Vernichtende Zwischenbilanz
Gleichstellungsgesetz ist und bleibt ein zahnloser Papiertiger

Die Mehrheit der Unternehmen mit über 100 ­Mitarbeitenden ­foutieren sich um die Lohngleichheit. So die vernichtende Zwischen­bilanz zur Revision des Gleichstellungsgesetzes.

MIT ODER OHNE BART: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Unia-Aktion im November 2022.  (Foto: Keystone)

Frauen verdienen im Schnitt monatlich noch immer 1354 Franken weniger als Männer, das sind 16,3 Prozent! Darüber hinaus nimmt der unerklärbare Anteil dieser Unterschiede stetig zu. Knapp die Hälfte des Lohnunterschieds, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor, ist nicht durch objektive Faktoren wie Branche, Ausbildung oder Alter zu erklären. Dieser unerklärbare Anteil war seit Beginn der Analysen im Jahr 2012 noch nie so hoch.

Dies, obwohl die Gleichstellung von Mann und Frau seit 1981 in der Bundesverfassung festgeschrieben ist. 1996 trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft, das jegliche Diskriminierung am Arbeitsplatz verbietet und die Chancengleichheit im Erwerbsleben sicherstellen soll. Bereits 2018 hat das Parlament eine Revision des Gleichstellungsgesetzes beschlossen. Angedacht als bessere Durchsetzung der Lohngleichheit, hat das Parlament das Anliegen derart zerfledert, dass eine zahnlose Mini-Revision herauskam. Die ­Revision verpflichtet nicht einmal ein Prozent aller Unternehmen zur Lohnanalyse, sieht keine Sanktionen vor und ist auf zwölf Jahre befristet.

Auf dem Buckel der Frauen

Jetzt ist der vom Bundesrat in Auftrag gegebene Zwischenbericht zur Revision erschienen. Die Bilanz ist vernichtend:

Mehr als jedes zweite Unternehmen foutiert sich um die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau und handelt somit gesetzeswidrig.

Und sie profitieren sogar von den tieferen Frauenlöhnen. Der Bericht hält fest: «Diejenigen Arbeitgebenden (…), die sich über die rechtlichen Pflichten hinweggesetzt haben, (…) profitieren allenfalls von wirtschaftlichen Vorteilen auf Kosten geringerer Frauenlöhne.»

Revision: ungenügend

Das Gesetz verlangt, dass alle Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden eine Lohnanalyse durchführen, diese überprüfen lassen und transparent über die Resultate informieren. In der Schweiz gibt es gut 6000 Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden, davon haben sich gerade mal 2404 an der freiwilligen Umfrage beteiligt. Diese Unternehmen beschäftigen rund eine Million Arbeitnehmende.

Pikant: Sogar der öffentlichrechtliche Sektor kommt seiner Vorbildfunktion nicht nach. Das Gleichstellungsgesetz verpflichtet die öffent­lichen Arbeitgeber, die einzelnen ­Ergebnisse der Lohngleichheitsanalyse und der Überprüfung zu veröffentlichen. Rund die Hälfte von ihnen haben gar keine Ergebnisse veröffentlicht.

Die fehlbaren Unternehmen haben jedoch rein gar nichts zu befürchten. Im Gesetz sind keinerlei Kontrollen oder Sanktionen vorgesehen. Für Unia-Gleichstellungssekretärin Aude Spang ist klar:

Das ist skandalös! Der Bericht bestätigt, was wir schon immer gesagt haben: Die Revision ist ungenügend! Sie hat die diskriminierenden Einkommensunterschiede kaum eingedämmt.

Deshalb fordert die Unia als Teil der Koalition gegen Lohndiskriminierung:

  • Alle Unternehmen sollten regelmässig Lohnanalysen durchführen müssen.
  • Es braucht staatliche Kontrollen und wirksame Sanktionen für Betriebe, die bei der Lohndiskriminierung untätig sind.
  • Die Resultate der Analyse müssen transparent kommuniziert werden.

Dass es dringend griffige Massnahmen für mehr Lohngleichheit braucht, zeigt der Gender Overall Earnings Gap. Dieser beträgt 43,2 Prozent und zeigt damit das wahre Ausmass der Diskriminierung, weil er die Einkommenslücke für das gesamte Erwerbsleben der Frauen berechnet. Und damit auch die Tatsache einbezieht, dass ein Drittel der Frauen Teilzeit arbeiten, um unbezahlte Care-Arbeit leisten zu können.

Lohngleichheit im Vergleich: EU besser, Island top

2023 hat die EU die sogenannte Lohntransparenz-Richtlinie ­verabschiedet. Diese sieht ­regelmässige Lohnanalysen, mehr Lohntransparenz und stärkere Durchsetzungsmechanismen vor. Arbeitnehmende haben das Recht, von ihrem Arbeitgeber Auskunft zu verlangen über das Durchschnittseinkommen der Kolleginnen und Kollegen, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Und: Eine Behörde muss kontrollieren, ob sich die ­Firmen ans Gesetz halten, und darf sogar mit Geldstrafen sank­tionieren. Arbeitnehmende haben zudem Anrecht auf eine Entschädigung, wenn ­Arbeitnehmende durch die ­Verletzung von Rechten und ­Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Lohns zu Schaden gekommen sind.

Lohn-Zertifikat

In Island ist 2018 ein umfassendes Gleichstellungsgesetz in Kraft getreten, das Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in allen Bereichen der Gesellschaft verbietet, insbesondere auch die Lohndiskriminierung (work berichtete). Um die Lohngleichheit durchzusetzen, wurde eine obligatorische Zertifizierung der Lohngleichheit eingeführt. ­Unternehmen mit 25 oder mehr ­Arbeitnehmenden müssen nachweisen, dass Frauen und Männer den gleichen Lohn für die gleiche oder gleichwertige ­Arbeit erhalten. Eine unabhängige Zertifizierungsstelle prüft, ob alle Anforderungen eingehalten sind. Ist dies der Fall, erhält das betreffende Unternehmen ein «Equal-Pay-Label». Der Nachweis muss alle drei Jahre ­erneuert werden. Bei Nichtbeachtung der Zertifizierungspflicht ­drohen Geldstrafen.

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