Die EU-Kommission plant, die neue Lieferkettenrichtlinie noch vor ihrer Einführung zu unterlaufen und damit Konzerne doch nicht zur Verantwortung zu ziehen. Wie ist es dazu gekommen? Und was bedeutet das für die neue Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz?

VERSPRICHT DEN KONZERNEN MEHR GELD UND WENIGER REGELN: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (r.) am Treffen mit den europäischen Industrieführerinnen und -führern in Antwerpen. (Foto: Keystone)

Für die grössten europäischen Industriekonzerne war in diesen Wochen Weihnachten und Geburtstag zusammen. Unter dem Dach der ehemaligen Handelsbörse der belgischen Stadt Antwerpen begrüsste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die versammelten Chefs der europäischen Industrie. Von der Leyen versprach den Industriekonzernen Milliardensubventionen zur Reduktion des CO2-Ausstosses, günstigere Energie und die Aushöhlung der europäischen Lieferkettenrichtlinie, welche die Konzerne zur Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten verpflichtet. Von der Leyen sagte:

Wenn Sie sich den Deal für eine saubere Industrie ansehen, so wird jede einzelne der zehn Empfehlungen aus der Erklärung von Antwerpen darin umgesetzt.

Treffen auf dem Werkgelände von BASF

Die Erklärung von Antwerpen war das Resultat eines Treffens, das genau ein Jahr zuvor am Hafen von Antwerpen auf dem Werkgelände von BASF, dem grössten Chemieunternehmen der Welt, stattgefunden hatte. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit trafen sich 73 Unternehmen auf Einladung des europäischen Chemieverbands CEFIC zu einem Gipfel mit der Präsidentin der EU-Kommission und dem belgischen Premierminister. Auch die grossen Ölkonzerne wie Exxon Mobil, Eni, Total Energies oder Repsol waren mit von der Partie. Die Wunschliste der Konzerne umfasste zehn Punkte, von Industriepolitik über Energiesubventionen bis zu Bürokratieabbau. 

Scharfe Kritik der Gewerkschaft

Von der Leyen sagte am Industriegipfel in Antwerpen: «Ihre Botschaft vom vergangenen Jahr war laut und deutlich, Sie haben gesagt: Dieses Geld, das aus der Industrie kommt, sollte in die Industrie reinvestiert werden. Genau das werden wir jetzt tun.» Ursula von der Leyen verspricht mit dem «Clean Industrial Deal» aber nicht nur Milliarden für die grössten europäischen Konzerne, es geht auch um den Rückbau der Nachhaltigkeitsregulierungen, welche eben diese Konzerne in die Verantwortung nehmen. Frank Werneke, der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, sagt:

Die EU-Kommission ist vor der europäischen Wirtschaftslobby eingeknickt.

Denn die Kommission plant eine Aushöhlung der eben erst vom EU-Parlament beschlosseneneuropäischen Lieferkettenrichtlinie und eine massive Einschränkung der Sorgfaltspflichten.

Rückbau der Nachhaltigkeitsregeln

Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitenden sollen von den Berichterstattungspflicht über Klimamassnahmen und der Menschenrechtspraxis ausgenommen werden. Und die Kommission will die Sorgfaltspflichten der Konzerne auf direkte Zulieferer beschränken. Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen findet jedoch tiefer in der Lieferkette statt. Die EU-Kommission will auch Gewerkschaften und NGOs die Möglichkeit nehmen, die Opfer vor Gericht zu vertreten. Das intensive Lobbying der Konzerne zeigen auch die neusten Zahlen der NGO Lobbycontrol:

Allein die 162 Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die Lobbyausgaben ab einer Million Euro jährlich angeben müssen, haben ihre Lobbybudgets seit 2020 um einen Drittel auf 343 Millionen Euro erhöht. 

Konzernverantwortung in der Schweiz

Und was bedeutet diese Attacke auf die EU-Lieferkettenrichtlinie für die Konzernverantwortung in der Schweiz? Seraina Patzen, Co-Geschäftsleiterin der Koalition für Konzernverantwortung, sagt:

Die Schweiz liegt beim Thema Konzernverantwortung sowieso kilometerweit zurück.

Zahlreiche Nachbarländer der Schweiz hätten bereits Konzernverantwortungsgesetze, und auch auf EU-Ebene werde nicht grundsätzlich in Frage gestellt, dass Konzerne dazu verpflichtet seien, Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Patzen sagt:

Die grosse Unterstützung in der Bevölkerung für die Konzernverantwortungsinitiative zeigt, dass die Schweiz jetzt vorwärts machen muss im Thema.

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