Laura Gonzalez Martinez ist Verkäuferin in Zürich und Gewerkschafterin.

In der letzten Woche hatte ich viele spannende und persönliche Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen. Jedes Gespräch hatte auch mit der eigenen Angst zu tun. Da war die Kollegin, die sich beruflich weiterentwickeln möchte. Sie hat aber Angst, nicht zu genügen. Sie rackert sich ab, wird aber das ewige Gefühl nicht los, trotz allen Bemühungen auf der Stelle zu treten. Eine weitere Kollegin hat Angst, in ­Altersarmut zu landen. Obwohl sie immer gearbeitet hat, schwere Schicksalsschläge ertragen musste, ihre Kinder erzogen und immer «funktioniert» hat. Sie hat Angst, dass ihre bisherige Arbeit für ihre Zukunft nicht genügen wird. Eine andere Kollegin befürchtet, die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können, und überlegt sich, eine weitere ­Anstellung anzunehmen, neben ihrem Hundert-Prozent-Job im Verkauf. Noch eine Kollegin hat Mobbing auf der Arbeit ertragen müssen und musste ihre Angst überwinden, um dagegen angehen zu können. Noch immer ist sie unsicher, ob ihr das nicht auch woanders passieren könnte.

Mein Rezept

Eine weitere Kollegin musste in eine teurere Wohnung ziehen. Finanziell wird es sehr eng. «Es darf nichts dazwischenkommen», sagt sie. Kein Zahnweh, keine Krankheit. Nichts. Eine Kollegin hat Angst, dass Ausländerfeindlichkeit zur Tagesordnung wird. Wütend fragt sie: «Ich habe mir meine Nationalität nicht ausgesucht. Und was bitte ist falsch daran?»

Auch ich erzähle meinen Kolleginnen: Ich habe Angst, dass wir auf Zeiten zusteuern, in denen ich nicht mehr über mich bestimmen darf. Meine Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird. An zahlreichen ­Orten auf dieser Welt ist das für viele Menschen Realität.

Jede einzelne Angst ist überwältigend. Die Politik hier bei uns und weltweit geht auf eine Richtung zu, die brandgefährlich und angsteinflössend ist. Diese Ängste lähmen uns. Aber sie sorgen auch dafür, dass wir uns organisieren und dagegensteuern. Darüber zu sprechen gibt enormen Zusammenhalt und Kraft. Zuhören, reden und reden lassen. Genau das ist mein Rezept, um viel Kraft zu tanken. Denn so weiss ich: Wir sind viele!

Illu: Laura Gonzalez Martinez

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