SVP-Bauer zockt Ukraine-Flüchtlinge ab
Schamlos ausgenutzt

Drei Jahre nach dem ­russischen Überfall auf die Ukraine haben in der Schweiz rund 12 000 Kriegsflüchtlinge Arbeit gefunden. Einige werden ausgebeutet – wie ein Fall aus Schaffhausen zeigt.

KAUM IN DER SCHWEIZ, SCHON AM CHRAMPFEN: Anastasiia Ptashka und ihr Freund Oleksandr hatten mit ihrem ersten Arbeitgeber kein Glück. (Foto: Maurice Haas)

Jahrelang lebten rund 7000 ukrainische Staatsangehörige in der Schweiz. 10 Prozent von ihnen – und damit die grösste Gruppe – war laut Bundesstatistik im Grosshandel tätig. Eine direkte Folge des ukrainischen Rohstoffreichtums und der Schweizer Führungsrolle im globalen Öl-, Kohle-, Mineralien- und Getreidehandel. Dann kam der 24. Februar 2022. Die russische Armee überzog das einstige «Brudervolk» mit einem mörderischen Grossangriff. Die grösste Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg brach los. In der Schweiz suchten seither 100 000 Menschen Zuflucht – mehrheitlich Frauen und Kinder. ­Aktuell leben 67 000 ukrainische Flüchtlinge hier. Knapp 30 Prozent, rund 12 000, sind erwerbs­tätig – Tendenz kontinuierlich steigend –, aber freilich nicht auf den gut dotierten Posten der Rohstoffhandelsplätze Genf oder Zug. Sondern hauptsächlich im Niedriglohnsektor. Im Kanton Bern etwa sind die meisten Ukraine-Flüchtlinge in der Hotellerie und Gastronomie tätig. Schweizweit beträgt ihr Durchschnittslohn brutto 4600 Franken für ein Vollzeitpensum.

Von einem solchen Lohn konnte Anastasiia Ptashka (23) lange nur träumen. Frisch in der Schweiz, habe sie sich sogar «wie eine Sklavin» gefühlt.

«Konnte nur noch kriechen»

Ptashka ist gelernte Coiffeuse und stammt aus der Stadt Sumy. 40 Kilometer weiter östlich verläuft die Front. Bei Kriegsbeginn wurde Sumy umzingelt. Doch Ptashka war da bereits weg. Kurz vor der Invasion war sie nach Polen gereist, da sie dort Arbeit in einer Fabrik gefunden hatte. Im April 2022 folgte sie ihrem Freund in die Schweiz. Er hatte im Kanton Schaffhausen schon vor dem Krieg ein Agrarpraktikum begonnen. Der Landwirt, ein gut vernetzter Bauernfunktionär und SVP-Politiker, bot auch Ptashka Arbeit an. Sie sagt:

Seit dem ersten Tag in der Schweiz arbeite ich – und zwar hart!

Sie habe alles gemacht, was man ihr zugewiesen habe. Regelmässig habe sie auch derart schwere Lasten schleppen müssen, dass ihr ­Rücken schmerzte. Und beim Klauenschneiden habe ihr eine Kuh fast den Schädel gebrochen. Gemurrt habe sie trotzdem nie. Dann aber blieb ihr Lohn aus – zwei Monate lang.

Der Bauer begründete dies gegenüber dem Onlinemagazin «Republik» mit dem Status S (siehe Box). Diesen habe Ptashka erst ab Juni 2022 erlangt – und also vorher gar nicht arbeiten dürfen. Ihre vorherige Mitarbeit habe der Bauer als «ein bisschen mitgeholfen» umschrieben. Alle übrigen Vorwürfe seien falsch. Ptashka aber schwört: «Ich habe von Anfang an voll gearbeitet!» Und selbst derjenige Lohn, den sie erhielt, war tief. Tiefer noch als die 3385 Franken, die der kantonale Normalarbeitsvertrag der Landwirtschaft empfiehlt. Dies notabene bei ­einer 55-Stunden-Woche und nur eineinhalb freien Tagen. Zudem verrechnete ihr der Bauer monatlich 990 Franken für Kost und Logis, wobei ihr Zimmer nicht beheizt gewesen sei.

Fast obdachlos im Winter

«Die Enttäuschung warf mich völlig aus der Bahn», sagt Ptashka. Dennoch habe sie weitergemacht, in der Hoffnung auf Besserung. Als nach anderthalb Jahren ihr Arbeitsvertrag auslief, ­erhielt sie am 28. November 2023 einen Brief. Sie glaubte, es sei der neue Vertrag. Stattdessen stand da: «Deine Anstellung endet auf deinen Wunsch am 30. 11. 23. (…) Ab 1. 12. 23 verfügen wir ein Hausverbot.» Mit dem Rausschmiss sei ihr Leben ins Chaos gestürzt, zumal der Bauer ihr noch Lohnabzüge gemacht habe.

Es war Winter, und ich hatte weder Geld noch Bleibe, ich war verzweifelt und wollte schon in die Ukraine zurück.

NICHT AUFGEBEN: Anastasiia Ptashka hat sich mit der Unia dafür eingesetzt, dass die Wahrheit ans Licht kommt. (Foto: Maurice Haas)

Doch dank dem letzten Geld ihrer Mutter sei ihr das Kunststück gelungen, innert zwei Tagen ein neues Mietzimmer zu finden. Aber schon meldete sich die Arbeitslosenkasse: Da sie selbst gekündigt habe, müsse sie 31 Einstelltage hinnehmen, also einen Monat ohne Entschädigung ausharren. Zum Glück hatte Ptashka von der Unia gehört.

Unia-Anwalt interveniert

Im Sekretariat in Zürich stiess sie auf Anwalt Vadim Drozdov – und der handelte sofort. Drozdov brachte den Bauer bald dazu, einen Teil der Lohnabzüge zurückzuzahlen. Und Mitte Januar gelang der Durchbruch vor Obergericht: Die Arbeitslosenkasse musste die Einstelltage zurücknehmen und Ptashka ausbezahlen. «Ich bin froh, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist», sagt sie. Groll gegen die Behörden oder gar die Schweiz hege sie nicht. Im Gegenteil gefalle es ihr hier sehr: «Die Menschen lächeln immer und unterhalten sich sogar, wenn sie sich nicht kennen.» Und dann die Landschaften: «einfach atemberaubend». Auch beruflich läuft es endlich: Unia-Mitglied Ptashka arbeitet jetzt als Landschaftsgärtnerin – in derselben Gartenbaubude wie ihr Freund.

Und die Heimat? Die vermisse sie extrem. Eine baldige Rückkehr sei aber nicht realistisch, zumal sie die neusten Verhandlungen zwischen Trump und Putin kritisch sehe: «Einerseits erscheint jede Diplomatie, die den Krieg beenden könnte, verlockend.» Doch wenn es nur darum gehe, Gebiete abzutreten, handle es sich nicht um Frieden, sondern um Kapitulation.

Status S: Parlament will ­einschränken statt ausweiten

Im Dezember 2024 beschloss die rechte Parlamentsmehrheit, den Schutzstatus S einzuschränken. Er soll nur noch für jene Ukrainerinnen und Ukrainer gelten, die aus besetzten oder umkämpften Gebieten stammen. Der Status S ist seit März 2022 in Kraft und befreit Ukraine-Flüchtlinge – bisher exklusiv – von einem langwierigen Verwaltungsverfahren und garantiert ­Arbeitsfreiheit. (jok)

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