Novartis-GV
Von Abzockerlöhnen und dem Trug der Mitbestimmung

In der St. Jakobshalle in ­Basel treffen ­Kleinaktionäre und -aktionärinnen von Novartis auf die abgehobene Konzernleitung. Mit Buffet, Dividenden und Schein­mitsprache ­versuchen die Bosse, die empörten ­Geister zu beschwichtigen. work hat sich unter die Aktionärs­gemeinde gemischt.

VERDIENT DAS 200FACHE EINER LABORANTIN: Novartis-CEO Vas Narasimhan weist einen Jahreslohn von 19,2 Millionen Franken aus. (Foto: Keystone)

Hunderte Kleinaktionärinnen und -aktionäre, vorwiegend im Rentenalter, strömen an diesem Morgen im März in die Basler St. Jakobs­halle an die Generalversammlung des Pharmakonzerns Novartis. Auf dem Bildschirm beim Einlass wird auf das erweiterte Buffetangebot hingewiesen: Neu gibt’s neben Käse- und Spinatküchlein auch Fruchtsalat und Himbeer-Brownies zum Frühstück. Ein Aktionär sucht vergebens sein Birchermüesli. Er ist entrüstet: «Das Birchermüesli ist dem Schweizer heilig. Da wird am falschen Ort gespart, damit man dem CEO 19 Millionen in die Tasche stecken kann!»

Das Ende einer Ära

Drinnen, in der abgedunkelten Halle, spricht Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt (69). Nach 12 Jahren im Amt ist es seine letzte GV. Er sagt: «Wir haben die Dividenden für die Aktionäre während meiner Amtszeit jedes Jahr um durchschnittlich 7 Prozent erhöht!» Der Umsatz von Novartis stieg im letzten Jahr um 12 Prozent auf 50,3 Milliarden Dollar und der Reingewinn auf 15,7 Milliarden. Trotz der Dividendenzahlung von 3 Franken 50 pro Aktie und dem absoluten Rekordergebnis gibt es vom Publikum nur einen verhaltenen Applaus für den abtretenden Verwaltungsrat.

Astronomische Renditen

Dann versucht es der US-amerikanische CEO Vas Narasimhan (49) mit ein paar Worten auf deutsch, bevor er auf englisch weiterfährt: «Wir haben eine spannende Zukunft vor uns! Wir sind die wertvollste Medizinfirma der Welt!» Narasimhan hat das Unternehmen zusammen mit Reinhardt zu einem reinen Pharmakonzern und einer noch erfolgreicheren Geldmaschine umgebaut. Heute erzielen vor allem die Krebs- und Herz-Kreislauf-Medikamente Traumrenditen. Aber auch die Gen­therapie Zolgensma für die Behandlung von spinaler Muskelatrophie. Eine Dosis dieses ­Medikaments kostet Prämienzahlerinnen und Prämienzahler sowie den Staat bis zu zwei Millionen Franken. Damit das auch in Zukunft so bleibt, ist Narasimhan neben seinem Job als Novartis-CEO auch Vorsitzender der mächtigen US-Pharmalobby PhRMA. Novartis erzielt 40 Prozent seines Umsatzes in den USA und ist auf Gesetze angewiesen, welche die Patente und die sehr hohen Medikamentenpreise schützen.

Lohngefälle 1 : 200

Als nächstes tritt Rolf Kurath (siehe Interview unten) ans Mikrophon. Er ist Unia-Mitglied und Präsident von Actares, einem Verein von Aktionärinnen und Aktionären für Konzernverantwortung. Er sagt:

Der CEO ist nur so viel wert wie die Belegschaft. Extreme Boni verstossen gegen die Lohngerechtigkeit und sind ein Risiko für den sozialen Frieden.

Einschliesslich der Boni verdiente Narasimhan im letzten Jahr 19,2 Millionen Franken, etwa das 200fache einer Novartis-Laboran­tin. Auch das Jahressalär von Reinhardt sprengt mit 3,8 Millionen Franken die Vorstellungskraft von Normalverdienenden. Die zynische Antwort von Reinhardt auf die Kritik an Abzockerlöhnen: «Im Prinzip haben wir die gleiche Auffassung: Wir müssen das Beste machen für das Unternehmen, nicht für das eigene Portemonnaie. Aber global gesehen liegen wir bei den Vergütungen im Mittelfeld.»

Ehemaliger fordert ­Rentenerhöhung

Der pensionierte Novartis-Mitarbeiter Willi Müller humpelt auf einen Stock gestützt die Treppenstufen des Rednerpodiums hoch. Er sagt:

Für Novartis sollte eine 13. Monatsrente möglich sein, für mich ist es mit meiner Rente nicht mehr möglich, meine Familie zu unterstützen.

Seit 19 Jahren habe er keine Rentenerhöhung erhalten und komme einschliesslich AHV auf ein Einkommen von jährlich 65 000 Franken. «Vergleicht man meinen Lohn mit dem des CEO, dann müsste ich 291 Jahre arbeiten.» VR-Präsident Jörg Reinhardt mimt Betroffenheit über die finanzielle Situation des Rentners, macht aber keinerlei verbind­liche Zusagen zur Prüfung einer generellen Rentenerhöhung.

