Frankreich: So macht Nestlé Wasser zu Gold
Nestlé wegen Wasser-Bschiss angeklagt

Mögen Sie Perrier? Vielleicht müssen Sie bald darauf verzichten. Das Symbol in den grünen Flaschen könnte fallen. Denn das Imperium aus Vevey ist schon wieder in einen Riesenskandal verwickelt.

KENNT DIE NESTLÉ-METHODEN: Yasmine Motarjemi hat jahrelang gegen den Konzern prozessiert, das Bild zeigt sie 2015 vor dem Kantons­gericht in Lausanne, das ihr in ihrer Mobbing-Klage recht gab. (Foto: Keystone)

Achtzehn Jahre zermürbender Kampf gegen den Nestlé-Konzern haben Yasmine Motarjemi gezeichnet, physisch und psychisch. Die bald Siebzigjährige sagt:

Nestlé hat mein Leben ruiniert.

Gerettet habe sie allein die Arbeit in ihrem Waadtländer Garten.

Den mächtigen Gegner hat sich Motarjemi nicht ausgesucht. Sie arbeitete bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und genoss einen internationalen Ruf als Biochemikerin. Im Jahr 2000 holte Nestlé sie als Direktorin für Nahrungsmittelsicherheit. Der Multi brauchte eine Image-Politur.

Sein Aufstieg zum weltgrössten Nahrungsmittelkonzern, zum führenden Kaffee- und Kakaoverkäufer, zur Nummer eins beim Mineralwasser und zum globalen Gross-Dealer der Droge Zucker war von Skandalen, Enthüllungen und Kontroversen begleitet: Dabei ging es um aggressiv vermarktete Babymilch, überzuckerte oder verseuchte Lebensmittel, Kinder- und Zwangsarbeit, antigewerkschaftliche Praktiken bis zur ökologischen Plünderung ganzer Landstriche. Ein Heer von Lobbyisten sorgt dafür, dass die Regierungen nicht so genau hinsehen, und in milliardenteurer Propaganda gelobte Nestlé immer wieder Besserung – «Good food, good life». Motarjemi glaubte an ihre Mission.

Gegen das Imperium

Doch bald erfuhr sie, dass ihre Anstellung vor allem dem Marketing diente. Immer wieder kamen schlimme Meldungen auf ihren Tisch. Mal erstickten Kleinkinder an Nestlé-Biscuits, mal war zu viel Jod in der Babymilch, dann erkrankten in China Zehntausende an Melamin in Getränkepackungen. Sie schlug Alarm, drängte auf Verbesserungen:

Ich fühlte mich der Gesellschaft verpflichtet.

Das war schlecht für den Profit. Also wurde sie erst ignoriert, dann kaltgestellt und gemobbt und 2010 schliesslich entlassen. Eine sechsstellige Abgangsentschädigung schlug sie aus, sie wollte nicht schweigen müssen. 2020 gab das Kantonsgericht Waadt ihrer Mobbing-Klage recht.

Öffentliche Wasserversorgung ausgetrocknet

Dieser Tage muss Motarjemi ihren Garten wieder häufiger verlassen. TV-Sender und Radios interessieren sich für ihre Erfahrungen als Whistleblowerin bei Nestlé. Eine Untersuchungskommission des französischen Parlaments hat sie als Zeugin geladen. Thema: «Der Mineralwasser-Skandal».

Der gärt schon länger. Es geht um Wasserraub, gesundheitliche Risiken, Betrug. Und um die Komplizenschaft der französischen Behörden. Allein in den Vogesen habe Nestlé Waters (Perrier, Vittel, Contrex, Hépar, San Pellegrino) etwa 19 Milliarden Liter Wasser ohne Bewilligung abgeschöpft, stellte eine Behörde fest.

Wegen dieser Plünderung sei mancherorts die öffentliche Wasserversorgung zusammengebrochen. Der Grundwasserspiegel sank bis um zehn Meter, Ackerland trocknete aus. Nach Klagen diverser Bürgerinnengruppen wurde die Justiz endlich aktiv. Geschätzter Deliktbetrag allein in Nordfrankreich: 3 Milliarden Euro. Doch Nestlé kaufte sich im September 2024 mit einer Alibi-Busse von 2 Millionen frei.

