Das gibt’s sonst nirgends
Gerüstbauer verdienen jetzt auch beim Käfelen!

Es ist DIE Errungenschaft im neuen Gerüstbau-GAV: Die Znüni­pause wird neu voll entlöhnt und der Arbeitszeit angerechnet. work war mit drei Monteuren in der Beiz.

SO SEHEN ZUFRIEDENE BÜEZER AUS: Die Gerüstbauer Julian Egger, Marvin Forster und Enes Zekjin (v. l.) freuen sich über die bezahlte Znünipause. (Foto: Julia Neukomm)

Nein, es ist kein Scherz. Sondern seit dem 1. April höchstreal für alle Gerüstmonteurinnen und Gerüstmonteure:

Eine viertelstündige Znünipause zählt fortan zur Arbeitszeit und wird entsprechend normal bezahlt – und zwar ohne Verlängerung des Arbeitstags.

Damit verkürzt sich die Jahresarbeitszeit der schweizweit rund 3500 Gerüstbauenden um immerhin rund 60 Stunden. Und das ohne Lohneinbusse. Also keine Peanuts! Zumal die Gewerkschaften Unia und Syna noch andere Fortschritte durchgesetzt haben. Etwa den obligatorischen Lohnzuschlag von 25 Prozent für Samstagsarbeit. Oder – in der heutigen Zeit wieder besonders wichtig – den automatischen Teuerungsausgleich. Das und mehr garantiert der neue Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der seit dem 1. April in Kraft ist. Alle Neuerungen im Detail hier: zum Artikel.

Die Kirsche auf der Torte ist aber klar die bezahlte Znünipause. Zwar ist es in modernen Betrieben besonders der Dienstleistungsbranche längst normal, dass die Mit­arbeitenden für eine kurze morgendliche Pause nicht ausstempeln müssen. Aber ausgerechnet in den körperlich besonders anstrengenden Bau- und Gewerbeberufen ist dies nicht der Fall. Dort ist der Durchbruch im Gerüstbau eine Schweiz-Premiere!

Retro-Chefs mucken auf

Beim Schweizerischen Gerüstbau-Unternehmer-Verband (SGUV) war die Neuerung denn auch heftig umstritten. Noch an seiner Generalversammlung vom 4. April haben dem Vernehmen nach diverse Chefs ihren Unmut kundgetan. Vergebens. Der GAV ist beschlossene Sache.

Sehr zufrieden sind dagegen die Büezerinnen und Büezer. Etwa Julian Egger (27), Enes Zekjin (46) und Marvin Forster (21). Die drei arbeiten für die Roth Gerüste AG, den mit Abstand grössten Branchenvertreter (siehe Box weiter unten). work hat die Kollegen an ­einem Montagmorgen ins Grenchner Café Krebs begleitet. Ein solcher Restaurantbesuch sei in seinem Team eine seltene Ausnahme, betont Unia-Mitglied Egger. Er begann vor zwölf Jahren als Stift, avancierte später zum Gruppenleiter und absolviert jetzt die Weiterbildung zum Montageleiter. In all diesen Jahren sei eines gleichgeblieben:

Normalerweise machen wir Znüni im Budenauto, denn im Unterschied zu den Maurern haben wir ja keine Pausen-Container.

GENIESST DAS GIPFELI IN DER BEIZ: Unia-Mitglied Julian Egger. (Foto: jun)

Das störe ihn aber nicht gross. Im Winter werde im Auto «halt einfach ein­geheizt». Nur bei Starkregen, wenn alles durchnässt sei, gehe auch er für sein Schinkengipfeli in die Beiz.

Ein Beutel voller Gemüse

Enes Zekjin hat da andere Gewohnheiten. Der Gruppenälteste geht jeden Morgen kurz irgendwo auf einen Kafi. «Das brauche ich, sonst kommt sofort das Kopfweh!» sagt der Routinier, der sich zum schwarzen Muntermacher jeweils auch einen Glimmstengel gönnt.