Scheinmitbestimmung

Den Antrag von Actares und der Pensionskassenvertretung Ethos, die Abzockerlöhne abzulehnen, unterstützen 12 Prozent der Aktionärinnen und Aktionäre. Ein Achtungserfolg. Denn nur etwa 20 Prozent der Aktien befinden sich im Besitz von natürlichen Personen. Der Rest ist im Besitz von Pensionskassenfonds oder Investoren wie Blackrock oder der UBS. Die Mehrheit der 1693 anwesenden Kleinaktio­närinnen und -aktionäre im Saal stimmte mutmasslich gegen die Abzockerlöhne. Nach etwas weniger als zwei Stunden ist der Spuk vorbei. CEO Narasimhan nimmt abgeschirmt von ­Bodyguards den Seitenausgang. Zum Abschied gibt es für die Anwesenden noch ein Basler ­Läggerli mit der Aufschrift «Danke». Danke, dass Sie weiterhin den Schein der Mitbestimmung wahren.

Im Wandel: Pharmariese ­Novartis

Novartis hat seine Aktivitäten im Bereich Tiermedizin, Augenheilkunde (Alcon), Impfstoffproduktion und Generika (Sandoz) in den letzten Jahren verkauft und sich zu einem reinen Pharmakonzern gewandelt. Heute beschäftigt Novartis weltweit 76 000 Mitarbeitende, davon etwa 10 000 in der Schweiz. Der Novartis Campus Basel ist globaler Hauptsitz mit 7000 Mitarbeitenden in der Forschung, Entwicklung und im Management. In Stein AG produzieren 1600 ­Mitarbeitende personalisierte Zell- und ­Gentherapien und in Schweizerhalle BL weitere 200 Personen chemische Wirkstoffe. Weltweit betreibt Novartis 30 Produktionsstandorte.


Gewerkschafter zur GV«Ein Gefäss zum Dampfablassen»

Rolf Kurath (71) ist Präsident der Aktionärsvereinigung Actares und Unia-Mitglied. Er setzt sich gegen übertriebene Boni und krumme Geschäfte von Konzernen ein.

work: Die GV gleicht einer Show. Wem dient diese Versammlung?
Rolf Kurath: Die GV ist die Landsgemeinde der Kleinaktionärinnen und -aktionäre. Die grossen Investoren sprechen gar nicht. Die GV ist keine Demokratie, aber es ist ein Gefäss zum Dampfablassen.

Wieso sind Sie bei Actares aktiv?
Ich möchte, dass das Geld, das in Aktien angelegt ist, ethisch korrekt investiert ist. Mit Actares schauen wir den Schweizer Konzernen auf die Finger. Das machen wir, indem wir die Geschäftsberichte analysieren, mit den Unternehmen im Dialog sind und indem wir abstimmen und uns an Generalversammlungen zu Wort melden.

Hatten Sie bei Novartis Erfolg?
Noch vor acht Jahren war Novartis in zahlreiche Bestechungsaffären involviert. Das war noch die Kultur aus der Zeit von Daniel Vasella, der bis 2013 Verwaltungsratspräsident von Nov­artis war. VR-Präsident Reinhardt und der CEO Narasimhan haben aufgeräumt. Wir beobachten bei Novartis heute kaum noch Verstösse gegen geltende Gesetze.

Und dennoch gibt es grundsätz­liche Kritik am Geschäftsmodell.
Novartis will jegliche staatliche Preisregulierung bei den Medikamenten abklemmen. Da geht es um die Monopolgewinne durch Patentschutz, die diese astronomischen Renditen bringen. Die Staaten haben es bisher nicht geschafft, diese Preissetzungsmacht der Pharmakonzerne zu knacken. Novartis investiert auch Mil­lionen in das Lobbying, damit das weiterhin so bleibt.

Waren Sie auch an anderen ­Generalversammlungen?
Ich bin bei Actares in der Pharma­gruppe und gehe auch an die GV von Sandoz und Roche. Actares ist zudem regelmässig an der GV von Holcim, Nestlé, Swiss Re, UBS und Zurich vertreten.

Rolf Kurath: Kennt beide Seiten

GEWERKSCHAFTER: Rolf Kurath. (Foto: ZVG)


Jurist und Organisationsentwickler Rolf Kurath war von 1991 bis 1993 in der Leitung der Unia-Vorgänger­gewerkschaft GBI und ist bis heute überzeugter Gewerkschafter und Unia-Mitglied. In seinem Berufsleben sass er auf beiden Seiten des Verhandlungstisches: Ab dem Jahr 2000 war er Delegierter für Sozialpartnerschaft von Swisscom und verhandelte als Arbeitgebervertreter. Seit 2019 ist er Mitglied bei Actares und seit 2020 Präsident des Vereins.

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