Für Perrier wird es kritisch

Wasser ist überlebenswichtig und darum ein elementares öffentliches Gut. Doch die neoliberale Politik hat es privatisiert. Das generiert Monstergewinne, Börsianer nennen es das «blaue Gold».

Vor allem wenn die Konzerne es in Flaschen fassen und als «natürliches Mineralwasser» teuer verkaufen. Gesetz und EU-Norm (2009_54) sagen glasklar: Solche Edelwasser dürfen nicht behandelt sein. Doch die Lebensmittelaufsicht fand heraus:

Nestlé und andere Konzerne haben Wasser aus verunreinigten Quellen geschöpft (Pestizide, Fäkalien, sogar Gifte, Bakterien und Viren). Mit Filtern, UV-Bestrahlung und anderen Methoden machten sie es klammheimlich konsumierbar.

Auch das Starwasser des Konzerns, Perrier. Nestlé beharrt darauf, ihre Wasser seien sicher. Mag sein, nur sind sie eben keine «natürlichen Mineralwasser» mehr. Eindeutiger Bschiss. Hahnenwasser kostet hundertmal weniger.

Selbstverständlich wussten die Nestlé-Manager, was sie taten. Mehrere interne Berichte von Nestlé-Ingenieuren hatten die Wasseraufbereitung als «nicht konform» und behaftet mit «hohem Risiko» bezeichnet. Für ihren grössten Markt, die USA, haben die Manager denn auch eine neue Marke lanciert: «Created by Maison Perrier». Kein Wort mehr von «natürlichem Mineralwasser». Dafür mit Aroma.

Doch nun gerät Perrier, das so etwas wie Pariser Flair verkörpert, in arge Not. Es wird in Vergèze geschöpft, an der Grenze zur südfranzösischen Camargue. Nach schweren Verunreinigungen, unter anderem mit gefährlichen Bakterien, hat die regionale Gesundheitsbehörde Okzitanien dem Präfekten des Departements Gard jetzt dringend nahegelegt, Nestlé das Label «natürliches Mineralwasser» zu entziehen. Es wäre das Ende für Perrier. Schon 2024 hatte Nestlé 3 Millionen Flaschen vernichten müssen. Der Entscheid des Präfekten soll noch im April fallen. 1000 Jobs stehen auf dem Spiel.

Nur ein paar Steinwürfe vom Perrier-Portal weg steht die Glasmanufaktur, in der die grünen Flaschen hergestellt werden. Sie hat früher zu Nestlé gehört, jetzt ist sie im Besitz des US-Glasriesen Owens Illinois (OI), der seinerseits wie Nestlé vom US-Finanzfonds Black Rock dominiert wird. Am 10. April erfuhren die Arbeitenden, dass OI die Flaschenfabrik zumache und sie auf der Strasse stünden. Offiziell wird jeder Zusammenhang bestritten.

Kohler kneift

Der französische Staat bot jahrelang Hand für Wasserraub, Risikovertuschung und Etikettenschwindel, wie sogar die EU kritisierte: 

Berichte wurden schubladisiert, Inspektoren inspizierten nicht, Ministerinnen traten auf die Bremse, wo Behörden handeln wollten.

Dafür hatte Nestlé gesorgt, seine Lobbyisten waren, wie die Zeitschrift «Mediapart» aufdeckte, bis ins Vorzimmer von Präsident Emmanuel Macron ausgeschwärmt. Alexis Kohler, Macrons graue Eminenz im Elysée, traf sich mehrmals mit den Leuten von Nestlé.

Dem machte die Nichtregierungsorganisation Foodwatch jetzt mit einer Doppelklage ein Ende: gegen Nestlé und den Wasserkonzern Alma (Vichy, Cristaline), aber auch gegen die Regierung. Weil nach der EU-Untersuchung Verdacht auf Korruption besteht, setzte der Senat seinerseits eine Untersuchungskommission ein. Kohler sollte befragt werden, aber erschien nicht. Und die Chefin von Nestlé Waters blieb so wortkarg, dass ihr nun ein Strafverfahren droht.

Mehr Wissen: Foodwatch und Publiceye

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