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«Wir haben riesig geträumt,eine Art Grössenwahnsinn»

Cyrill Hermann (21) ist aktiv beim Klimastreik und hat in den letzten Jahren Demonstrationen, Besetzungen und Blockaden mitorganisiert. Im Buch «What do we want?» erzählt Hermann über Lust und Frust in der Klimabewegung.

BUCHVERNISSAGE: Cyrill Hermann analysiert, wie der Klimastreik entstanden ist und wie er sich bis heute entwickelt hat. (Foto: ZVG)

work: Was macht den Klimastreik für Sie einzigartig?
Cyrill Hermann: Wir haben riesig geträumt, eine Art Grössenwahnsinn oder revolutionärer Optimismus. Im Jahr 2019 war für uns alles möglich. Wir konnten innert kürzester Zeit 10 000 Menschen mobilisieren. Wir haben nationale Treffen, Pressekonferenzen oder Aktionen wie die ­Bundesplatzbesetzung organisiert, Dinge, die niemand von uns zuvor gemacht hat. Langfristige Projekte hatten es dagegen schwerer.

Was meinen Sie damit?
Wir haben versucht langfristige Projekte zu entwickeln, zum Beispiel den Climate Action Plan (CAP) mit 138 konkreten Massnahmen für die Schweizer Politik, die wir mit Wissenschafterinnen und Experten erarbeitet hatten. Oder den Strike for Future, mit dem wir eine längerfristige Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften anstrebten. Mit diesen Projekten konnten wir jedoch nicht den nötigen Wandel erzeugen.

Warum?
Da waren die äusseren Umstände mit den Einschränkungen der Coronapandemie. Aber es gab auch andere Gründe. Auch wenn es eine gegenseitige Offenheit gab, war die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften nicht einfach: Wir konnten zwar an Versammlungen sprechen und an Demos teilnehmen, aber bei der Gewerkschaftsbasis sind wir nicht wirklich angekommen. Vielleicht hatten wir zu wenig Geduld.

Und dennoch gab es jüngst bei Stahl Gerlafingen und in ­Emmenbrücke auch einen erfolgreichen gemeinsamen Kampf mit Arbeiterinnen und Arbeitern.
Ja, voll! Im Rahmen des Strike for Future wollten wir gemeinsam auf einen Generalstreik hinarbeiten, doch wir stellten nach dem ersten Aktionstag fest, dass dieses Ziel nicht realisierbar war. Dann haben wir uns auf eine Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn fokussiert. Aber auch das ging aus verschiedenen Gründen nicht auf. Bei den Entlassungen in den Schweizer Stahlwerken beteiligten wir uns als Klimastreik an einem konkreten Arbeitskampf und waren zusammen mit den Gewerkschaften erfolgreich.

Sie schreiben im Buch: «Wir planen und scheitern ­weiter nach vorne.»
Ja, wir haben sehr viele Aktionsformen ausprobiert. Der Klimastreik ist eine Jugendbewegung, wo viele Leute kommen und gehen, auch in andere Bewegungen weiterziehen. Wir geben unsere Fähigkeiten weiter und führen die jungen Menschen an die Politik heran.

Und wohin zieht es Sie als nächstes?
Klimagerechtigkeit ist für mich weiterhin zentral. Ich bin jetzt in einer neuen Gruppe, bei der verschiedene Organisationen aus der Klimabewegung zusammenkommen und versuchen, eine einheitlichere Strategie zu entwickeln. Den Anfang machte dort das Collective Climate Justice aus Basel. Lange war der Klima­streik die grösste Gruppe in der Schweiz und hatte daher auch eine prägende Rolle für die gesamte Bewegung, aber diese Position ging verloren.

Im Buch blicken Sie auf die Geschichte des Klimastreiks zurück.
Am Anfang war das meine Matur­arbeit, und jetzt ist es ein Buch beim Rotpunktverlag geworden. Es ist meine persönliche Sicht auf den Klimastreik und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Buch ist ein Anfang, um die Geschichte der Bewegung selbst zu erzählen.

Blick über den Zaun: Antikoloniale und indigene Kämpfe für das Klima


Hermann porträtiert im Buch auch eine Sámi-Aktivistin sowie eine ­Klimaaktivistin und einen -aktivisten aus Uganda und zeigt auf, wie grüner ­Kapitalismus zu neokolonialer Ausbeutung führt und wie der Bau einer Ölpipeline in Ostafrika das Leben und das Klima gefährdet.
So verbindet Hermann antikoloniale und indigene Klimakämpfe mit der Bewegung in der Schweiz und zeigt auf, wie wir von den antikolonialen Kämpfen lernen können.

What do we want? Der Klimastreik – von Systemwandel bis Klimagerechtigkeit, Cyrill Hermann, Rotpunktverlag ­Zürich, Fr. 27.–.

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