Kommentar von Solidar-Geschäftsleiter Felix Gnehm
Die Welt in Schieflage

Solidar Suisse unterstützt Arbeiterinnen und ­Arbeiter in der ganzen Welt. ­Geschäftsleiter Felix Gnehm berichtet für work, welche Auswirkungen der Kahlschlag bei USAID hat – auch auf seine Organisation.

ERST DER ANFANG: Die US-Regierung hat der Entwicklungsagentur USAID die Gelder eingefroren und die internationale Solidarität damit begraben. Andere Länder ziehen nach, auch die Schweiz. (Foto: ZVG / Solidar)

«Rechtsruck in Europa, ein radikaler Kahlschlag der US-Regierung in der internationalen Zusammenarbeit, das Aussetzen der Ukraine-Unterstützung durch Washington und massive Kürzungen bei der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) – während Grossbritannien und die Niederlande nachziehen. Die internationale Solidarität fällt gerade in Trümmer. Das ist beängstigend. Was bedeutet das für uns? Und was können wir tun? Täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften aus den USA. Der drastische Abbau bei USAID, die Missachtung internationaler Verpflichtungen und eine kompromisslose ‹America first›-Politik setzen ein deutliches Zeichen: Solidarität und Entwicklungszusammenarbeit sind für die gegenwärtige US-Regierung nur noch lästige Relikte vergangener Tage. Nun trifft es auch Solidar Suisse direkt: Am 25. Februar erreichte uns ein offizielles Schreiben der US-Entwicklungsagentur USAID. Darin heisst es: ‹Die US-Regierung unter Aussenminister Rubio hat festgestellt, dass Ihr Projekt nicht mit den Interessen der USA übereinstimmt. Daher wurde beschlossen, die Finanzierung einzustellen.› Dies trifft ein Programm, das 36 000 Arbeiterinnen und Arbeiter in den prekärsten Wirtschaftszweigen Asiens unterstützte – entwickelt in enger Zusammenarbeit mit den US-Behörden.

JETZT ERST RECHT: Solidar-Chef Felix Gnehm. (Foto: ZVG)

Ein Drehbuch aus der Dystopie

Nun wird es über Nacht zerschlagen. Eine Entscheidung, die Teil eines klaren Musters ist: Was nicht ins ideologische Weltbild passt, wird geopfert – ungeachtet der katastrophalen Folgen. Ihr Drehbuch beim Zerschlagen jener Teile der US-Verwaltung, die ihnen nicht passen, erinnert an George Orwells ‹Animal Farm›. Nachdem die Farmtiere die Menschen vertrieben haben, artet die erfolgreiche Revolution in eine Diktatur der Schweine aus, angeleitet durch die ­beiden Leitschweine Napoleon und Schneeball. Auf der Farm bleibt kein Stein auf dem anderen. Was ihnen passt und ihre Macht sichert, bleibt. Alles andere muss weg, kritische Stimmen werden mundtot gemacht, ohne Widerspruch.

Die Kürzungen kosten menschenleben

Genau so geht die US-Regierung also mit USAID vor, der weltweit grössten staatliche Entwicklungsagentur. Im Januar 2025 hat sie rund 60 Milliarden Hilfsgelder für USAID und Uno-Hilfsorganisationen eingefroren. USAID finanziert zahlreiche Kooperationsprojekte wie jenes mit Solidar Suisse. Aber auch lebensrettende humanitäre Programme in vergessenen Kriegen und Katastrophen. In den vom Finanzierungsstop betroffenen Ländern wurden bereits Millionen von Menschen in Not gestürzt. Die US-Schergen zwingen nun also auch Solidar Suisse dazu, die Zusammenarbeit mit Zehntausenden Frauen und Männern in asiatischen Ausbeuterbetrieben zu beenden. Besonders gravierend ist das abrupte Ende vielversprechender Initiativen in der Gig Economy. Solidar Suisse hatte wirksame Massnahmen entwickelt, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu schützen, die durch Apps und Algorithmen ausgebeutet werden. Jetzt stehen sie im Regen. Die USA haben nicht einmal bereits 2024 bewilligte Gelder ausgezahlt. Sollte die versprochene halbe Million Franken ausbleiben, könnte Solidar Suisse selbst in finanzielle Schieflage geraten.

