WO, WO, WONIGE: Am Samstag haben sich in Zürich...

Menschenwürdig wohnen wird in der Schweiz definitiv zum Luxus. Bis weit in die Mittelschicht hinein sind die Wohnkosten ein Armutsrisiko. Dabei würde das Gesetz dies verhindern.

«Legal, illegal, scheissegal» – was ab den 1980er Jahren an besetzten Häusern stand, ist längst zum unausgesprochenen Motto der Immobilienkonzerne geworden. 2024 sind die Mieten durchschnittlich um 4,5 Prozent gestiegen, in Ballungzentren bis um 9 Prozent. Besonders die «Angebotsmieten», also jene für Woh­nungen, die neu vermietet werden, ­steigen massiv. Die Verrücktheiten in diesen Zahlen sind nicht ausschliesslich die Höhe und die Steigerungsraten. Die grösste Verrücktheit ist, dass es «eigentlich» in der Schweiz keine Marktmiete gibt. Und zwar gesetzlich festgehalten.

Der Staat tut nichts

Mietzinse sind missbräuchlich, wenn damit ein zu hoher Ertrag aus einer Mietwohnung erzielt wird oder wenn sie auf einem offensichtlich zu hohen Kaufpreis beruhen. Das Bundesgericht legt fest, was als zu hohe Miete gilt. Basierend auf dem aktuellen Referenzzinssatz von 1,5 Prozent, liegt die gesetzlich zulässige Nettorendite des Mietzinses von Wohn- und Geschäftsräumen aktuell bei 3,5 Prozent. Bevor eine ausschliesslich mit Rechtsbürgerlichen und Bürgerlichen besetzte Bundesgerichtskammer im Oktober 2020 den Immo-Haien einen Extrahappen-Profit zuwarf, wären es nur 2 Prozent gewesen.

Tatsächlich machen Hausbesitzerinnen zum Teil sogar zweistellige Renditen. Möglich machen das einerseits schwammige Begriffe für Ausnahmen von der Kostenmiete mit gedeckeltem Profit: «Ortsüblichkeit» ist einer davon (siehe Box). Andererseits kontrolliert der Staat sein eigenes Gesetz nicht – und geht darum auch nicht gegen die zu hohen Mieten vor. Das war bis in die 1970er Jahre noch anders, als die staatliche Mietzinskontrolle eine Selbstverständlichkeit war.

Jedes jahr Milliarden zu viel

Das Basler Büro BASS hat die Mietentwicklung zwischen 2006 und 2021 untersucht. Die 2022 veröffentlichte Studie zeigt: Die Mieten hätten in diesen 16 Jahren eigentlich um etwa 11 Prozent sinken müssen, wenn man die relevanten Kostenfaktoren des Mietrechts wie Hypothekarzinsentwicklung, Inflation und Unterhaltskosten berücksichtigt. Stattdessen sind sie um über 22 Prozent ­gestiegen.

Das Ergebnis ist eine gigantische und rechtswidrige Umverteilung von den Mieterinnen zu den Immobilienbesitzern. Insgesamt bezahlten die Mieter seit 2006 satte 78 Milliarden Franken zu viel. Allein im Jahr 2021 waren dies 10,5 Milliarden Franken – durchschnittlich 370 Franken pro Monat und Miethaushalt. Und das in einem Land, in dem nur gerade knapp 36 Prozent der Wohnungen und Einfamilienhäuser denen gehören, die sie bewohnen.

Die Schweiz ist ein Paradies für in- und ausländische Immobilieninvestoren. Und diese zocken die Mieterinnen massiv ab: Bei Durchsetzung des geltenden Rechts würde die Kaufkraft der Mieter jährlich um mindestens 10 Milliarden Franken gestärkt. Stattdessen landen diese Milliarden in den Taschen der Immobilienkonzerne und ihrem Aktionariat.

Dramatische Folgen

Diese gigantische Umverteilung von unten nach oben hat dramatische Folgen. Auch im aktuellen «Schweizer Familienbarometer», das von der Pro Familia und der Pax-Versicherung herausgegeben wird, stehen die Kosten fürs Wohnen weit oben auf der Sorgenliste. Wohnkosten sind oft der grösste Posten im Haushaltsbudget, besonders für Niedrig- und Mittelverdienende, die 25 bis 35 Prozent ihres Einkommens dafür aufwenden müssen. Steigende Zinsen und Nebenkosten verschärfen die Lage. Ab 40 Prozent spricht die Wissenschaft von Überbelastung – ein Wert, den immer mehr Haushalte bald erreicht haben werden.

Besonders gemein: Gerade für Menschen, die höhere Wohnkosten nicht einfach mit höheren Einkommen oder Vermögensverbrauch auffangen können, liegt Sparen mit Wohnungswechsel gar nicht mehr drin. Auch diese Situation betrifft zunehmend Haushalte bis tief in die Mittelschicht hinein.

Verzweifelte Mieter

Das Hilfswerk Caritas hat im vergangenen Jahr ein Positionspapier zur Wohnungsfrage erarbeitet (work ­berichtete). Direktor Peter Lack sagte bei der Präsentation: «Tagtäglich sind wir mit der Lebensrealität von Menschen konfrontiert, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen.»

Miet-Haie: Rückzug ist reine Taktik


Nach der doppelten Abstimmungsschlappe im November haben die ­Immobilienlobbyisten im Parlament einen ihrer Angriffe auf die Rechte der Mieterinnen vorerst beerdigt: die faktische Abschaffung der Anfechtbarkeit von Anfangsmieten. Doch das war nur ein taktischer Rückzug: Denn ein anderer, noch unverschämterer Vorstoss wurde lediglich verschoben.

Das Ziel

Er will erreichen, dass die Immo-Lobby die «Orts- und Quartierüblichkeit» der Mieten gleich selber definiert und die Mieten so noch dreister erhöhen kann. Denn die Tatsache, dass in der Schweiz eine Marktmiete «eigentlich» verboten ist, ärgert die Miet-Haie ungemein. Und die rechten Mehrheiten im Parlament geben alles, um die Wünsche der ­Vermieterkonzerne zu erfüllen. Alle ­Details zum taktischen Rückwärtsschwumm und der weiterhin geplanten Angriffe der Miet-Haie gibt’s hier.

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