worktag
Wagenreiniger Juan Colomer (48): «Viele von uns haben Probleme mit dem Schlaf»

Pro Schicht putzen Juan Colomer und seine Kollegen im Bahnhof­ ­Zürich dreissig Züge und mehr. Der studierte Philosoph erklärt, warum es ihm nicht viel ausmacht, WC zu putzen. Und welchen Erfolg die SBB-Reiniger mit ihrer Gewerkschaft erzielt haben.

JUAN COLOMER (48) sorgt für saubere Züge. (Foto: Michael Schoch)

Was immer wieder schwierig sei an seinem Beruf, sagt Juan Colomer, seien die Gerüche. «Zum Beispiel Erbrochenes. Am Wochenende kommt das oft vor. Daran kann ich mich nicht gewöhnen, auch nach elf Jahren nicht.» Der 48jährige arbeitet im Hauptbahnhof Zürich als Wagenreiniger bei den SBB. Wie aufwendig er putzen muss, ist vom Fahrplan abhängig. In Zügen, die nicht lange Aufenthalt haben, reicht die Zeit nur fürs Gröbste: «Da nehmen wir Zeitungen und sichtbaren Abfall mit und leeren überfüllte Kübel. Die WC wischen wir kurz ab.»

Ausländische Züge wie TGV oder ICE bleiben dagegen meist rund eine Stunde in Zürich. Dann heisst es zusätzlich staubsaugen, die Tische abwischen und die WC gründlich reinigen. Noch aufwendiger ist die Arbeit in den Nachtdiensten: «Wir schieben die Sitze zurück und klappen alle Armlehnen hoch oder runter.» Was jetzt – hoch oder runter? Der Spanier lacht und sagt: «Das spielt keine Rolle. Es müssen einfach alle gleich sein.»

Kalte Dusche

Von aussen füllt er zudem bei jedem Zug die Wassertanks der Toiletten wieder auf. Diese Arbeit mache er gar nicht gern, sagt er. Denn je nach Zug passe der Schlauch nicht auf die Öffnung.

Wenn du da nicht aufpasst, wirst du pflotschnass. Im Sommer ist das ja okay, aber jetzt…


Manchmal arbeitet er alleine, meist jedoch in Teams von bis zu zwölf Personen. Was immer wieder zu Diskussionen führe: Wer jetzt die WC putzen muss. «Fast alle sagen, sie hätten gestern, heute solle ein anderer.» Er selber mache das nicht ungern, sagt Colomer. Klar, der Anblick sei manchmal unappetitlich. Aber körperlich sei diese Aufgabe leichter als andere. Denn es ist ein harter Job. Beim Einsammeln von Abfall bückt er sich ständig. Beim Staubsaugen geht er regelmässig die weite Strecke zum Depot und zurück, um den Akku zu wechseln.

Schlafprobleme

Was ihm Mühe mache, seien die unregelmässigen Arbeitszeiten. Zwar hielten die SBB das Arbeitsgesetz und den GAV ein, «da sind sie strikt». Doch auch mit diesen Regeln sei die Erholungszeit oft kurz. Wenn zum Beispiel ein Dienst bis Mitternacht dauere und der nächste um zehn Uhr morgens anfange, dann seien das zwar zehn Stunden Ruhezeit. «Aber du musst heimfahren, duschen, essen, am Morgen wieder hinfahren… es wird knapp. Viele von uns haben Schlafprobleme. Ich auch.» Positiv sei dagegen die Planbarkeit: Im Dezember bekomme er jeweils den Einsatzplan fürs ganze nächste Jahr.

Als er 2009 in die Schweiz kam, fand er nur Arbeit als Temporärkraft in der Reinigung. Die Einsätze waren ­unregelmässig, sein Einkommen auch. Er machte einen Deutschkurs, und nach vier Jahren konnte er fix als Wagenreiniger anfangen. «Das war besser. Ein Vollzeitjob, unbefristet. Aber ich war immer noch vom Temporärbüro angestellt.» Es dauerte drei weitere Jahre, bis ihn die SBB direkt anstellten.

Anders als viele private Unternehmen haben die SBB die Reinigung nicht als Ganzes ausgelagert. Als SBB-Mitarbeiter erhält Colomer ein Generalabonnement, seine Wegzeiten sind bezahlt, und er ist durch den GAV geschützt. Seit ein paar Jahren setze die Bahn immer mehr auf Temporäre, sagt Colomer. Er schätzt, dass sie heute etwa die Hälfte der Reinigerinnen und Reiniger ausmachen. Er schüttelt den Kopf und sagt:

Wir sind zwei Klassen von Mitarbeitenden. Obwohl alle die gleiche Arbeit machen.

Sein Grundlohn liegt derzeit bei rund 4700 Franken brutto im Monat, plus Dreizehnter. Das sei nicht viel, sagt er, aber dazu kämen noch faire Zulagen: pro Stunde 6 Franken in der Nacht und 16 Franken am Sonntag. Plus pauschal 50 Franken im Monat fürs Reinigen der WC.

Erfolg

Diese «Schmutzzulage» hatten die SBB 2019 abschaffen wollen. Doch die Mitarbeitenden wehrten sich, unterstützt vom SEV. Colomer: «Wir haben Unterschriften gesammelt und Fotos gemacht von verdreckten WC. Damit die Chefs sehen, wie wichtig unsere Arbeit ist.» Das wirkte. Rasch willigten die SBB zu Gesprächen ein, und die Zulage, bis dahin pro Stunde ausgezahlt, wurde in die heutige Pauschale umgewandelt. Ein guter Deal: Laut dem SEV zahlen die SBB jetzt in der Summe sogar mehr Zulagen aus als unter dem alten System.

Kaum ist das Gespräch mit work beendet, trifft der Fotograf ein. Das Bild soll Colomer dort zeigen, wo er arbeitet: in einem leeren Zugwagen. Er zückt sein Handy. «Hier, der Railjet aus Österreich fährt erst in 40 Minuten. Gleis 12.» Doch schon nach wenigen Schritten stoppt ihn ein Passagier. Ob er ihm sagen könne, wo die Billettschalter seien. Freundlich gibt der Spanier Auskunft. Danach lacht er, zeigt auf seine Arbeitsjacke in leuchtendem Orange und sagt: «Wir sind ein Magnet.» Auch das ist Teil des Jobs.


Juan Colomer (48)Liebe und Leidenschaft


Geboren und aufgewachsen ist Juan Colomer in Spanien. Dort hat er ein Philosophiestudium abgeschlossen. «Das war meine Leidenschaft», sagt er, «schon in der Schule.» In die Schweiz kam er wegen der Liebe zu einer Frau. Die Beziehung ging auseinander, derzeit geniesst er das Leben als Single, am Wochenende geht er gern in Zürich in den Ausgang oder spielt das Videogame «Zombie Survival».

Tradition

Mit Überzeugung ist er bei der Gewerkschaft SEV dabei, im Vorstand des Zürcher Unter­verbandes Rangier/Clean. Zudem vertritt er seine Kolleginnen und Kollegen in der regionalen SBB-Personalkommission der Reinigung. Das Engagement sei Familientradition, sagt er: Schon sein Vater, Arbeiter in einer Gitarren-Manufaktur, war aktiver Gewerkschafter. Colomer sagt: «Am ersten Arbeitstag bei den SBB habe ich gefragt: Wer ist unsere Gewerkschaft?»

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.