Jean Ziegler

Jean Ziegler

Gracchus Babeuf war der weitsichtigste unter den französischen Revolutionären von 1789. Er war ein hagerer, rhetorisch begabter junger Mann mit flammendem Temperament. Der Sohn eines verarmten Majors nahm die Devise der Revolution wortwörtlich: «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit». Er konnte sich nicht abfinden mit Armut und Unterdrückung und dem Hunger, der so viele Menschen tötete, auch seine eigene Tochter. Babeuf wurde nur 37 Jahre alt. Bevor er durch das Beil der Guillotine starb, schrieb er einen Brief an einen Freund. Er träume von jenem Tag, «da die Menschen wieder darüber nachdenken werden, wie der Menschheit jenes Glück beschert werden kann, das wir ihr in Aussicht gestellt haben».

Herzzerreissend

Wer nicht träumt, kann diese Welt nicht ertragen. Heute mehr denn je brauchen wir die Babeufsche Vision von Freiheit, gleichen Chancen und Solidarität. Ohne diesen Traum wäre es noch unerträglicher zu sehen, wie US-Präsident Donald Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski demütigt. Es ist herzzerreissend, wie das ukrainische Volk sich verteidigt.

Unberechenbar

Doch Trump versucht, mit Russland einen seiner berüchtigten «Deals» abzuschliessen. Denn im von Russland besetzten Osten der Ukraine liegen wertvolle Rohstoffe. Dabei ist Russlands Präsident Vladimir Putin ein un­­berechenbarer und wortbrüchiger Diktator. Er hat seine Verbrecher-Mentalität schon oft demonstriert. Zum Beispiel im Tschetschenien-Krieg: Putin war 1999 gerade Ministerpräsident geworden, als er in Moskau zwei Wohnhäuser durch den KGB in die Luft sprengen liess, um die Tat den Tschetschenen in die Schuhe zu schieben. Dann hat er die Stadt Grosny dem Erdboden gleichgemacht. Von den 1,25 Millionen Bewohnern Tschetscheniens sind in den insgesamt vier Kriegsjahren über 200 000 ermordet worden – und kaum jemand im Westen hat sich daran gestört.

Grauenhaft

Nun macht Massenmörder Putin das Gleiche in der Ukraine: Mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zerstört er die zivile Infrastruktur, terrorisiert und ermordet die Bevölkerung. Es ist ein kolonialer Vernichtungskrieg. Nur eine sofortige Waffenruhe könnte ihn stoppen – und dann die Entsendung von Uno-Blauhelmen. So würde die Weltöffentlichkeit die Neutralität der Ukraine garantieren. Aber ein «Deal» mit Putin, der Russland freie Hand lässt, die Ukraine weiter zu bedrohen, wird ­fürchterlich enden.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

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