Zimmermann Jürgen Häckler (51) über seinen Beruf:
«Geiler Job, aber die Wertschätzung fehlt»

Zimmerleute seien ein stolzes und konservatives Völkchen. Das helfe beim Schaffen, aber bremse beim Zahltag, sagt Jürgen ­Häckler. Wo es Nägel mit ­Köpfen braucht, weiss er ­genau.

STOLZER GESELLE: Jürgen Häckler ist Zimmermann aus Überzeugung. Trotzdem kann er sich einen Berufswechsel vorstellen. (Foto: Raja Läubli)

Strümpfelbach ist schuld. Daran, dass Unia-Mitglied Jürgen Häckler dieser Tage in Marderkot graben muss. «Das Viech hat ganze Arbeit geleistet», sagt der Zimmermann, «das Unterdach ist völlig zerfressen, und der Marder hat sein Klo mitten in der Isolationsschicht angelegt!» Die Steinwolle sei stellenweise regelrecht durchtränkt von Urin und Dreck. Nicht gerade appetitliche Büez, zumal beim betroffenen Bauernhaus im Zürcher Säuliamt noch verfaulte Balken hinzukommen. Doch Häckler stört es nicht. Er ist in seinem Element: «Altbau liebe ich einfach», strahlt er. Und das habe eben auch mit Strümpfelbach zu tun, seinem Geburtsort.

Das Weinbauerndorf in der Nähe von Stuttgart ist ein wahres Juwel. Sonnige Rebhänge und lauschige Obstgärten umgeben den Flecken. Im Ortskern dominieren imposante Riegelhäuser aus dem 16. Jahrhundert. Postkartenidylle pur! Kenner handeln Strümpfelbach sogar als das schönste Fachwerkhäuserdorf Deutschlands. So weit will Häckler nicht gehen, doch:

Bei all den Meisterbauten war eigentlich klar, dass ich dieses Handwerk lernen wollte.

Und so wurde aus dem Bauernsohn ein Zimmermann. Und zwar einer, wie er im Buche steht.

Gesellenbruder mit Berufsehre

Nach der Lehre schloss sich Häckler den Freien Vogtländern an, einer Gesellenbruderschaft mit über 100jähriger Geschichte – und eigentümlicher Tradition. So muss man zum Zeitpunkt der Aufnahme unverschuldet, unverheiratet sowie vorstrafen- und kinderlos sein. Und jeder Geselle muss sich einer Gewerkschaft anschliessen. An politischen Demonstrationen oder gar Krawallen dürfen sich wandernde Gesellen indes nicht beteiligen. Die Berufsehre mahnt! Ausgenommen sind einzig Gewerkschaftsanlässe. An solchen kreuzen die «Hölzigen» auch mal in der typischen Kluft auf. Also mit Weste, Filzhut und schwarzen Zunftshosen. Natürlich ging auch der junge Häckler auf Wanderschaft, zweieinhalb Jahre, ohne je einen Fuss in die Heimat zu setzen – so wollen es die Walzvorschriften. Dafür lernte er Italien, Österreich und die Schweiz kennen. Die Zürichseegegend gefiel ihm sogar so gut, dass er um 2005 nach Wädenswil auswanderte und dort eine Familie gründete. Und was sagt er zu seinem Metier nach über dreissig Berufsjahren?

Blaumachen gibt’s nicht

Für Häckler ein klarer Fall:

Es ist immer noch mehr eine Berufung als ein Beruf.

Die Zimmerkunst sei etwas sehr Erfüllendes und Kreatives. Klar gehe das Handwerk etwas verloren. Weil bei Neubauten heute industriell vorproduzierte Elemente zum Einsatz kämen. Andererseits habe der Baustoff Holz enormes Potential. Häckler verweist auf den weltweit höchsten Holzwohnturm, der demnächst in Winterthur gebaut wird. Zimmermann bleibe jedenfalls «ein geiler Job!».

Dennoch will Häckler die Schattenseiten nicht verschweigen. Die Branche habe drei grosse «Baustellen» anzugehen: die Wertschätzung, den Lohn und das Rentenalter. Beim ersten Punkt bestehe «ganz heftig» Handlungsbedarf. Er habe schon Chefs erlebt, die ihre Mitarbeitenden immer nur «meine Nasen» genannt hätten. Für Häckler ein übles Zeichen der Geringschätzung. Genau wie der leidige Karenztag, also die Regel, wonach es für den ersten Krankheitstag null Entschädigung gibt. «Das nervt fast am meisten», sagt Häckler. Arbeitgeber pochen gemeinhin auf Karenztage, um blaue Montage zu verhindern. Häckler winkt ab: «Ich habe schon in sehr vielen Buden gearbeitet, aber nirgends war Blaumachen ein Thema.» Zu gross sei der Berufsstolz der Zimmerleute. Und zu ehren sei hier noch das Gesetz, wonach am Morgen auch schaffen möge, wer abends saufen könne. «Wir sind halt ein konservatives Völklein», erklärt Häckler. Viele Zimmerleute stammten aus einem bäuerlich-ländlichen Milieu. Das sei gut für die Arbeitsmoral, aber hinderlich in Dingen wie dem Lohn: «Darüber zu reden ist für viele noch ein Tabu!»

Neues Selbstbewusstsein nötig

Im Vergleich mit verwandten Branchen sind die Holzbau-Löhne klar unterdurchschnittlich. Dies, obwohl Zimmerleute eine anspruchsvolle Ausbildung absolvieren und körperlich viel leisten müssen. Und im Unterschied etwa zu Maurern können sie selten auf einen Kran zurückgreifen. Häckler, mit deutschem Meisterbrief im Sack, verdient 6200 Franken brutto. Er kenne viele, die in den Fassadenbau gewechselt hätten, wo deutlich mehr gezahlt werde. Auch Häckler kann sich einen Berufswechsel vorstellen.

Auch weil er weiss, dass kein Körper ewig bolzen kann. Und: Eine Frühpensionierung fehlt. Dabei wäre diese vor über zwanzig Jahren zum Greifen nah gewesen. Der Holzbau unterstand damals noch dem Landesmantelvertrag (LMV) des Bauhauptgewerbes. Und dieses führte 2003 den flexi­blen Altersrücktritt (FAR) ab 60 Jahren ein. Doch die Holzbau-Patrons stiegen kurzerhand aus dem LMV aus. Und drückten später einen GAV durch, der auch in anderen Punkten hinter den LMV zurückfällt. Häckler findet das kontraproduktiv:

Die Firmen sparen sich seither gegenseitig kaputt!

Er plädiert für einen «Cut»: Um attraktiv zu werden, müsse die Branche wieder selbstbewusst auftreten. Heisst: die Arbeitsbedingungen modernisieren und die Preise neu kalkulieren. Hächler ist überzeugt: «Das wäre eine Chance für alle!»

Online-Umfrage: «Holz hat Zukunft – gestalte sie mit!»

Die Holzbranche boomt, doch die Arbeitsbedingungen hinken hinter her – auch im Vergleich mit verwandten Branchen. Dabei sind gerade sie der Schlüssel zur Zukunft! Aber was genau würde die «hölzigen» Berufe attraktiver machen? Das will die Unia von allen Zimmerleuten, Schreinerinnen, Drechslern und Holzindustrie fachleuten wissen. Nehmen auch Sie jetzt an der Online-Umfrage teil, und helfen Sie mit, die Branche zustärken!

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