50 Jahre Kaiseraugst
Als Massenproteste ein neues AKW verhinderten

Atomkraft, nein ­danke! Das sagten Protestierende schon vor ­fünfzig Jahren. Und ­verhinderten den Bau des Atomkraftwerkes in Kaiseraugst. ­Widerständig und dem ­Zeitgeist zum Trotz.

PROTESTE STATT BAUARBEITEN: Jugendliche besetzen 1975 ­Bagger in Kaiseraugst, mit dabei auch Ueli Mäder (hinten, zweiter von links). (Foto: Fotolib Basel)

Der 1. April 1975 fiel auf einen Osterdienstag. Da sollte in Kaiseraugst AG der Bau eines Atomkraftwerks beginnen. Die Arbeiter erschienen in aller Früh, kehrten jedoch bald wieder um. Ihre Bagger standen zwar bereit, wurden aber von Jugendlichen besetzt. Die frohe Botschaft verbreitete sich im Nu. Hunderte strömten herbei, bauten Zelte und später Hütten auf. Früh und mit etwas mulmigem Gefühl sass auch ich an jenem 1. April in Kaiseraugst auf dem Bagger. Zuerst noch mit unserer damals zweijährigen Tochter Anja. Das würde ich heute nicht mehr tun. Besetzen schon, aber ohne Kleinkind. Erfreut zogen wir dann, die ganze ­Familie und die Wohngemeinschaft, an die Kundgebung vom Sonntag, dem 6. April 1975. 15 000 Personen kamen; auch mein Vater. Und ausserdem, was mich mehr überraschte: Otto Buess, der Direktor der Landwirtschaftlichen Schule in Sissach. Er politisierte in der SVP, lehnte aber das AKW klar ab.

Volksentscheid missachtet

TEIL DES PROTESTS: Soziologe Ueli Mäder.
(Foto: Keystone)

Die Besetzerinnen berieten sich an Vollversammlungen, harrten elf Wochen aus und erreichten so Verhandlungen mit dem Bundesrat. Dieser schützte lange die Investoren um den Aargauer Energiekonzern Motor Columbus. Dabei hatte die Bevölkerung von Kaiseraugst 1972 den Bau eines Atomkraftwerks haushoch abgelehnt. Doch weder der Aargauer Regierungsrat noch das Verwaltungs­gericht noch das Bundesgericht ­kümmerte dieses klare Nein. Auch SP-Bundesrat und ehemaliger Gewerkschafter Willi Ritschard war lange nicht bereit, mit den Besetzern von Kaiser­augst zu verhandeln. Erst Helmut ­Hubacher, Schwergewicht der SP, brachte ihn dazu. Die Verhandlungen verliefen für die Demons­trierenden jedoch enttäuschend, denn sie führten zu keinerlei Lösungen. Dennoch verzichtete Motor ­Columbus auf den Bau, auch als Folge des Protests. Dann, 1989, drei Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und der Chemie­katastrophe von Schweizerhalle, begrub das eidgenössische Parlament das AKW Kaiseraugst endgültig. Motor Columbus erhielt als Abfindung 350 Millionen Franken.

Breit abgestützte Bewegung

So weit, arg verkürzt, was am Samstag, 4. April 2025, mehrere Hundert Ehemalige und Nachkommen in der Basler Markthalle feiern. Die NWA Schweiz (Nie wieder Atomkraftwerke) hatte dazu eingeladen, 50 Jahre danach. Die NWA koordinierte zusammen mit der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK) 1975 die Besetzung. In der GAK waren Leute aus der Juso, der trotzkistischen RML und der Poch, Sozialdemokratinnen, Grüne, Umwelt- und Friedensbewegte, aber auch Menschen aus bürgerlichen Kreisen.

Am Jubiläumsanlass in der Basler Markthalle erinnert sich Florianne Koechlin an lebendige Vollversammlungen. Die Biologin politisierte für die Progressiven Organisationen (Poch). Zuerst habe sie vor Verhandlungen mit dem Bundesrat gewarnt, der die Bewegung bloss vereinnahmen wolle. Bei der Besetzung realisierte sie immer mehr, wie nötig breite Allianzen sind und wie Konflikte verbinden können.

Verhaltenen Applaus erhält auch Hanspeter Gysin, ehemaliger Vertreter der Revolutionären Marxistischen Liga (RML). Er würdigt das Sprengen des «Lügenpavillons», den die Motor Columbus auf dem freiwillig geräumten Gelände errichtet hatte. Giorgio Bellini (1945–2024) bekannte sich 2021 zur Tat. Der Politaktivist reagierte damit auf das Ablehnen der Atomschutzinitiative 1979. Er äussert sich auch im sehenswerten Dok-Film dazu, den das Schweizer Fernsehen am 3. April 2025 über die Besetzung ausstrahlte. Vielleicht sei diese Sprengung, so Bellini, doch nicht ganz so nötig gewesen. Die NWA distanzierte sich stets entschieden davon. Sie anerkennt auch, dass der Gesinnungswandel von einzelnen Bürgerlichen das AKW Kaiseraugst mitverhindert hat.

VEREINT: Gegen den Bau des AKW wehrten sich nicht nur Linke, sondern auch Menschen aus bürgerlichen Kreisen. (Foto: Keystone)

Gesinnungswandel

Kaiseraugst brachte ein grosses Umdenken in Bezug auf die Atomenergie. Zu Beginn der 1970er Jahre sprachen sich noch, nebst den meisten Bürgerlichen, etliche SP- und PdA-Mitglieder für Atomenergie aus. Aber das änderte sich bald. Davon zeugte die stark zunehmende, heterogene Ablehnung des AKW Kaiseraugst. Etlichen imponierte das gewaltfreie Selbstverständnis der Bewegung. Diese mobilisierte so viel Solidarität. Zudem verknüpfte sie lebensweltliche und politische Belange. Im Sinne von Leben statt Profit. Das half.

Seit Ende der 1970er Jahre verzichten die Kantone Basel-Land und Basel-Stadt gesetzlich auf AKW. 1990 beschlossen die Stimmberechtigten der Schweiz ein zehnjähriges Mora­torium für AKW. Und nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima entschied der Bundesrat 2011 den ­Ausstieg aus der Atomenergie. Das Parlament folgte ihm. Somit sind neue AKW verboten. Aber viel Arbeit steht bevor. Dies auch deshalb, weil geldgetriebene Kreise und SVP-Energieminister Albert Rösti diese Beschlüsse unterlaufen wollen.

Die NWA setzt sich indes weiter dafür ein, den Ausstieg möglichst bald zu verwirklichen, konsequent erneuerbare Energie zu fördern und die Umwelt zu schonen. Dabei drängt sich auf, Bündnisse mit der Klima- und der Friedensbewegung zu stärken. Mehr Druck ist bitter nötig. Im Sinne von: Atomkraft, nein danke!

* Ueli Mäder (* 1951) ist Soziologe. Er war bis zu seiner Pensionierung Professor an der Uni Basel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Fragen der sozialen Ungleichheit sowie auf der Konflikt- und Kooperations­forschung. In den 1970er Jahren war er Mit-
gründer der Progressiven Organisationen der Schweiz (Poch).

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.