KAFFEE, SONST KOPFWEH: Enes Zekjin braucht seine Pausen-Routine. (Foto: jun)

Ganz anders Marvin Forster. Der Lehrling aus Solothurn verzichtet ganz auf Tabak und meist auch auf Koffein. «Ich bin Sportler», sagt er und zeigt auf einen prallen Beutel voller Gemüse. «Das ist meine normale Tagesration!» Dazu komme Schwarzbrot und Frischkäse.

VERPFLEGT SICH MIT GEMÜSE: Gerüstbauer-Lehrling Marvin Forster. (Foto: jun)

Das vitamin- und proteinreiche Znüni hat seinen Grund: Forster ist Thaiboxer und hängt an jeden Arbeitstag noch ein Intensivtraining. An vielen Wochenenden steigt er zudem in den Ring. Da komme es auf jedes Gramm an. Kalorien seien aber auch gefragt. Im Berufsalltag sowieso. Schliesslich verbaut ein Gerüstmonteur laut Experten täglich bis zu fünf Tonnen Material.

Auch die Beizen freut’s

Aber was ändert der neue GAV jetzt an der Znünipraxis der drei Profis? Zumindest ernährungstechnisch wollen Egger, Zekjin und Forster ihren Gewohnheiten treu bleiben. Wobei Forster zu bedenken gibt, dass gerade ältere Kollegen manchmal noch von Zeiten mit üppigen Schlemmereien in der Beiz erzählten. Heute seien Beizenbesuche nicht mehr verbreitet. Wohl auch deshalb, weil die Preise deutlich angezogen hätten. Ob der znüni­freundliche Pionier-GAV am Ende gar das Beizensterben ausbremst? Abwarten! Das Zeichen der Wertschätzung ist jedenfalls angekommen.

Kampf um Fachkräfte: Roth prescht vor

Die Roth Gerüste AG ist mit über 600 Angestellten an 21 Standorten der mit Abstand grösste Player auf dem Schweizer Gerüstbaumarkt. Rund 40 Prozent aller Monteure arbeiten bei der 1958 gegründeten Firma. Doch auch für den Branchenleader ist es kein Leichtes, genügend Fachkräfte zu finden. Zumal viele Jugendliche einen grossen Bogen um die Branche machen.

Sabrina Ross ist in der Roth-Geschäftsleitung fürs Personalwesen zuständig. Sie sagt: «Zeitweise fanden wir bloss drei oder vier Lernende pro Jahr.» 2017 habe man sogar gar ­keinen Lehrvertrag abschliessen können. Doch ­diese Zeiten seien vorbei. «Im letzten Jahr haben 14 neue Lernende begonnen!» ­Verantwortlich dafür sei eine Tiktok-­Kampagne. Aber nicht nur. Ross beteuert:

Seit vielen ­Jahren machen wir Mitarbeiterumfragen und Projekte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Dabei seien unter anderem auch die Lernenden-Löhne angehoben und diverse Weiterbildungsprogramme entwickelt worden. Die neu allgemeinverbindliche Samstagszulage richte Roth schon seit 2019 aus. Und seit diesem Jahr übernehme die Firma 60 Prozent der Beiträge an die berufliche Vorsorge (BVG) der Mitarbeitenden. Das sei einmalig in der Branche. Gesetzlich vorgeschrieben sind 50 Prozent.

Simon Constantin, der Gerüstbauverant­wortliche der Unia, anerkennt diese Leistungen. Er relativiert aber auch:

Roth ist eine ­seriöse Firma, mit der man konstruktiv verhandeln kann, aber manchmal steht sie ­bei zentralen Anliegen von uns auf der Vollbremse.

So habe Roth zuletzt vehement ­gegen eine Mindestgrösse von drei Arbeitern pro Equipe opponiert. Ein solches Minimum ­fordern die Gewerkschaften, um die Arbeitssicherheit zu erhöhen.

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