CO2-Verordnung: Ausgemergeltes Gesetzes-Skelett
Rösti röstet das Klima

Statt echte Massnahmen ­gegen die Klimaerhitzung zu ­präsentieren, betreibt SVP-Umweltminister Albert Rösti eine Klientelpolitik.

Such den fehler! Erdöl-Turbo Albert Rösti im Elektroauto. (Foto: Keystone)

Bis im Jahr 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als gespeichert werden können. Dies ist das offizielle Ziel der Schweiz seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens und seit dem Ja der Stimmbevölkerung zum Klima- und Innova­tionsgesetz im Jahr 2023. In der neuen CO2-Verordnung werden die wichtigsten Zwischenziele erneut genannt: Die Emissionen des Verkehrs in der Schweiz müssen im Vergleich zum Jahr 1990 bis 2030 um einen Viertel sinken, und die Schweizer Industrie soll ihre Emissionen um 35 Prozent reduzieren. Doch die Interessen der Öl- und Autoindustrie blockieren weiterhin den Weg zur Erreichung dieser Ziele.

Die Klima-Allianz, ein Bündnis von mehr als 150 Organisationen der Schweizer Zivilgesellschaft, schreibt zum neuen CO2-Gesetz:

Es bleibt ein ambitionsloses Gesetzes-Skelett ohne Instrumente zur Durchsetzung übrig, das den Anforderungen des ­Pariser Abkommens keinesfalls genügen kann.

Mit der neuen CO2-Verordnung werde das CO2-Gesetz noch weiter abgeschwächt. Die Hauptkritik trifft die tiefe Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure. Über 6 Milliarden Liter Benzin und Diesel ­werden jährlich in die Schweiz importiert und verbrannt, was etwa einen Drittel aller Treibhausgasemissionen in der Schweiz verursacht.

Kein Ende des Verbrenners

Die Importeure müssen einen Teil dieser CO2-Emissionen mit dem Kauf von Zertifikaten für Klimaschutzprojekte kompensieren. Der Bundesrat schreibt 2025 eine Kompensationszahlung von 25 Prozent auf den Treibstoffemissionen vor und verdoppelt diesen Kompensationssatz bis im Jahr 2030 auf 50 Prozent.

Die Wirksamkeit der Klimazertifikate und Kompensationsprojekte im Ausland ist jedoch umstritten. Auch die Autoimporteure können weiterhin im fast gleichen Umfang Verbrenner verkaufen. Sie müssen beim Verkauf von Neuwagen lediglich einen Anteil von 23 Prozent Elektro- und Hybridfahrzeugen erreichen. Diesen Schwellenwert erreichen die meisten Autoverkäufer bereits heute.

Industrie gegen ambitionierte Klimaziele

Und nicht nur die Auto- und Erdöllobby hat bei Umweltminister Albert Rösti lobbyiert. Der SVP-Bundesrat und ehemalige Präsident von Auto-Schweiz und Swissoil ist für die CO2-Verordnung verantwortlich. Auch die Schweizer Industrie wehrt sich gegen ambitioniertere Klimaziele. Der Verordnungsentwurf sah vor, dass die Befreiung von der CO2-Abgabe ab eine Reduktionsverpflichtung von 2,5 Prozent pro Jahr möglich sein soll. Den Verbänden Swissmem und Economiesuisse war das zu viel. Bundesrat Rösti kam ihnen entgegen und senkte die Rate in der Verordnung auf 2,25 Prozent, womit noch mehr Unternehmen von der CO2-Abgabe befreit werden.

Doch selbst das ist für den Branchenverband Swissmem nicht genug. Viel zu wenig ist es hingegen für die Klima-Allianz: «Die Industrieverbände gefährden durch ihr kurzsichtiges Verhalten ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit. Es liegt am Bundesrat, diese Lose-lose-Situation endlich zu erkennen und in der Klimapolitik entschieden dagegen anzugehen.»


Wer bezahlt die ökosoziale Wende?«Wir sollten unsere Klimagesetze gut kennen»

Alex Tiefenbacher ist Journalistin und Expertin für Klimapolitik. Sie sagt, wie die Schweizer Industrie von den Klimagesetzen profitiert und wer den Klimaschutz der Konzerne bezahlen wird.

