In der Schweiz sei die Zuversicht bei den Jungen dahin. Das Vertrauen in den Liberalismus bröckle auf breiter Front. Das schreibt Jürg Müller (41), der Direktor von Avenir Suisse, in der «NZZ am Sonntag». Und: «Ohne Gemeinsinn, der aus einem individuellen Willen erwächst, fehlt dem Liberalismus der Boden.» Die liberale Gesellschaft funktioniere nur, wenn jede und jeder immer wieder über den eigenen Tellerrand hinausblicke und sich als Teil von etwas «Grösserem» verstehe.

Durchgefüttert

Doch dieses Grössere bleibt bei Müller eine grosse Leerstelle. Nicht einmal das Heilsversprechen durch «freie Märkte» will er noch bemühen. Meint er das Volk, die Nation, die Menschheit? Über dem liberalen Tellerrand lauert aber auf jeden Fall und für immer die Gefahr des «ausufernden Staates». Auch in der Schweiz liessen sich immer mehr private Akteure vom Staat «durchfüttern», behauptet Müller. Dieser «Klientel­ismus», klagt er weiter, sei auch der Hauptgrund für die libertäre Welle mit Staatshassern wie Javier Milei und Elon Musk, deren autoritärer Charakter in liberalen Kreisen gerne zum Unternehmergeist verklärt wird.

Abhängigkeitserklärung

Aber wie könnte denn wieder mehr Gemeinsinn gelingen? Als erstes bräuchte es ein Eingeständnis: Nämlich, dass wir alle voneinander abhängig sind. Nicht nur die sogenannt sozial Schwachen von den angeblichen Leistungsträgern, sondern mindestens genauso umgekehrt. Und dass diese Abhängigkeit längst global ist und mit der Klima­erhitzung weit über die heute lebenden Generationen hinausreicht.

Gemeinsinn entsteht in dieser Notlage zwischen Kriegen und drohendem Klimakollaps durch geteilte Sorge­arbeit, in inklusiven Schulen und einem durchlässigen Bildungssystem, wo Büezerkinder und Akademiker­kinder zusammen und voneinander lernen können. Und es braucht eine Arbeitswelt, die Zeit für Freunde und Familie lässt. Gemeinsinn wächst auch durch kollektiven Widerstand gegen Ausbeutung und Zerstörung.

Zerstörer der Öffentlichkeit

Für Gemeinsinn braucht es ein gemein­sames Verständnis der Probleme und Handlungsmöglichkeiten. Wenn ­Männer wie Elon Musk Internetplattformen und staatliche Institutionen systematisch zerstören, verschwinden auch die Grundlagen für die Öffentlichkeit und die Demokratie. Für die Konzerne, die Avenir Suisse finanzieren, scheint dies jedoch kein Problem zu sein. Ganz im Gegenteil: Im Dunkeln und zwischen den Trümmern wittern sie neue Geschäfte.

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