Während in den USA Entwicklungsprojekte aus ideologischen Gründen geopfert werden, zieht die Schweiz nach – aus ähnlichen Beweggründen, soll doch das Geld der internationalen Zusammenarbeit neu für Aufrüstung eingesetzt werden. Im Februar 2025 teilte die Deza den Organisationen offiziell mit, wie stark die in der Wintersession vom Parlament beschlossenen Budgetkürzungen die Entwicklungszusammen­arbeit treffen werden. Die Einsparungen belaufen sich auf insgesamt über 250 Millionen Franken – ein massiver Einschnitt. Für uns bedeutet dies eine Kürzung von über einer Million Franken über zwei Jahre. Die Konsequenz: Solidar Suisse muss noch in diesem Jahr fünf Projekte einstellen. Tausende Menschen verlieren den Zugang zu überlebenswichtiger Unterstützung. Diese Kürzungen sind nicht abstrakt – sie kosten Menschenleben. Während globale Krisen eskalieren, wird humanitäre Unterstützung systematisch ausgehungert. Organisationen, die jahrzehntelang vor Ort gewirkt haben, sind in ihrer Existenz bedroht.

Ein düsteres Szenario wird Realität

Ähnlich wie die Schweiz haben nun auch Grossbritannien und die Niederlande angekündigt, Gelder der Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen – um das Militär zu stärken. Diese Entscheidung reiht sich in einen besorgniserregenden Trend ein, bei dem die Schweiz keine gute Vorreiterrolle einnimmt.

Wir hätten es anders gehofft, doch diese Entwicklung überrascht uns nicht. Bereits in unserer Strategie 2020–2024 hatten wir ein düsteres Szenario formuliert: ‹Die Welt ist von Renationalisierung und Protektionismus geprägt. Populisten haben Demokratien geschwächt, autokratische Systeme erstarken. Demokratische Rechte sind eingeschränkt, Proteste kriminalisiert. Die USA, China, Indien und Russland dominieren wirtschaftlich und militärisch, während regionale Mächte um Einfluss ringen. Der Rückzug der USA aus internationalen Abkommen hat Institutionen wie die Uno und die WTO geschwächt.›

Doch dass ein derartiger Kurs befürwortet und damit die Demontage der globalen Ordnung zugelassen würde, war selbst in unseren schlimmsten Annahmen kaum vorstellbar. Dabei ist USAID nur der Anfang. Die gegenwärtigen Machthaber zeigen einen unersättlichen Hunger nach Kon­trolle – mit unabsehbaren Folgen.

Wir sehen uns bestätigt: Die Vision einer gleichgeschalteten Gesellschaft, wie Orwell sie beschrieb, ist keine ferne Dystopie mehr, sondern eine reale Gefahr. Doch wir beugen uns nicht. Egal, ob wir es mit autoritären Regimen, rechtsextremen Ideologinnen und Ideologen oder wirtschaftlichen Machtinteressen zu tun haben – wir stehen für eine andere Welt. Seit fast 90 Jahren engagieren wir uns für eine global vernetzte, aktive und solidarische Zivilgesellschaft. Noch nie war unsere Arbeit so wichtig wie heute.»

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Schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGO): Dramatische Zahlen

Nach aktuellen Schätzungen sind die Auswirkungen der eingefrorenen USAID-Gelder für die Schweizer NGO verheerend

  • 32 Projekte sind betroffen. Weniger als 10 Prozent davon haben noch eine Chance auf Fortsetzung.
  • 3,4 Millionen Menschen ­verlieren weltweit den Zugang zu grundlegenden Dienst­leistung
  • 66 Millionen Franken, die vertraglich gesichert schienen, werden für die Jahre 2025 und 2026 verloren gehen.
  • 14 Millionen Franken waren am 24. Januar 2025 noch ausstehend. Wird dieser Betrag nicht gezahlt, entsteht ein Gesamtverlust von 80 Millionen Franken.
  • Zahlreiche Berichte sprechen von schwerwiegenden Folgen für die an den Projekten beteiligten Personen sowie für die NGO und ihre Programme

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