Alex Tiefenbacher (Foto: ZVG)

work: Sie sind Teil eines gewerkschaftlichen Schulungsprojekts zum ökologischen Wandel in der MEM-Industrie. Was möchten Sie mit dieser Schulung erreichen?
Alex Tiefenbacher: Mein Input ist zu den Schweizer Klimagesetzen. Gesetze regeln das gesellschaftliche Zusammenleben. Sie sagen uns, wer was darf oder eben nicht darf. Wer für was zahlt. Wer wofür verantwortlich ist. Und sie schützen uns vor denen, die das alles lieber nicht regeln möchten. Wir müssen uns in den nächsten Jahren fitmachen für die Heisszeit. Wer zahlt für diese Transformation? Wer muss jetzt was machen? Und bis wann? Die Antworten auf diese Frage stehen in unseren Klimagesetzen – und deswegen sollten wir sie gut kennen.

Welche staatliche Unterstützung erhalten Firmen mit den neuen Klimagesetzen?
Es gibt verschiedene Geldtöpfe. Unter anderem erhalten Firmen mit dem Klima- und Innovationsgesetz (KIG) ­finanzielle Unterstützung zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen. Seit Anfang Jahr gibt es hier ein neues Förderinstrument: das Programm für «neuartige Prozesse und Technologien». Hier stehen der Schweizer Industrie während der nächsten sechs Jahre 1,2 Milliarden Franken zur Verfügung. Die Art und Weise, wie das Programm finanziert werden soll, ist jedoch problematisch.

Warum?
Auf Heizöl, Erdgas oder andere fossile Brennstoffe erhebt der Bund eine Abgabe von 120 Franken für jede Tonne CO2, die bei der Verbrennung dieser Brennstoffe entsteht. Der Bund will einen Teil der Gelder aus der CO2-Abgabe in dieses neue Förderprogramm stecken. Bei dem neuen Förderprogramm werden sich aber in erster Linie die Firmen mit sehr hohen Emis­sionen um Gelder bewerben, die selbst gar keine CO2-Abgabe bezahlen müssen. Die Umleitung der Einnahmen aus der CO2-Abgabe führt dazu, dass die Haushalte und kleinen Unternehmen den Firmen mit den höchsten Emissionen den Ausstieg aus den fossilen Energien finanzieren werden.

Warum zahlen die Firmen mit sehr hohen Emissionen keine ­CO2-Abgabe?
Heute sind etwa 100 besonders klimaschädliche Konzerne in der Schweiz über die Teilnahme am Emissionshandelssystem von der CO2-Abgabe befreit. Sie müssen stattdessen für jede ausgestossene Tonne CO2 ein sogenanntes Emissionsrecht vorweisen. Die allermeisten dieser Rechte erhalten sie jedoch gratis. Weitere rund 1300 Firmen sind mit einer Zielvereinbarung mit Verminderungspflicht von der CO2-Abgabe befreit. Mit der neuen CO2-Verordnung (siehe Text oben) können sich noch mehr Firmen von der CO2-Abgabe befreien lassen.

Wir sollten wissen, was mit dem Geld geschieht, das entweder über die CO2-Abgabe oder über das Emissionshandelssystem eingenommen wird. Die ökosoziale Wende wird viel kosten. Und da stellt sich die Frage: Wer zahlt wie viel, und wer verdient daran?

Klima-Weiterbildung: Schulungen zum ökosozialen Wandel in der Industrie


Um umweltfreundlich zu arbeiten, müssen Unternehmen effizienter mit Ressourcen umgehen und ihre CO2-Emissionen reduzieren. Beim ökologischen Umbau der MEM-Industrie sollen Arbeitsplätze erhalten bleiben oder neue Jobs geschaffen werden.

Projekt

Doch wie gelingt dieser Wandel? Mit dem Weiterbildungsprojekt «Industrie netto null» geben neben Alex Tiefenbacher auch Christian Zeller, Professor für Wirtschaftsgeographie, und Roger Nordmann als ehemaliger Nationalrat der SP und Energie­experte ihr Wissen weiter. Programm und Anmeldung: industrie-nettonull.ch.

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