der zahnärztlichen Kosten übernimmt, bezahlen Schweizerinnen und Schweizer fast alles aus eigener Tasche – rund vier Milliarden Franken jährlich (450 Franken pro Person).

Kopfsteuer erhöht

Das Schweizer Gesundheitswesen ist grundsätzlich nicht zu teuer. Wir bewegen uns absolut im Rahmen der umliegenden Länder. Doch in der Schweiz sind die Kosten so unsozial finanziert wie sonst nirgends in der OECD (zum work-Artikel). Das Problem in der Schweiz sind also weniger die Kosten als die Finanzierung. Warum? Krankenkassenprämien und Franchisen sind eigentlich Kopfsteuern. Das ist die unsozialste Art von Steuern:

Die Verkäuferin mit 4000 Franken Monatseinkommen bezahlt gleich viel Prämien und Selbstbehalt wie der Abzocker-Manager.

Wer die Mindestfranchise erhöht, erhöht also in Wahrheit die Steuerlast für untere und mittlere Einkommen massiv. Die hohen Selbstzahlungen haben dramatische Folgen: Bereits heute verzichten rund 20 Prozent der Bevölkerung aus finanziellen Gründen auf notwendige Arztbesuche.

Spareffekt: Null

Mit steigenden Franchisen wird diese gefährliche Entwicklung weiter zunehmen. Das heisst, der Spareffekt ist null. Im besten Fall. Wenn Versicherte aber wegen höherer Franchisen Behandlungen aufschieben, verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand – was neben zusätzlichem Leiden auch zu höheren Folgekosten führt. Aus vermeintlichen Einsparungen werden so letztlich Mehrkosten für das Gesamtsystem.

Wer wählt überhaupt die Mindestfranchise? Es sind vor allem:

Chronisch Kranke, die regelmässig Behandlungen benötigen, ältere Menschen mit höherem Gesundheitsrisiko und Personen mit knappem Budget, die sich keine höhere Franchise leisten können.

Im Jahr 2022 – es sind die aktuellsten verfügbaren Zahlen – litten insgesamt 6,8 Prozent der Bevölkerung an chronischen Atemwegserkrankungen, davon 5,4 Prozent unter Asthma. Und 2,0 Prozent haben eine chronische Bronchitis, eine symptomatische COPD oder ein Emphysem (ärztlich diagnostiziert). 19,5 Prozent litten unter erhöhtem Blutdruck. Und 6,2 Prozent unter Diabetes. Sie alle sind von einer höheren Mindestfranchise betroffen. Und die meisten von ihnen werden auf einen Schlag 200 Franken mehr für ihre Gesundheitsversorgung bezahlen.

Warum? Darum!

Warum überweist die rechte Parlamentsmehrheit einen so offensichtlich untauglichen Vorschlag? Ganz einfach:

Weil sie es kann. Und weil die verschiedenen Lobbies im Gesundheitswesen halt so verdammt viele gut bezahlte Pöstchen zu verteilen haben.

Die Erhöhung der Mindestfranchise stösst weder bei den Krankenkassen noch bei der Pharma-Industrie oder den Verbänden der Ärzte- und Apothekerschaft auf Kritik. Auch das sagt einiges. Eigentlich schon alles.

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